Markt und Eigeninteresse positiv, Kommunismus und Regierung negativ

Seite 3: Der Markt als menschliche Supermaschine

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Auch was den Markt betrifft, verwenden die Standardlehrbücher Methoden aus der Trickkiste der Manipulation statt wissenschaftlicher Analyse. So wird der Markt als Superakteur dargestellt, kreativ wie ein Mensch und automatisch wie eine Maschine.

Zunächst skizzieren Samuelson/Nordhaus den Markt als verlässliche Maschine: "Weil sie einen Ausgleich zwischen allen in der Wirtschaft wirkenden Kräften herstellen, bewirken die Märkte ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage." Dann heißt es - man beachte die Steigerung -, der Mark sei effizienter als der schnellste Supercomputer. Schließlich wird der Markt von einer Maschine zum aktiv handelnden Subjekt: "Und dabei, mitten in all diesem Trubel, lösen die Märkte selbsttätig die Probleme des Was, Wie und Für wen", schreiben Samuelson/Nordhaus.

All das - und darum geht es Silja Graupe - passiert allein auf der sprachlichen Ebene, Argumente dazu, wie Märkte funktionieren, werden erst gar nicht bemüht. Das aber sei fatal, denn schließlich würden hier angehende Ökonomen ausgebildet: "Es ist also in etwa so, als ob man angehenden Ingenieur_innen in ihren einführenden Lehrveranstaltungen erklärte, es säße ein deus ex machina in jeder Maschine und mehr müssten sie über dessen Funktionsweise nicht wissen", kritisiert Graupe.

Schlimmer als Werbung

Ein beliebter Manipulationstrick ist das Weglassen. Kognitionswissenschaftler wissen: Was nicht gesagt wird, wird auch nicht gedacht. "Denn wo die Worte fehlen, da können auch die Gedanken nicht etabliert werden oder langfristig bestehen. Die Schaltkreise in unseren Gehirnen werden nicht angeworfen, sie verkümmern!", zitiert Graupe Elisabeth Wehling. Lehrbücher wie von Mankiw und Samuelson/Nordhaus verhinderten gezielt die "plurale Aktivierung und Stärkung unterschiedlicher Frames". Sie machten das, was man in der Beeinflussungsforschung "Propaganda of Silence" nenne. Einseitigkeit wird gefördert und Alternativen ausgeblendet.

Die Konsequenzen sind fatal: "Der Großteil der zu erlernenden (vermeintlich wissenschaftlichen) Erkenntnisleistung rutscht gleichsam ins Unbewusste ab:" Studierende würden nicht mehr befähigt, eigenständig reflektierte Entscheidungen zu fällen, sondern sie würden indoktriniert, ihnen würden "unkritisch tiefsitzende Glaubenssätze, Weltanschauungen und Werte" vermittelt.

In der Werbung wüssten die Konsumenten immerhin prinzipiell, dass sie beeinflusst werden sollen - auch wenn nicht alle genau wissen, wie das im Einzelnen funktioniert. In den Lehrbüchern wird die Beeinflussung verschweigen, es handele sich daher klar um Manipulation im Sinne von verdeckter Einflussnahme, "die gezielt Schwächen der Rezipient_innen, insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit zur kritischen Reflexion" ausnützt.

Wirkmächtige Ökonomen

Die Folgen solcher Manipulationen gehen aber über das Studium hinaus. Silja Graupe verweist darauf, dass sich zwei so unterschiedliche Ökonomen wie John Maynard Keynes und sein Gegenspieler Friedrich August Hayek einig gewesen seien, welche große Macht ökonomische Theorien haben. "Die Idee der Ökonomen und politischen Philosophen, gleich ob sie richtig oder falsch sind, sind mächtiger als allgemein angenommen wird", schrieb Keynes 1936. "In Wirklichkeit wird die Welt von kaum etwas anderem regiert." Und Hayek 1980: "Die Macht abstrakter Ideen beruht in hohem Maße auf eben der Tatsache, daß sie nicht bewußt als Theorien aufgefaßt, sondern von den meisten Menschen als unmittelbar einleuchtende Wahrheiten angesehen werden, die als stillschweigend angenommene Voraussetzungen fungieren."

Auch die Autoren der kritisierten Lehrbücher sehen das so. So gibt Mankiw in seinem Blog unter der Rubrik "Timeless Words of Wisdom" auf der Startseite direkt unter seinem eigenen Profil ein Zitat von Samuelson wieder. Es lautet: "I don't care who writes a nation's laws, or crafts its advanced treaties, if I can write its economics textbooks."

Natürlich steckt in so einem Satz auch ein gehöriges Stück Eigenvermarktung. Samuelson steigert hier seine eigene Bedeutung und der jüngere Mankiw verlängert diese Wirkung durch Zitieren auf sich selbst. Beide machen sich so zu mächtigen, bösen Buben, die man besser ernst nimmt. Inwieweit der Satz wirklich zutrifft, wäre also zu diskutieren.

Zur Ehrlichkeit gehört es aber festzuhalten, dass die beschriebenen Tricks und Manipulationen keineswegs nur in gängigen Ökonomie-Lehrbüchern vorkommen. Sie ziehen sich vielmehr durch jede politische Diskussion, durch Medien, Parteien, NGOs und Konzerne. Ein Grund mehr, sie zu kennen. Eine Entschuldigung für die kritisierten ökonomischen Lehrbücher ist das natürlich nicht.