Maidanmorde: Aussagen weisen erneut auf Täter aus den eigenen Reihen

Seite 3: Pashinsky droht mit Vergeltung

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Der nun auch von Nadja Savchenko belastete Pashinsky wurde von dem israelischen TV-Team ebenfalls interviewt. Einerseits räumt er ein, dass Maidankämpfer in der Westukraine Polizeistationen gestürmt und dabei Schusswaffen erbeutet hätten, die sie schließlich nach Kiew auf den Maidan brachten. Zu den bewaffneten Straßenkämpfen sagt er, man könne sich im Angesicht seines Feindes in einer Höhle verkriechen oder sich dem Feind, also der Polizei, stellen. "Wir haben ihnen in die Augen gesehen." Andererseits droht Pashinsky den Geständigen offen vor der Kamera:

Über diese Georgier habe ich schon mit meinen georgischen Kollegen gesprochen. Ich werde diese Debilen fangen, dafür dass sie erzählen, dass ich ihnen befohlen haben soll, Leute zu erschießen. (…) Meine jüdischen Freunde hier in Kiew sagen: 'Bei uns in Israel wären sie schon zerfetzt worden.' [zur Reporterin gewandt] Wenn ich aber sagen würde, ich bitte meine israelischen Freunde, diese Typen zu zerfetzen, dann wären wir sicherlich zehn Jahre im Streit.

Pashinsky

Auch der ukrainische Chefermittler Sergej Gorbatyuk kommt in der Reportage zu Wort. Er beklagt, dass die Regierung in den vier Jahren der Untersuchungen zum Maidan-Massaker nicht an Unterstützung bei den Ermittlungen interessiert war. Erstmals trifft der Beamte solch eine bemerkenswerte Aussage öffentlich. Damit bestätigt auch er Nadja Savchenkos aktuelle Aussage.

Vor Gericht stehen Polizisten

Vor Gericht in Kiew sind jedoch frühere Berkut-Polizisten angeklagt, denen die GPU vorwirft, gemeinsam mit inzwischen geflohenen Ex-Kollegen den Massenmord vom 20. Februar 2014 begangen zu haben. Bereits im Dezember 2017 hatten deren Anwälte Alexander Goroshinsky und Stefan Reshko zwei der geständigen Georgier, Alexander Revazishvili und Koba Nergadze, getroffen und ihre Aussagen für die Gerichtsverhandlungen protokolliert.

Zudem sagten die Georgier beim Treffen mit den Anwälten vor der Kamera aus, dass sie zu einer Befragung durch das Gericht per Videoschalte bereit seien. Genauso war das Gericht bereits bei der Befragung des früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch verfahren.

Einige Tage später stimmte das Gericht einer Videobefragung der beiden Georgier zu. Auch das Büro des ukrainischen Generalstaatsanwalts hält die Befragung für "sinnvoll", wie es in einer Meldung der Kiyv Post hieß. In einer ersten Reaktion Ende November hatte der Chefermittler die georgischen Geständnisse noch als "Fake" bezeichnet. Doch laut Berkut-Anwalt Goroshinsky blockiere seither das ukrainische Justizministerium die Befragung der Georgier durch das Gericht.

Auch die gerichtliche Befragung des von den Männern belasteten früheren georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili am 13. Februar 2018 konnte nicht stattfinden, da dieser einen Tag vor dem Gerichtstermin mit Gewalt durch ukrainische Sicherheitsbehörden aus dem Land entfernt wurde. In einer TV-Debatte im November hatte er die Vorwürfe seiner Landsleute als Propaganda russischer Agenten bezeichnet. Nach einer Befragung in dieser Angelegenheit durch die GPU Anfang Januar 2018 sagte Saakaschwili:

Das ist eine russische Geschichte, in der behauptet wird, dass ich, während ich Präsident von Georgien war, angeordnet habe, dass Scharfschützen hierher geschickt werden, um Menschen auf dem Maidan zu erschießen. Aber ich war damals nicht Präsident von Georgien, und ich kam als Privatperson hierher.

Saakaschwili

Seine persönliche Anwesenheit zum fraglichen Zeitpunkt auf dem Maidan bestritt er nicht. Auch Saakaschwili kritisiert, dass hohe politische Verantwortliche der heutigen Ukraine die Aufklärung der Maidanmorde verhindern.

Die beiden wichtigsten Fälle dieser Epoche - die Vergiftung von Viktor Juschtschenko und die Schießereien auf dem Maidan - sind immer noch nicht untersucht worden. Das heißt, es gibt Leute in der ukrainischen Führung, die nicht daran interessiert sind, dass diese Fälle aufgeklärt werden.

Saakaschwili

Morde an Polizisten werden nicht ermittelt

Die Morde an knapp 20 Polizisten vom 18. bis 20. Februar in Kiew werden aufgrund eines Amnestiegesetzes nicht juristisch verfolgt. Hierzu liegt bereits seit Jahren ein Geständnis vor: Der damalige Maidankämpfer Ivan Bubentschik hatte erstmals im November 2014 und danach noch mehrmals öffentlich eingeräumt, am Morgen des 20. Februar 2014 vom Konservatorium am Maidan mit einer Kalaschnikow zwei Polizeikommandeure gezielt erschossen und mehrere weitere gezielt verwundet zu haben (Maidan: "Ich schoss ihnen ins Genick").

