Mammut-Militärausgaben in Polen

Polens Premier Morawiecki und US-Präsident Joe Biden. Archivbild: Chancellery of the Prime Minister of Poland / CC-BY 3.0

Vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts will das Land für Aufrüstung locker machen. Womöglich übernimmt sich die PiS-Regierung: Die Inflation beträgt 17 Prozent.

Polen will zur Militärgroßmacht im europäischen Raum aufsteigen. Allein in diesem Jahr sollen umgerechnet 27,5 Milliarden Euro für Verteidigungszwecke investiert werden – das sind etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es ist das Doppelte der Aufwendungen, die von Nato-Mitgliedern offiziell erwartet werden.

Zum Vergleich – in Deutschland lagen die Militär-Ausgaben im vergangen Jahr bei rund 1,5 Prozent, für dieses Jahr ist eine Steigerung auf 1,6 Prozent vorhergesagt. Dass Polen, welches sowohl mit Russland wie mit der Ukraine eine Grenze teilt, nicht kleckert, sondern klotzt, zeigte sich auch am Dienstag in dem ostpolnischen Ort Stalowa Wola.

Dort unterzeichnete Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak einen Vertrag mit den polnischen Rüstungsunternehmen "PGZ" und "Huta Stalowa Wola" über den Bau und die Lieferung von mehr als 1.000 schwimmfähigen Schützenpanzern des Typs "Borsuk" (Dachs).

"Das ist das größte Militärprojekt seit 50 Jahren", so der nationalkonservative Politiker. "Es liegt uns daran, den Aggressoren abzuschrecken, darum müssen die polnischen Streitkräfte deutlich wachsen." Polens kommende Ausgaben hängen auch mit den Lieferungen an die Ukraine zusammen.

Bekanntestes Beispiel ist die erste Anlieferung von Leopard-2-Panzern – vier Stück wurden am Wochenende aus polnischen Beständen in das östliche Nachbarland geliefert. Zehn weitere sollen folgen. Der Ukraine wurden im Januar 80 bis 100 Exemplare des "Dachs"-Vorgängermodells BWP-1 zugesagt.

Geplant ist auch die Lieferung von 60 Panzern anderen Typs, darunter 30 des "PT-91 Twardy", einer von Polen in den 1990er-Jahren modernisierten Variante des T-72. Erwähnt sei auch der bereits geschehene Transfer von 260 Panzern sowjetischen Typs (T-72) und weiterer Rüstungsgüter wie Panzerhaubitzen und Raketensysteme.

Die nationalkonservative Führung in Warschau gilt als lautester Befürworter einer umfassenden Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte, Regierungschef Mateusz Morawiecki appelliert an Nato-Mitglieder im Verbund, die Ukraine mit Kampfflugzeugen zu beliefern. Polen zeigt sich bereit, eigene MIG-Flugzeuge den Ukrainern zu vermachen, sollten andere Staaten mitmachen.

Neben Aufträgen an die heimische Rüstungsindustrie wird auch im Ausland umfangreich eingekauft: Anfang Januar vereinbarte die Führung in Warschau einen Deal über 116 gebrauchte M1A1-Abrams-Panzer sowie 250 modernere Versionen des amerikanischen Kampfpanzers im Wert von umgerechnet knapp sechs Milliarden Euro.

Hinzu kommen bestellte 18 HIMARS-Antiraketensysteme für insgesamt zehn Milliarden Dollar. Aus Südkorea wurden im vergangenen Sommer zudem 180 Kampfpanzer K2 -für umgerechnet 5,5 Milliarden Euro angefordert, 820 weitere dieser Fahrzeuge sollen in Lizenz in Polen hergestellt werden.

Polen soll für Washington erste Adresse werden

Es folgen 48 FA-50 Kampfjets aus dem asiatischen Land sowie aus den USA 32 der hochwertigeren F-35 Kampfflugzeuge, dazu Hubschrauber aus Italien und Jeeps aus Großbritannien. Deutschland und Frankreich mit ihren großen Waffenschmieden gingen bei den umfassenden Rüstungsdeals jedoch leer aus.

Letztere will Polen militärisch bis 2035 überrundet haben und die größten Streitkräfte der Nato-Mitglieder in Europa stellen. Neben dem Bereithalten von Wehrkapazitäten für den Fall einer russischen Invasion geht es dabei um das Kalkül, von Washington als erste Adresse in kollektiven Sicherheitsfragen angesehen zu werden.

Die derzeitige Personalstärke von 150.000 Soldatinnen und Soldaten hätte sich dann verdoppelt. Es gibt jedoch viele Kritiker, darunter Ex-Generäle, die das Aufstocken auf 300.000 als nicht einhaltbares Versprechen ansehen, zumal eine Welle von Abgängen aus Altersgründen bei den polnischen Streitkräften ansteht.

Im Nordosten soll zumindest bald eine neue Division stationiert werden, so der Beschluss des Verteidigungsministeriums. Schon allein die Schaffung dieser fünften Division für das polnische Heer wird umgerechnet über 21 Milliarden Euro kosten. Die dritte Division in der Region solle den Zugang für russische Truppen "verschließen", heißt es dort. Eine Division ist ein militärischer Großverband mit einer Stärke von 10.000 bis 30.000 Personen.

Von Militärstrategen wird von russischer Seite ein Angriff auf die sogenannte Suwalki-Lücke befürchtet. So wird das polnische und litauische Territorium genannt, das den Oblast Kaliningrad vom russlandnahen Staat Belarus abtrennt. Russlands Streitkräfte könnten von beiden Seiten angreifen und einen Korridor schaffen, der zugleich die baltischen Länder von den anderen Nato-Mitgliedern abschneidet.

Die Frage ist jedoch, ob das Land diese mit Krediten finanzierten Aufträge stemmen kann. Neben dem Massenauftrag für die Dachs-Panzer machte auch der dramatische Rückgang des Bruttoinlandsprodukts am Mittwoch Schlagzeilen – im vierten Quartal sei es im Vergleich zum dritten um 2,4 Prozent zurück gegangen. Eine historische Zahl, so die Experten.

An dem Rücklauf sei vor allem das Kaufverhalten der Polen schuld, die seit Herbst mit einer Inflation von rund 17 Prozent gebeutelt sind.

Auch ist unsicher, ob und wann Polen die Milliarden Euro aus Strukturfonds und aus Aufbauhilfen für die Pandemie-Schäden erhalten wird. Die EU-Kommission hält die Gelder zurück, da das Land gegen Rechtsstaatlichkeitsnormen verstoße, und seine Rücknahmen der Reformen bislang nicht genügend seien. Darum laufen derzeit innerhalb des Regierungslagers Machtkämpfe darüber ab, wie weit man den Forderungen aus Brüssel nachgeben will.

Polens Europaminister Szymon Szynkowski, der sich selbst als "Optimist" bezeichnet, rechnet erst Ende des Jahres mit einer Auszahlung.

Hinzu kommt, dass die derzeit schwächelnde Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ihren erhofften dritten Wahlerfolg im Herbst mit vielen Sozialversprechungen erkaufen will.