Machtergreifungs-Satire nimmt AfD-Wähler ins Visier: Wo hört der Spaß auf?
Grenzbereich? Gericht zwingt MDR zur Ausstrahlung eines Wahlwerbespots der Partei mit einem Bürgerkriegs-Szenario – trotz Bedenken des Senders.
Heute Mittag auf MDR, das Publikum hört Bier zischen, Werbung und Nachrichten. Gemeldet wird die Vereidigung der neuen Regierung in Dresden. Ein Mann sagt im sächsischen Ton: "Die Faschisten sind wieder an der Macht" und geht sofort in den Keller, die Knarren holen.
"Diesmal schießen wir zuerst." Danach hört man Schüsse. Einer zielt auf den "Kleenen von drüben" – "So ein lieber Junge" – "Na, der wählt doch seit Jahren die AfD." "Da kommen noch mehr." Dann geht das Schießen weiter. "Kennst du die alle?" "Nee, aber bei 50 Prozent wird’s schon die Richtigen treffen."
Der Satire-Hase war nicht zu stoppen
Der letzte Satz des Wahlwerbespots lautet: "Bevor es zu spät ist: Wählen Sie die PARTEI".
Der Satire-Hase war nicht zu stoppen. Um 12:57 musste der MDR im Sachsenradio den Audio-Wahlspot(t) Der Partei mit diesem Bürgerkriegs-Szenario ausstrahlen. "Aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung mussten wir den Spot senden", so die Ankündigung. Zuvor hörte man den Song "(I Just) Died in Your Arms".
Gerichte lehnen Beschwerde des MDR ab
Der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in Bautzen hat der Beschwerde des öffentlich-rechtlichen Senders nicht stattgegeben.
Tags zuvor schon das Verwaltungsgericht Leipzig vom 20. August 2024 für die Ausstrahlung entschieden, allerdings mit der Feststellung, wie die Leipziger Zeitung berichtete, dass "der Wahlwerbespot möglicherweise im Grenzbereich der Strafbarkeit anzusiedeln" sei. Das Gericht ging jedoch nicht davon aus, dass der Spot tatsächlich strafbar ist.
MDR: Verharmlosung von Gewaltaten
Der MDR begründete seine Beschwerde damit, dass der Wahlwerbe-Spot "Die Machtergreifung" in offensichtlicher und gewichtiger Weise gegen Strafvorschriften verstoße, insbesondere gegen § 131 StGB (Gewaltdarstellung) und § 140 StGB (Billigung von Straftaten). Der Sender argumentierte, dass das Erschießen von AfD-Wählern durch die Protagonisten im Spot eine Verharmlosung solcher Gewalttaten darstelle.
Für den Senat des Sächsische Oberverwaltungsgericht war jedoch eindeutig, "dass es sich erkennbar um Satire handle".
Der Wahlwerbespot setze sich aus dem hörspielartigen Dialog eines Ehepaars einerseits und dem Schlusssatz (…) andererseits zusammen. Der Dialog des Ehepaars sei satirisch stark überzeichnet, was sich insbesondere in der deutlichen Überreaktion der Eheleute auf die Nachricht von der Vereidigung der neuen Regierung zeige, den geäußerten Beleidigungen sowie dem übertriebenen Dialekt der Sprecher.
Die satirische Übertreibung zeige sich auch in besonderem Maße in der als unnatürlich verstellt empfundenen Stimme der Ehefrau.
Für einen unbefangenen Hörer dränge sich der satirische Charakter mit dem Hören der ersten Sätze des Dialogs geradezu auf und werde mit der Auflösung durch den nüchtern-sachlichen Schlusssatz bestätigt.
Medieninformation 14/2024
"Der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar", heißt es am Ende der Pressemitteilung.
"Ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung?"
Ole Schröder, der juristische Direktor des MDR, erklärte nach der Entscheidung des Gerichts, dass man sich daran halten werde. Bei seiner Beschwerde sei es dem Sender im Kern um die Frage gegangen: "Darf eine Partei mit dem Mittel der Wahlwerbung suggerieren, dass das Erschießen von Menschen, die eine andere Partei gewählt haben, ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist?"
Im Sender sei man der klaren Auffassung, dass dem nicht so sei. "Deshalb haben wir die Ausstrahlung des Spots abgelehnt."
Kategorischer Ernst gegen Sketch
Was auch immer man vom Witz der Satire der Partei halten mag, hier offenbart der Sender eine eigentümlich von einem kategorischen Ernst verengte, aber eben nicht ernsthafte Auffassungsgabe von Form und Inhalt des Werbespots, der ja ausdrücklich ein solcher ist und eindeutig keine Abhandlung – auch keine suggestive – über "legitime Mittel der politischen Auseinandersetzung".
Das Hörstück, das von der Partei im Werbeclip aufgeführt wird, spielt mit einem Bürgerkriegs-Szenario – das durch eine Menge gegenwärtiger politischer Fantasien geistert –, mit Mitteln des Sketches, der auf brachiale Pointen aus ist.
Da werden keine Argumente von Experten ausgetauscht, sondern da mimen und überzeichnen Schauspieler empörte Kleinbürger, mit Anspielungen und Zitaten aus einem öffentlichen Repertoire, "Hase, du bleibst hier", "Jetzt wird zurückgeschossen" und der Kleene ist auch kein Kind aus der Nachbarschaft, auf das geschossen wird, weil er ja "seit Jahren" die AfD wählt.
Zudem: Keine der beiden Sprecherfiguren ist so angelegt, dass man sich mit ihnen identifizieren müsste, um das Stück zu verfolgen, sie sind bloße Persona, Darsteller von Zitaten.
Auf der Plattform X (vormals Twitter) gab es erwartungsgemäß empörte Kommentare zum Wahlwerbe-Spot. Nutzer bezeichneten die Partei als "Clowns", als "Faschisten" und ihre Aktion als "geschmacklos" und "Volksverhetzung".