"Manche Regierungen greifen lieber zu indirekter Zensur"
Ein Gespräch mit dem Online-Aktivisten Alex Au-Waipang aus Singapur
Alex Au Waipang war ein Blogger, bevor es diesen Ausdruck gab: Schon seit zwölf Jahren publiziert in seinem Heimatland Singapur im Netz. Auf seiner Webseite Yawning Bread schreibt er über Politik und Kultur, kritisiert Politiker des Ein-Parteien-Staates Singapur und, besonders riskant in dem streng konservativen Land, tritt er für die Gleichberechtigung Homosexueller ein. Wir sprachen mit ihm am Rande einer Konferenz über die Bedeutung neuer Medien in Berlin, an der Au auf Einladung der Friedrich–Ebert–Stiftung und der Deutschen Welle teilnahm.
Während des Aufstands in Myanmar /Burma im Herbst letzten Jahres hat das dortige Regime kurzerhand den Zugang zum Netz gekappt. Wäre ein solches Vorgehen in Singapur auch möglich?
Alex Au Waipang: Unter den jetzigen Umständen scheint mir das völlig undenkbar! Seit Mitte der 90er Jahre fördert die Regierung das Internet mit aller Kraft, schließlich gilt es als Schlüsselelement für die wirtschaftliche Entwicklung. Alle Schulen begannen damals, den Umgang mit Computern und dem Internet zu unterrichten. Heute sind alle mit dem Internet vertraut. Deshalb muss die Regierung indirekte Formen der Kontrolle finden.
Theoretisch ist die Rechtslage sehr streng, seit vor einigen Jahren ein Gesetz über “verantwortungsvolles Verhalten” im Netz erlassen wurde. Es schreibt unter anderem vor, dass alle Webseiten registriert werden müssen. Dafür muss man ein umfangreiches Formular ausfüllen, mit persönlichen Angaben wie zum Beispiel dem Einkommen. Bis heute habe ich meine Seite nicht registrieren lassen! Außerdem gibt es ein Gesetz, dass die “Befürwortung von Homosexualität” unter Strafe stellt, was immer das bedeuten soll.
Am Anfang habe ich jeden Moment damit gerechnet, dass irgendwann die Polizei vor meiner Tür steht. Aber mittlerweile ist klar geworden, dass diese Gesetze gar nicht dazu gedacht waren, wirklich durchgesetzt zu werden. Bisher gab es nur einem Fall im Jahr 2005, als drei Leuten angeklagt wurden, die wirklich extreme rassistische Propaganda betrieben haben. Die Regierung setzt stattdessen auf Selbstzensur, auf indirekte Zensur. Sie hat die Kunst perfektioniert, die Nutzer zu ihren eigenen Zensoren zu machen. Es ist eine Art psychologischer Kriegsführung gegen die Bürger. Sie will ihnen Angst einjagen. Mit den Gesetzen sagen sie: “Wenn wir wollen und dich anzeigen, verlierst du deinen Job, du kommst ins Gefängnis! Also riskiere nicht zu viel.”
Die Grenzen des Möglichen ausgedehnt
Und geht diese Strategie auf?
Alex Au Waipang: Immerhin traut sich kaum jemand, seine Anonymität aufzugeben. Außerdem schreiben die Blogger oft über Personen von öffentlichem Interesse nur mit Anspielungen, ohne den richtigen Namen zu verwenden! Aber wie gesagt, bisher hat die Regierung noch nicht zu Repressalien gegriffen. Möglicherweise wird sich das irgendwann ändern, wenn mit der Zeit die Wirkung der Drohung nachlässt und die Leute sich weiter hervorwagen. Ich kann mir vorstellen, dass sie in einer angespannten politischen Situation, etwa während eines Wahlkampfs, die Spielregeln plötzlich ändern.
Angeblich lesen ja sogar Regierungsmitglieder Ihre Internetseite. Wie wurde Yawning Bread so einflussreich?
Alex Au Waipang: Ich kämpfe schon lange für gleiche Rechte für Schwule und Lesben. In den 90er Jahren war es aber völlig unmöglich, in den traditionellen Medien in Singapur dieses Anliegen bekannt zu machen. Über Homosexualität zu reden oder zu schreiben, galt bei den Redakteuren als völlig unmöglich. Ich habe am Anfang wirklich versucht, Leserbriefe zu veröffentlichen. Aber als das nicht funktioniert hat, dachte ich mir: “Was soll’s, jetzt probier ich es mit diesem merkwürdigen neuen Ding namens Internet!”
Damals musste man ja noch lernen, Quellcode zu schreiben. Mit der Zeit habe ich dann gemerkt, dass das Internet ein Medium für alle mögliche Themen ist, und ich begann, mich mit Politik zu beschäftigen, mit Kultur und wirtschaftlichen Themen. Meine Geschichte ist für Asien nicht so ungewöhnlich: Viele Homosexuelle in Asien stehen genau vor denselben Problemen. Die offiziellen Medien vermeiden alles, was die Regierungen nicht befürworten. Das gilt in China, Indonesien oder auch in Singapur. Das macht Bloggen attraktiv.
