Macht uns das Netz einsam und depressiv?
Ergebnisse eines Feldversuchs über Internet-Heimnutzung in Familien
Das Projekt HomeNet ist ein Feldversuch, der von der Carnegie Mellon University (CMU) in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurde. Dabei wurden die Internetnutzung und das soziale Verhalten und emotionale Wohlbefinden von 169 Menschen in 73 Familien untersucht.
Die Forschungsergebnisse werden im September in der Fachzeitschrift The American Psychologist veröffentlicht. Eine Vorabversion des Artikels ist bereits im Netz einsehbar und verrät die niederschmetternden Ergebnisse: Das Internet, das im Vergleich zu anderen Medien wie dem Fernsehen z.B. als soziales Medium gepriesen wurde, hält Menschen davon ab, mit ihren Familienmitgliedern und Freunden zu sprechen. Ihre Freundeskreise schmelzen dahin und Depressionen und Einsamkeitsgefühle nehmen zu.
Dabei konzentriert sich die Studie keineswegs auf die sogenannten Internet-Junkies, die überhaupt nicht mehr von ihren Terminals loszueisen sind, sondern auf ganz normale Nutzer. Die für die Studie ausgewählten Nutzer bilden hinsichtlich Alters- und Einkommensverteilung, sowie Rasse und Geschlecht einen ungefähren demographischen Querschnitt der USA ab. Bevorzugt wurde mit Familien gearbeitet.
Robert Kraut, Professor für Psychologie und Mensch-Computer Interaktion und Leiter des Homenet-Forschungsteams, meint:
"Das sind nicht einfach bloß Resultate, die nur bei Extremfällen auftauchen, das sind genau die Leute, die, wenn sie gefragt werden, meinen, daß das Internet eine gute Sache wäre".
Im Vergleich zu anderen Studien seien die Ergebnisse dieses Projekts besonders relevant, weil sie sich nicht bloß auf Eigenangaben von Usern stützen, was zu hohen Fehlerraten führen kann, sondern weil Internet-Nutzung über lange Zeiträume (1 - 2 Jahre) tatsächlich gemessen wurde und alle sozialen und psychologischen Konsequenzen der Internet-Nutzung einbezogen wurden.
Das Forschungsteam versucht eine offene Haltung zu bewahren. Man wolle das Internet nicht generell als gut oder schlecht beurteilen. Die Nutzungsformen variieren stark unter den Teilnehmern der Studie. Es sei zu bedenken, daß negative soziale Auswirkungen durch andere positive Aspekte kompensiert werden, wie z.B. das Erlangen technischer Fähigkeiten und daraus resultierender verbesserter Selbstwertschätzung.
Am stärksten seien die beobachteten negativen Auswirkungen bei Teenagern. Diese würden auch die meiste Zeit vor dem Computer verbringen. Deshalb raten die Wissenschaftler den Eltern, Computer nicht im Schlafzimmer der Kids aufzustellen sondern besser an öffentlichen Orten innerhalb der Wohnung wie Wohnzimmer oder Küche.
Aber nicht nur Privatleute und Firmen, vor allem auch Regierungen sollten die richtigen Schlüsse aus derartigen Forschungsergebnissen ziehen. Die Forscher meinen, daß es ohne Mitwirkung der öffentlichen Hand gar kein Internet geben würde. Doch das Engagement des Staates habe sich in den USA bisher vor allem auf die Infrastruktur konzentriert. Mehr Forschung und Entwicklung auf dem breiten Gebiet der Kommunikation zwischen Usern und deren Nutzung von Informationsangeboten seien nun angebracht.
Wenig Freude dürften die Sponsoren der Studie mit den Ergebnissen haben, das sind neben der CMU vor allem größere Computer- Hard- und Softwareunternehmen (Apple, Intel, Lotus, um nur einige zu nennen). Die meisten früheren Studien waren zu viel positiveren Ergebnissen gekommen. Nun scheint ein Umdenken über die sozialen Auswirkungen des Internet angebracht. Dies sollte auch Auswirkungen auf das Design von Software-Applikationen haben.
Die Autoren der HomeNet-Studie fügen sich jedoch keineswegs in den Chor der Stimmen ein, die das Internet sowieso nur als einen Schrottplatz für Ideen, wenn nicht Schlimmeres, sehen. Auch die Vorzüge werden erwähnt, wie z.B. die Möglichkeit, mit weit entfernten Freunden und Verwandten Kontakt zu halten. Der entscheidende Punkt sei aber nicht, was man im Internet vorfindet, sondern was dafür im wirklichen Leben an sozialen Kontakten und Interaktionen aufgegeben wird. Diesbezüglich scheint es, daß die Leichtigkeit, mit der im Internet Kontakte gemacht werden können, dazu verführt, vom "socializing" im echten Leben abzusehen, da dieses mit viel mehr Schwierigkeiten verbunden sei.
An dieser Stelle drängen sich Vergleiche mit dem Medium Fernsehen auf, das ja ebenfalls als antisozial kritisiert wurde. Das Fernsehen hat jedoch eine wesentlich längere Wirkungsgeschichte als das Internet. So ist HomeNet eine der ersten Studien, die auf wissenschaftlichen Methoden und Messungen beruht.
Ebensowenig wie es abschließende Urteile über die sozialen Auswirkungen des Fernsehens gibt, kann es diese über das Internet in einer so frühen Entwicklungsphase geben. Doch zwei Dinge können schon einmal als gesichert gelten. Da der Tag nur 24 Stunden hat, wovon wir noch dazu 8 im Schlaf verbringen, geht jede neue Aktivität auf Kosten älterer Aktivitäten. Und zweitens scheinen wir Menschen diesen eingebauten Hang zur Faulheit zu haben, was uns automatisch den Weg des geringsten Widerstandes gehen läßt. Deshalb werden Online-Dating und Online-Flirts wohl noch eine Zeit lang im Aufwind sein, bevor das Pendel eventuell wieder in die Gegenrichtung schwingt.
Erste Reaktionen aus den Tiefen des Netzes sind auch schon eingetroffen. So meinte eine Alexis auf der Mailinglist Rewired:
"Früher war ich auch schon einsam und traurig, aber jetzt, wo es das Internet gibt, weiß ich wenigstens warum ich es bin".