Macht Trump Europa zu einer Großmacht unter deutscher Führung?
In den USA schreckten die Äußerungen von Merkel auf, Außenminister Gabriel schlägt noch tiefer in die Kerbe: "Der Westen wird gerade etwas kleiner"
In den USA beginnt man Sorge zu hegen, dass US-Präsident Donald Trump mit seiner Intention, die EU zu spalten und zu schwächen, das Gegenteil bewirken könnte. Besonders Deutschland hat der US-Präsident im Visier, vor allem wegen des Handelsüberschusses, aber auch wegen der zu niedrigen Rüstungsausgaben. Trump droht mit Wirtschaftsblockaden und schwächt auch den Zusammenhalt in der Nato, da er wieder die Beistandsverpflichtung nicht bestätigte.
Nach dem desaströsen G7-Gipfel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits ungewöhnlich scharf die US-Führung kritisiert. Man könne sich nicht mehr auf die USA verlassen, sagte sie in einem Bierzelt im bayerischen Trudering bei der Feier der Wiederversöhnung mit der CSU - und erhielt dafür Rückhalt bei anderen Politikern und wahrscheinlich auch in der Bevölkerung. Die Europäer müssten stärker für sich selbst sorgen und das Schicksal in die gemeinsame Hand nehmen. Das war ebenso sehr ein Aufruf, dass die EU nach der Brexit-Entscheidung, deren Konsequenzen noch lange nicht absehbar sind, zusammenhalten müsse, also auch die Verstärkung des transatlantischen Risses, der mit Trumps America-First-Politik einsetzte.
Dabei geht es auch darum, dass die EU die Spaltung zwischen dem neuen und dem alten Europa, die die USA unter Bush und Obama noch ausnutzen konnten, aufhebt. Die Verunsicherung, die die baltischen und manche osteuropäischen Länder durch die Trump-Forderungen und die Zurückhaltung bei der Beistandspflicht gegen Russland empfinden, könnte diese den Absichten Deutschlands als der vorherrschenden Macht in der EU näherbringen, auch militärisch zusammenzurücken. Noch bis vor kurzem konnten die USA unter Obama über den Druck der baltischen und osteuropäischen Staaten den Konflikt mit Russland hochfahren und die Sanktionen aufrechterhalten. Das könnte allmählich bröckeln, zumal die Trump-Regierung den Anti-Russland-Kurs der Vorgängerregierung und vieler transatlantischen Falken in den USA nicht fortsetzen will.
Möglich wird unter der Führung von Deutschland und Frankreich, falls sich beide Ländern wirtschafts- und finanzpolitisch zusammenraufen und Berlin seinen Sparkurs lockert, der Aufbau einer seit dem Brexit angedachten europäischen Armee, was auch zu einer weniger engen Nato-Bindung führen würde. Der Ausstieg Großbritanniens hatte schon vor Trumps Amtsantritt die Position der USA in der EU geschwächt.
Außenminister Sigmar Gabriel machte gestern deutlich, dass auch die SPD den nationaleuropäischen Kurs der Kanzlerin und der Union mitträgt. Er hatte sich schon dem von Trump vorgegebenen "apodiktischen" 2-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben widersetzt. Jetzt sprach er von einem "Ausfall" der USA als wichtiger Nation, was heißt, dass er deren Führungsrolle bestreitet. Der G7-Gipfel sei "ein Signal für die Veränderung im Kräfteverhältnis der Welt" gewesen: "Der Westen wird gerade etwas kleiner." Gehören die USA also nicht mehr zum "Westen"? Und rückt Deutschland als neue Führungsmacht nicht nur der EU, sondern auch des "Westens" nach? Lediglich die für Polizei und Geheimdienste Verantwortlichen, Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, machen sich weiter für die transatlantische Kooperation stark.
In den USA werden die Positionierungen genau beobachtet. So schreibt der National-Interest-Chefredakteur Jacob Heilbrunn, dass die deutsche Bundeskanzlerin mit Trump und nach der Wahl von Macron eine wirtschaftlich und militärisch "französisch-deutsche Achse" vorantreibe. Das werde zu einem schwindenden Einfluss der USA im Ausland führen. Trump wird vorgeworfen, er könne die Regeln des Spiels alleine bestimmen, aber er verstärke mit seiner Politik die Entwicklung, dass Deutschland zu der "europäischen Supermacht" wird, die ihre eigenen Interessen verfolge.
Deutschland sei gegenwärtig dabei, ein gemeinsames europäisches Kommando in Brüssel aufzubauen und die Beziehungen mit Polen zu verbessern, das bislang ein Anker der amerikanischen Interessen in der EU war. Es sei zwar kein großes Interesse zu spüren, dass Deutschland eine "Fuehrungsmacht" (original deutsch) werde, aber Trump verstärke etwa mit seiner Zurückhaltung gegenüber dem Pariser Abkommen eine Entwicklung, die er nicht verstehe.
Bislang sei die zentrale Beziehung der amerikanischen Außenpolitik mit Europa über Deutschland verlaufen, wo die USA auch weiterhin am stärksten militärisch präsent sind. Diese Beziehung könnte nun an ihr Ende gelangen: "Es würde keine kleine Ironie sein, wenn Trump Europa zwingt, sich selbst in eine vereinte Großmacht zu transformieren." Das sind freilich Ängste aus der Perspektive einer Supermacht, die um ihren Einfluss bangt, man kann nur sehen, dass noch eine weitere Großmacht die Vorherrschaft gefährden könnte. Eine multipolare Welt scheint jenseits des Atlantiks schwer vorstellbar zu sein, wo man seit Jahrzehnten für sich beansprucht, die für eine Koalition der Willigen und manchmal auch Gezwungenen führende Kraft für Demokratie, Menschenrechte und freien Handel zu sein.
Aufgeschreckt schrieb auch Richard Maas, der Präsident des Council on Foreign Relations, am Sonntag, dass Merkels Aussage, Europa könne sich nicht mehr auf andere verlassen, eine "Wasserscheide" sei, was die USA "seit dem Zweiten Weltkrieg zu verhindern suchten". Die New York Times spricht angesichts von Merkels Worten von einem seismischen Beben in den transatlantischen Beziehungen. Schon diese Aufmerksamkeit auf einen Satz von Merkel macht deutlich, wie wichtig und mächtig Deutschland in den letzten Jahren geworden ist. Hingewiesen wird in der NYT auch, dass Merkel nicht nur die weiter bestehende Freundschaft mit den USA und Großbritannien betonte, sondern auch mit anderen Ländern: "Sogar mit Russland."