Weil Yawning Bread eine der ersten Seiten aus Singapur war, bekam ich viel Aufmerksamkeit, es bestand offenbar großes Interesse. Es gab kaum Konkurrenten und die Leserschaft wuchs sehr schnell. Ich schreibe in der Regel keine kurzen Kommentare, sondern eher Hintergrundberichte, was ja für einen Blog ziemlich ungewöhnlich ist. Mit der Zeit habe ich mir den Ruf erworben, dass auf Yawning Bread ernsthafte politische und soziale Diskussionen stattfinden.
Heute gehört die Seite mit ungefähr 10.000 Lesern in der Woche zu den fünf meist gelesenen Seiten, die in Singapur von Einheimischen für Einheimische geschrieben werden. Jedenfalls zu den fünf Seiten, die nichts mit Sex zu tun haben! Und unter diesen Lesern sind tatsächlich viele Politiker. Zum ersten Mal habe ich das von einem Bekannten erfahren, der mir erzählte, dass meine Seite regelmäßig in der wöchentlichen Pressezusammenfassung für das Kabinett auftaucht. Einmal bekam ich eine Email von einem Minister, der sich beschwerte, dass ich zu schlecht über ihn geschrieben hätte. Ich habe ihm dann vorgeschlagen, doch auf meiner Seite seine Sicht der Dinge darzulegen ...
Nicht schlecht für einen Online–Aktivisten ...
Alex Au Waipang: Ein bisschen stolz bin ich aber auf etwas anderes: Ich habe es möglich gemacht, dass über schwule Themen gesprochen werden kann. Schließlich hat mein Beispiel gezeigt, dass man nicht sofort verhaftet wird, wenn man das tut. Mit der Zeit habe ich die Grenzen des Möglichen noch weiter gedehnt. Am Anfang habe ich nur darüber geschrieben, dann habe ich Bilder veröffentlicht. Heute schreibe ich nicht mehr nur über gleiche Rechte, sondern über Sex! Immer fand ich einige Monate später heraus, dass mein Beispiel Schule gemacht hatte.
Wie ist die Situation in anderen asiatischen Ländern?
Alex Au Waipang: Alle Staaten versuchen auf die ein oder andere Art, das Internet zu kontrollieren. Indonesien ist einigermaßen freizügig, der Regierung dort machen ganz andere Probleme zu schaffen. Die Situation in Malaysia ist mit der in Singapur vergleichbar. In Vietnam hat sich das Internet noch nicht so weit verbreitet, dennoch sind die Machthaber dort sehr nervös. Wahrscheinlich werden sie bald in puncto Internetzensur von China lernen.
Kann das Netz überhaupt zu einem alternativen öffentlichen Raum für politische Meinungsbildung werden? Schließlich kann sich immer noch nur eine Minderheit den Zugang leisten.
Alex Au Waipang: Meiner Ansicht nach gibt es in Singapur den sogenannten „digital divide” kaum, ebenso wenig in Hongkong, Südkorea oder in Japan, übrigens auch nicht in den städtischen Regionen Chinas. Das ist anders als in Afrika! Heute gibt es in China mehr Internetnutzer als in den USA. Es gibt weniger eine digitale Kluft als eine soziale. In Ländern mit großen Unterschied zwischen den Armen und den Reichen ist Politik an sich eine Sache der Reichen. Die Technik ist unter solchen Umständen nicht notwendigerweise ein Mittel der Demokratisierung, sondern ein Instrument, um sich an der Macht zu halten, indem man den Informationsfluss kontrolliert.
In Deutschland spaltet sich die Szene: Während die meisten Blogs keine Leser finden, versuchen andere, mit dem Publizieren Geld zu verdienen. Gibt es ähnliche Tendenzen der Professionalisierung auch in Asien?
Alex Au Waipang: Sogar starke! Das beste Beispiel ist Ohmy News aus Südkorea, die am Anfang ein Gemeinschaftsblog über politische Themen waren. Mit der Zeit hatten sie immer größere Schwierigkeiten, die Qualität der Beiträge auf ihren Seiten sichern. Deshalb haben sie angefangen, einen “Herausgeber-Blogger” zu ernennen, “Reporter–Blogger”, “Fotografen–Blogger”. Sie ähnelten immer mehr einer normalen Medienorganisation, heute bezahlen sie ihre Mitarbeiter und haben Rechtsanwälte. Ähnliche Beispiele gibt es aus Malaysia.
Bei mir persönlich ist das etwas ähnlich, auch wenn ich kein Geld mit dem Schreiben verdiene. Mein Stil wird immer weniger subjektiv, ich lasse Gastkommentatoren bei mir veröffentlichen. Je länger ich dabei bin, desto mehr fange ich an, mich wie eine Zeitung zu benehmen. Ich mache mir schon Sorgen um meinen Markennamen, um Qualitätskontrolle, meine Glaubwürdigkeit und solche Dinge.