Machtspiele: Saudi-Arabien verschärft Konflikt mit Iran

Der westliche Alliierte, der angeblich für Stabilität steht, erweist sich immer stärker als Garant für Instabilität - auch in Syrien

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man darf weiterhin rätseln, warum Saudi-Arabien an einem Tag 47 Menschen in einen Massenexekution getötet hat, darunter auch 4 schitische Dissidenten wie den bekannten schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr, der es gewagt hatte, die saudische Monarchie und deren Unterdrückung der schiitischen Minderheit zu kritisieren. Die meisten Exekutionen wurden ganz nach IS-Stil durch Köpfung erledigt, einige auch durch Erschießung. Im Unterschied zum normalen Prozedere bei den Saudis und dem IS waren dieses Mal die Exekutionen nicht öffentlich.

Ganz offensichtlich ging es den saudischen Herrschern, die seit Monaten einen Krieg im Jemen gegen die dortigen Schiiten führen, um eine Provokation, die auch gezündet hat, da Teheran sich als Hüter der Schiiten sieht. Ajatollah Ali Chamenei, der oberste geistliche Führer Irans, ergriff die Gelegenheit, um der saudischen Regierung schnell mit der "Rache Gottes" zu drohen (Ayatollah Khamenei: Göttliche Rache für das Todesurteil). Die Revolutionsgarden drohten mit "Vergeltung", in Teheran stürmten wütende Demonstranten die allerdings leere saudische Botschaft, zerstörten Möbel und legten Feuer, bis sie von der Polizei wieder vertrieben wurden. Der iranische Präsident Hassan Rouhani verurteilte die Stürmung als nicht akzeptabel und rechtfertigbar.

Nimr könnte für die Schiiten zum Che Guevara der Region werden.

Im Osten Saudi-Arabien kam es zu Protesten der schiitischen Minderheit, gegen die die saudischen Sicherheitskräfte offenbar gewohnt scharf vorgegangen sind. Proteste gab es auch wieder von der schiitischen Mehrheit in Bahrain, die die Führung des Landes mit der militärischen Hilfe Saudi-Arabiens 2011 brutal unterdrückten.

Die Erregung dient vor allem den auf Konflikt ausgerichteten konservativen Fraktionen in Saudi-Arabien und Iran. Saudi-Arabien konnte sich so einer Solidarität der sunnitischen Länder sicher sein, die sich wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, der Sudan, Ägypten oder die sunnitische Regierung im Jemen hinter die Monarchie stellten.

Saudi-Arabien unter Führung des Königs Salman nutzte den provozierten Konflikt, um die Spannung mit Iran zu vertiefen. Gestern verkündete der saudische Außenminister Adel bin Ahmed Al-Jubeir den Abbruch aller diplomatischen Beziehungen mit dem Iran und forderte das iranische diplomatische Personal auf, das Land binnen 48 Stunden zu verlassen. Teheran sei eine regionale Bedrohung, würde Waffen schmuggeln, den Terrorismus unterstützen und habe nach 2001 al-Qaida-Mitglieder beherbergt. Die saudischen Diplomaten wurden aus Teheran abgezogen und befinden sich bereits in Dubai.

Man wird sich erinnern, dass Saudi-Arabien, das zwar der Anti-IS-Koalition beigetreten ist, aber sich praktisch nicht engagiert hat, abgesehen von Waffenlieferungen an sunnitische Oppositionsgruppen, gleich nach dem Durchbruch bei dem Atomabkommen mit dem Iran mit dem Luftkrieg gegen die schiitischen Aufständischen im Jemen begonnen hatte - zusammen mit einer Koalition sunnitischer Länder und mit Unterstützung der USA, die auch Raketen für die Fortsetzung des Kriegs lieferten. Zeitgleich mit der Massenexekution beendete Saudi-Arabien auch den am 15. Dezember vereinbarten Waffenstillstand, weil die Houthis diesen ständig verletzt und mehr Raketen über die Grenze nach Saudi-Arabien abgeschossen hätten.

Mit dem verschärften Konflikt zwischen den beiden Regionalmächten wird, was Saudi-Arabien, das aufgrund des Ölpreises unter schwindenden Geldemengen leidet, wohl auch beabsichtigte, eine Lösung in Syrien erst einmal unmöglich. Schwierig dürfte die Situation auch im Irak werden. Der innermuslimische Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten überdeckt dabei nur die Strategien, zum regionalen Machtzentrum zu werden. Die Stellvertreterkriege zwischen den Milizen in Syrien, im Irak und im Jemen, die auch al-Qaida und den IS stärken, dienen geopolitischen Interessen und der Machterhaltung im Iran und in Saudi-Arabien, wo sich die führende Schicht mit dem Klammern an die Religion gegen die Liberalisierung stemmt.

Im Hintergrund könnte auch stehen, dass die USA neue Sanktionen gegen den Iran erwägen, obgleich dieser die Zusage eingehalten hat, angereichertes Uran an Russland zu übergeben. Die USA wirft dem Iran vor, Raketen in der Nähe von amerikanischen Kriegsschiffen abgefeuert zu haben, was der Iran abstreitet. Weil der Iran überdies Raketentests vorgenommen hat, die nach US-Sicht auch Nuklearsprengköpfe tragen können, drohte der republikanisch dominierte Kongress mit Sanktionen, der das Abkommen mit dem Iran sowieso verurteilt. Der iranische Präsident Hassan Rouhani, der eigentlich für Entspannung und Liberalisierung eintritt, sah sich dann genötigt, die Drohung als Eingriff in die iranische Souveränität zu betrachten und das Verteidigungsministerium zu beauftragen, mehr Raketen zu bauen. Saudi-Arabien könnte also darauf setzen, dass US-Präsident Obama, der die Annäherung an den Iran mitgetragen hat, bald das Feld räumen muss und dass die Republikaner eher auf der Seite Saudi-Arabiens stehen.