Macron: "In fünf Jahren gibt es keine Gründe mehr, Extremisten zu wählen"

Rede Macrons am Wahlabend. Screenshot, Liveübertragung

Nach der krachenden Wahlniederlage will Marine Le Pen den Front National zu einer neuen politischen Kraft mit neuem Namen umformen

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Man kann nur hoffen, dass die Politik des neuen französischen Präsidenten besser ist als seine Reden. Zweimal hat Emmanuel Macron in der Nacht seines großen Erfolges eine Rede an le peuple français gerichtet. Einmal kurz nach 21 Uhr, dann, nicht ganz zwei Stunden später, an der Louvre-Glas-Pyramide vor einer größeren Menge seiner Anhänger. Beide Reden waren getragen von Pathos und inhaltsleeren Gemeinplätzen.

Zur ersten Rede wurde in der Fernsehdiskussion bei France 2 in der Politikerrunde angemerkt, dass Macron gut daran getan habe, jegliche Siegerattitüde zu vermeiden und sich verhalten zu präsentieren. Das sei staatsmännisch, so müsse ein Präsident auftreten. Bei der zweiten Rede war Macron etwas lockerer, er lächelte.

Die Aussparung der Alltagswirklichkeit

Die Reden selbst waren wie die Fortsetzung seiner Wahlkampagne, große leere Sonntags-Phrasen, die an die Einigkeit der Franzosen appellierten, an ihren Wunsch nach Sicherheit, an ihre Hoffnung auf bessere Verhältnisse. Es waren Reden vom Reißbrett der Kommunikationsabteilung, ohne eine persönliche Note, unverbindlich, jede alltägliche Wirklichkeit vermeidend, brav. Es gab nach der ersten Rede in sozialen Netzwerken rasch Repliken, die zeigten, dass Hollande bei seiner Siegesrede 2012 sehr ähnlich gesprochen hatte.

Das ist nicht nebensächlich. Deutlich zu sehen war in der ersten Wahlrunde, dass die französischen Wähler der Regierungspartei auf frappante Weise ihren Missmut gezeigt haben. Die Stimmung der Wähler stand auf Wechsel, raus aus der Stagnation.

Politik-Wechsel mit Macron?

Die nicht auf Mainstream gebürstete Linke unter Mélenchon erhielt so viele Stimmen wie nie zuvor, das Gleiche gilt für die rechtsnationalistische Le Pen. Beide, die für extremere Positionen außerhalb der Mitte stehen, erhielten jeweils über 7 Millionen Stimmen. Und Le Pen im zweiten Wahlgang über 11 Millionen. Darüber muss sich die neue Regierung Gedanken machen. Die Kritik an der bisherigen Politik kann man nicht einfach übergehen.

Angesichts dieser Stimmabgaben, zu denen noch der beachtlich hohe Anteil an Verweigerern der Wahl-Alternative Macron/Le Pen gezählt werden muss - 12 Prozent leere Stimmzettel ("votes blancs et nuls") und 25 Prozent Enthaltungen sind ein klares Zeichen dafür, dass die Mehrheit Macrons nicht so überwältigend ist, wie es scheint - , liegt die Erklärung für die Mondschein-Reden Macrons nahe: Er bemühte die französische Tradition des Rassemblement, der Versammlung aller unter einem gemeinsamen Dach, und suchte nach unverfänglichen gemeinsamen Nennern. Er fand "Sicherheit und Hoffnung".

Anders als Hollande versprach er nichts Konkretes. Hollande hatte versprochen, dass er sich daran messen lasse, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Macron kann das nicht versprechen. Frankreich hat nicht genügend Arbeitsplätze für ein solches Versprechen, worauf kritische Analysen seines Wirtschaftsprogramms aufmerksam machen.

Der Technokrat der Flexibilisierung

Aber anders als der Regierung Hollande stehen ihm aller Wahrscheinlichkeit nach weniger Hürden im Weg, um ein rigideres Wirtschaftsprogramm durchzusetzen, das sich deutlicher an den Wünschen der Arbeitgeber orientiert, als dies die PS-Sozialdemokraten zulassen konnten. Bei zwei Gesetzen, dem Arbeitsgesetz und dem vorgängigen Gesetz Macron, zeigten sich existentielle Risse in der PS.

Macron ist für die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, d.h. für eine Auflösung der 35-Stunden-Woche, er will Steuererleichterungen für Unternehmen, bessere Konditionen der Arbeitgeber für Kündigungen und für Anstellungen über Kurzzeitverträge sowie eine Reform der Arbeitslosenversicherung. Dies alles war mit dem linken Flügel der PS nicht zu haben.

Nun geht der Wahlkampf in die nächste Runde. Am 11. und am 18 Juni finden die beiden Runden zur Wahl der Abgeordneten der Assemblée Nationale statt. Macron braucht Mehrheiten. Zwar hatte er angekündigt, die ersten Entscheidungen über präsidentielle Ordonances durchzuführen, aber auf lange Frist braucht er Rückhalt im Parlament.

Dazu gibt es nun, wie der TV-Abend bei France 2 zeigte, wo sich bekannte Politiker auf den Studiositzen abwechselten, interessante Konstellationen, die dann zum Beispiel PS/Mehrheit Macron oder Les Republicains/Mehrheit Macron ergeben könnten: Von Fall zu Fall wird, wie die Politiker äußerten, würde dann nicht nach "Partei" entschieden, sondern danach, ob ein Gesetzesvorschlag passabel erscheint.