Die inzwischen fünf geständigen Georgier sind jedoch die ersten, die öffentlich bezeugen, dass eine Tätergruppe von Maidangebäuden aus sowohl auf Polizisten als auch Demonstranten geschossen hat. In einer Sputnik-Reportage vor einigen Wochen hatten zwei Georgier bereits ihre Flugscheine und somit potenziell überprüfbare Belege für ihre Aussagen vorgelegt. Die Tickets seien zum Teil auf Decknamen ausgestellt. Der vermeintliche Zeuge Alexander Revazishvili sei aber unter seinem echten Namen geflogen.

Spur nach Deutschland

Eine Spur führt hierbei auch nach Deutschland: Auf den ausgedruckten elektronischen Flugscheinen, die die Georgier sowohl Sputnik als auch Iland.TV vorlegten, ist jeweils das deutsche Unternehmen Hahn Air als "Issuing Airline" angegeben. Die kleine Fluglinie aus Dreieich, gelegen zwischen Darmstadt und Frankfurt am Main, hat sich nach eigenen Angaben auf den indirekten Ticketvertrieb für andere Fluggesellschaften spezialisiert.

Die fraglichen Flüge wurden demnach über ein Reisebüro gebucht, das die Anfrage über ein internationales Reservierungssystem an Hahn Air weiterleitete. Interessant ist dieser Hinweis, weil somit in Deutschland Informationen über diejenigen vorliegen könnten, die die Flüge gebucht und bezahlt haben. Da laut den Schilderungen der Georgier anzunehmen ist, dass sie die Flüge nicht selbst organisierten, könnte dies ein direkter Weg zu den Hintermännern oder zumindest zu weiteren Mitwissern des Maidanmassakers sein.

Sabine Ullrich, Pressesprecherin von Hahn Air, erläutert jedoch gegenüber Telepolis, dass ihrem Unternehmen auf diesem Buchungswege keine weiteren Daten als lediglich die Namen von Passagieren vorliegen. Letztlich besitze nur das Reisebüro die entsprechenden Informationen über die Identität der Buchenden, so Ullrich weiter. Von welchem Reisebüro die Tickets bestellt wurden, wollte sie nicht mitteilen. Zur Authentizität der Tickets wollte sich Ullrich ebenfalls nicht äußern: "Auf dem Ticket sind Daten genannt, die personenbezogen sind und somit kann ich keine Auskunft geben."

Georgische Fluglinie ignoriert Presseanfragen

Ausgeführt wurden die Flüge zwischen Tiflis und Kiew von Georgian Airways. Die georgische Fluggesellschaft ließ bis heute zwei Presseanfragen von Telepolis zur Authentizität der Tickets, zur Abfertigung der Flüge sowie zur Anwesenheit der fraglichen Personen an Bord unbeantwortet. Zwar liegen auch der ausführenden Fluglinie, laut Sabine Ullrich, bei Buchungen über Reisebüros keine weiteren Daten über Passagiere vor. Doch könnte Georgian Airways immerhin bestätigen, ob die entsprechenden Flüge von den fraglichen Personen überhaupt angetreten wurden.

Diese Informationen würden die Glaubwürdigkeit der Georgier entscheidend stärken oder entkräften. Die Männer hätten keine Belege für ihre Anwesenheit auf dem Maidan vorgelegt, kritisierte der "Faktenfinder" der Tagesschau Anfang Dezember 2017. Nach Faktenfinderangaben soll zumindest einer der Zeugen, Alexander Revazishvili, während des Maidan in einem georgischen Gefängnis gesessen haben und habe somit nicht in Kiew aktiv gewesen sein können. Die Informationen der georgischen Fluglinie haben also entscheidende Bedeutung.

Behörden und große Medien sind gefragt

Die Recherchemöglichkeiten kleiner Medien wie Telepolis enden an dieser Stelle. Nun sind Ermittlungen georgischer oder ukrainischer Behörden gefragt. Eine weitere Möglichkeit, Licht ins Dunkle zu bringen, sind Recherchen großer Medien mit entsprechenden Ressourcen. Doch zumindest bei Hahn Air fragte in dieser Angelegenheit lediglich ein polnischer Journalist nach, erklärte Pressesprecherin Sabine Ullrich gegenüber Telepolis.

Warum etwa die ARD dieser Spur in Deutschland nicht nachgeht, ist nach journalistischen Kriterien kaum zu erklären. Laut ARD-Aktuell-Chef Kai Gniffke recherchiert sein Sender in dieser Angelegenheit, habe bislang aber keinen ausreichenden Recherchestand erreicht. Dazu folgt Anfang der Woche ein Artikel von Paul Schreyer.

Immerhin berichtete am Donnerstag auch die große US-Nachrichtenagentur Associated Press über die Vorwürfe von Nadja Savchenko. Die New York Times und die Washington Post übernahmen die Meldung. Ob dies auch Recherchen im deutschen Medien-Mainstream zur Folge hat, bleibt allerdings abzuwarten.