Markus Lanz zu Assange: Der Vorwurf der fahrlässigen Leaks
Seite 2: Pressefreiheit, Intransparenz und Kultur der Digitalität
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Die abwiegelnde Haltung des Juristen Kai Ambos, was die von Prantl beschworenen Gefahren für die Pressefreiheit betrifft, wird nebenbei bemerkt auch von US-Journalisten bestritten – unter dem Stichwort "Lawfare", also dem Missbrauch der Justiz als Mittel der Kriegsführung.
Jacob Applebaum zur US-Anklageschrift gegen Julian Assange:
Diese Anklage ist nichts als ein Lawfare und Teil einer umfassenderen Strategie politischer Angriffe auf WikiLeaks, auf Personen im Umfeld von WikiLeaks und auf den investigativen Journalismus als Ganzes. Die in der Anklageschrift dargelegten Behauptungen sind (…) für alle Journalisten weltweit mit Blick auf wesentliche Funktionen der Berichterstattung äußerst gefährlich. (…)
Die Anklageschrift erweckt den Eindruck, dass sich effektiver und investigativer Journalismus im öffentlichen Interesse nicht von krimineller Spionage unterscheidet, die von Nationalstaaten für ihre Interessen betrieben wird.
Applebaum, Telepolis 24.09.2020
Prantl wies immerhin auf die Pionierrolle von Wikileaks beim Kampf für mehr Transparenz bezüglich staatlicher Verbrechen hin, aber dass die bisherige Intransparenz etwas mit der Verquickung westlicher Medien und Geheimdienste zu tun haben könnte, ahnt er wohl nicht.
Ihm wäre die Lektüre eines Schweizer Kultur- und Netzphilosophen nahezulegen: Professor Felix Stalder hat sich in seinem bahnbrechenden Buch "Kultur der Digitalität" schon 2016 mit digitalen Technologien, Gesellschaft und Kultur befasst. Er warnt darin unter Berufung auch auf Julian Assange vor uferloser Überwachung und technokratischer Massenmanipulation. Stalder zitiert den Wikileaks-Gründer und resümiert:
"Die Grenzen zwischen postdemokratischen Massenmedien und staatlichen Nachrichtendiensten sind fließend. Wie inzwischen bekannt ist, bestehen zwischen beiden Bereichen personelle Kontinuitäten und inhaltliche Gemeinsamkeiten."
Die USA hätten seit 2011 z. B. "ein eigenes Programm zu sozialen Massenmedien mit dem Namen 'Social Media in Strategic Communication'. (...) Überspitzt könnte man sagen, dass die Missachtung der Grundrechte mit der Qualität der so geschaffenen Dienstleistung 'Sicherheit' legitimiert wird." (S.235f.)
Die Verquickung von Journalismus, Medien und Geheimdiensten ist dabei keine neue Erkenntnis, wie der Experte Erich Schmidt-Eenboom schon mehrfach in Publikationen auch für die deutsche Medienlandschaft dokumentierte.
Fahrlässige Leaks: Der heikle Hintergrund
Die Frage nach angeblich fahrlässigen Leaks und der unbearbeiteten Publikation nebst Gefährdung Dritter wurde bei Lanz ohne den heiklen Hintergrund diskutiert: Hatten die Guardian-Journalisten Leigh und Harding in ihrer Buchveröffentlichung das Passwort verraten oder nicht?
Jenes Passwort, das die verschlüsselten Dateien freischaltete, die Wikileaks aus begründeter Sorge vor einer Liquidierung (z. B. per US-Killerdrohne) 2010 weltweit im Netz verteilt hatte.
Anders als von Ambos behauptet, aber auch Prantl wusste es nicht offenbar nicht besser, setzte das kleine Aktivisten-Team von Wikileaks nämlich viel Zeit, Geld und Kraft für Informantenschutz ein. Natürlich ohne die Ressourcen, die große Medienkonzerne haben, ganz zu schweigen von staatlichen Behörden, die ihre dunklen Geheimnisse bewahren wollen.
Was geschehen kann, wenn das Ziel des Staatsschutzes in Widerstreit zu Meinungs- und Pressefreiheit gerät?
Die Beschränkung der Meinungsfreiheit aufgrund des Tatbestandes der "Verhöhnung des Staates", wie sie der erwähnte ZDF-Beitrag den Zusehern mit Leuchtstift markiert aus dem Verfassungsschutzbericht von 2021 als Kriterium für die "Delegitimierung des Staates" vor Augen stellt, ist übergriffig.
Telepolis, 11.03.2024
Fraglich ist, ob es zu einer Legitimierung demokratischer Staaten, die sich auch auf Pressefreiheit und eine informierte Öffentlichkeit stützen, beiträgt, wenn wir zu überkommenen Straftatbeständen ähnlich der Majestätsbeleidigung oder "Verhöhnung des Kaisers" zurückkehren.
Bleibt abschließend noch die Wiederholung einer Frage, die ich nach einem Autoren-Interview mit dem Buchautor Prof. Kai Ambos (Buchtitel: "Doppelmoral: Der Westen und die Ukraine") bezüglich dessen Umgang mit Nils Melzers Buch "Der Fall Julian Assange" stellte:
Beruht die psychische Stabilität unserer Machteliten auch auf einer systematischen Vermeidung von glaubwürdig bezeugten Fakten, die unsere Regierungen kritisieren? Eine Methode dieser Vermeidung ist die Stigmatisierung von Überbringern dieser Fakten, hier Nils Melzer.
Thomas Barth, Telepolis 11.12.2023