Angesichts dieser Konstellation ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Mehrheiten für Gesetzgebungen finden lassen, die in Richtung Flexibilisierung, Kürzung von Sozialleistungen, Ausdehnung der Arbeitszeiten, erleichterte Kündigung, Steuererleichterungen für Unternehmen usw. gehen.

Auch das Wirtschaftsprogramm von Macrons schärfster Konkurrentin, Marine Le Pen, hatte deutliche "neoliberale Elemente", wie die bereits genannten kritischen Ökonomen der Économistes atterrés herausstellen.

Frankreich wählt gegen Le Pen

Die Gründe für die Niederlage von Marine Le Pen dürften nicht in ihrem Wirtschaftsprogramm liegen, auch wenn der undeutliche Kurs, den sie in der EURO-Frage aus wahltaktischen Gründen genommen hatte, eine Rolle gespielt hat. Sie hat damit, wie Interviews des genannten Fernsehsenders vorführten, einige Anhänger verwirrt, die auf einer radikalen Ablehnung des Euro bestanden haben.

Die Niederlage schmerze, es gebe Lektionen, die man aus der Wahl ziehen müsse, sagte die Nichte von Marine Le Pen, Marion Maréchal Le Pen, die politisch noch weiter rechts verankert ist. Die Diskussionen werden wohl, ähnlich wie in der AfD, darüber geführt werden, wie weit sich der FN vom Mainstream entfernen kann, wie radikal sich die Partei darstellen soll.

Marine Le Pen kündigte am Wahlabend eine Transformation der Partei an. Aus dem FN soll eine neue politische Kraft entstehen, kündigte sie an, auch ein neuer Name ist im Gespräch - zum Missfallen ihres Vaters.

Die alte DNA der Partei zum Verschwinden bringen

Die faschistische, rechtsextreme Vergangenheit des Front National war ganz sicher ein Grund für die Niederlage Le Pens. Als am Ende des Wahlkampfs auch noch Holocaust-Leugner in ihrem Team auftauchten, fand sich der Argwohn bestätigt, dass die "Entteufelung" (dédiabolisation) der rechtsnationalen Partei nur oberflächliche Kosmetik ist, in die Marine Le Pen viele Jahre gesteckt hatte. Immer wieder tauchten Nachrichten von Personen im Hintergrund auf, die auf nach wie vor arbeitende rechtsextreme Herzkammern der Partei schließen ließen.

Die Fremdenfeindlichkeit, die auch in den Aussagen Marine Le Pens deutlich hervortrat, ist in Frankreich nicht mehrheitsfähig und man möchte dem freudig, gerne und uneingeschränkt ein "zum Glück" hinzufügen und gratulieren, wenn nicht anderes dazu käme, das den Wahlkampf eben auch prägte.

Einmischung der Universitäten

Er wurde mit Unisono-Kampagnen und einer beträchtlichen Mediengewalt gefahren, die auf "das Gute" setzte, aber dabei mit Mitteln vorging, die man sich schnell verbieten würde, wenn es um andere politische Gegner geht. So zum Beispiel die Aufrufe einer größeren Anzahl von Universitätsleitungen an ihre Studenten, für Macron zu stimmen.

Aber davon abgesehen gab Marine Le Pen beim letzten Fernsehduell zu erkennen, dass ihr Programm wenig konkrete Überzeugungskraft hat. Sie holzte.

In fünf Jahren, so das Versprechen Macrons von gestern Abend, soll es keine Gründe mehr geben, Extremisten zu wählen. Bei allem Undurchsichtigen, das den Technokraten Macron umgibt, was den Schriftsteller Houellebecq dazu veranlasste, von einem "Mutanten" zu sprechen: Er zeigt Respekt gegenüber den Opfern, die Frankreich in seiner Kolonialzeit verursachte, und Macron ist kein Rassist. Er gratulierte auch Le Pen, was anzeigt, dass sie einen erheblichen Schritt weiter in den politischen Mainstream gekommen ist. Sie gehört jetzt auch zur Republik.

Nachtrag: Das offizielle Wahlergebnis

Inzwischen ist die offizielle Auszählung veröffentlicht. Wahlberechtigt, in die Wählerlisten eingeschrieben, waren: 47.568.588 Französinnen und Franzosen.

20.753 798 stimmten für Macron. Er erhielt also trotz seines 66,1 Prozent-Sieges gemessen an der Gesamtzahl der Wahlberechtigten keine Mehrheit. Aber er bekam beinahe doppelt so viele Stimmen wie Marine Le Pen (10.644.118). Der Abstand zu seiner Konkurrentin fällt also deutlich aus.

Mit 12.101.416 Wahlenthaltungen belegten die Wahlverweigerer, wenn man dies so formulieren will, den 2. Platz - vor Marine Le Pen. In Prozenten beträgt der Anteil der "Abstentions" 25,44%. Über 4 Millionen (!) Wähler gingen zu ihrem Wahlokal, um mit einem leeren oder ungültigen Stimmzettel auszudrücken, dass sie mit den Kandidaten, die zur Wahl standen, nicht einverstanden waren. 3.019. 724 gaben einen leeren Stimmzettel ab (votes blancs), 1. 049 532 einen ungültigen Stimmzettel (votes nuls).