Mars-Astronauten als Höhlenbewohner?
In den mit großer Wahrscheinlich auf dem Mars bestehenden Höhlen könnten sich nicht nur Organismen finden lassen, sondern sie wären auch geeignete Schutzräume für menschliche Behausungen.
Meine Bemerkungen über die Marshöhlen stießen auf unerwartet starke Resonanz. Seitens der Fachleute wurde mir bestätigt, daß die Schlußfolgerung zwingend ist: Die starke vulkanische Tätigkeit auf dem roten Planeten führt zum Abfluß der Lava - die Ströme lassen sich in den Bildern der Viking-Sonden nachweisen. Da die Lava von außen her abkühlt und erstarrt, im Inneren dagegen länger heiß und dünnflüssig bleibt, rinnen die Massen, sobald sich einmal eine feste Außenkruste gebildet hat, im Inneren ab. Dabei reduzieren sich die Abflußkanäle auf Röhren, die in den Lavafeldern der Erde einige Meter Durchmesser erreichen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Prozesse dieser Art auch auf dem Mars vor sich gehen und das - wegen der weitaus stärkeren vulkanischen Aktivitäten - in entsprechend stärkerem Maß.
Interessant in diesem Zusammenhang sind die Erfahrungen von Höhlenforschern, die sich auf Lavahöhlen spezialisiert haben. Zu diesen gehört Professor Dr. Stephan Kempe vom Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Darmstadt. Er hat viele Lavahöhlen expeditionsmäßig befahren und dabei festgestellt, daß es auch bei solchen eine nachträgliche Umformung und Vergrößerung gibt, so daß aus den ursprünglich mehr oder weniger engen Röhren große Räume, Gänge und Hallen entstehen können.
Die Erweiterung der Räume kann verschiedene Ursachen haben. Eine davon ist die Erosion, insbesondere durch mitgeführtes Material. So sind die glasig-harten Bimssteinbrocken, die bei vulkanischen Prozessen entstehen, leichter als die Lava, so daß sie an der Oberfläche schwimmen. Daraus ergibt sich eine nach den Seiten wirkende Erosion, die die Breiten der Gänge erweitert. Dieser Prozeß geht oft so lange vor sich, bis die Decke das Gewicht der darüber gelagerten Massen nicht mehr zu halten vermag und einstürzt. Das dabei entstehende Bruchmaterial wird dann vom Lavastrom weggetragen. Die Verstürze können zur Bildung von größeren, wieder tektonisch stabilen Gewölbeformen führen, sie können aber auch Tagöffnungen bilden.
Es wäre natürlich unbefriedigend, solche Schlußfolgerungen ohne Überprüfung zu ziehen. Von Dr. Konrad Hiller von der DLR Oberpfaffenhofen, einem der wenigen deutschen Mars-Geologen, kommt die Bestätigung, daß man auf den Aufnahmen der Marsoberfläche nicht nur riesige, mehrere tausend Kilometer lange Lavaströme feststellt, sondern daß es auch Einbruchöffnungen, oft entlang der Fließrichtung aufgefädelt, zu beobachten gibt. Schon bisher war klar, daß es sich um Einstürze von Hohlräumen handeln müsse, doch die Entstehung und der Formenschatz von Lavahöhlen ist nicht in Betracht gezogen worden.
Das alles ist theoretisch interessant, nicht zuletzt aus der Überlegung heraus, daß solche Höhlensystem ideale Zufluchtsorte für früheres, vielleicht an der Oberfläche angesiedeltes Marsleben wären. Durch diese Diskussion hat sich aber auch ein bemerkenswerter praktischer Aspekt ergeben. Den Anstoß dazu bekam ich aufgrund eines Berichts der NASA, bei dem es unter anderem auch über Behausungen geht, die als Unterstände, vor allem zum Schutz vor Kälte und Strahlung, dienen. Das Anlegen solcher Biwaks, die in der vorgesehenen Form an Iglus erinnern, ist sicher mühsam und zeitraubend, so daß sich die Frage nach einer Alternative anbietet. Eine solche ergibt sich nun aus den Lavahöhlen. Damit kommen ganz praktische Gesichtspunkte, wie man sie bei der Befahrung irdischer Systeme gewonnen hat, zur Geltung. Ich selbst hatte einmal Gelegenheit, das Lavafeld "Craters of the Moon" in Idaho zu besuchen, das den Mondastronauten als Trainingsregion diente. Dort stellte ich einen unterirdisch verlaufenden Höhlenstrang fest, der sich durch mehrere Einbruchsöffnungen bequem erreichen läßt. Dazwischen liegen überdachte Partien, die sich hervorragend als Unterkünfte eignen würden.
Von Stefan Kempe kommen dazu einige ganz konkrete Vorschläge, unter anderem die Anregung, in den Eingangsregionen bzw. in der Nähe der Einbruchsöffnungen von Lavahöhlen Kunststoffolien aufzublasen. Sie könnten mit Luft oder einem anderen sauerstoffhaltigen Gasgemisch gefüllt werden. Auf diese Weise ließen sich innerhalb von Minuten Lebensräume schaffen, in denen Menschen atmen könnten. Spezielle Beschichtungen der Folien könnten den Wärmeaustausch eindämmen, so daß es relativ einfach wäre, die Räume auch zu beheizen. Dann wäre im Inneren freie Bewegung möglich, und das bei räumlichen Dimensionen, die solche von igluartigen Unterständen bei weitem übertreffen würden. Auch der Einsatz von Schaum als Baumaterial, den ich mir einmal für eine Science-Fiction-Geschichte ausgedacht habe, würde sich in der Situation lohnen; ich weiß nicht, ob diese Technik für den Einsatz der Planetenerforschung schon in Erwägung gezogen wurde. Es käme darauf an, besondere Arten von Schäumen zu entwickeln, die sich unter den Temperatur- und Druckverhältnissen des Mars erhärten. Bei dieser Methode kommt man mit geringen Rohstoffmengen aus und erhält hartes, leichtes und beliebig formbares Material für Mauern, Böden, Abdichtungen, Möbeln usw. Auch die hohe Wärmedämmung von Schaumstoffen ist eine unter den gegebenen Umständen willkommene Materialeigenschaft.
Aus der theoretischen und praktischen Erforschung von Lavahöhlen auf der Erde ergeben sich Anhaltspunkte, wo Eingänge zu finden sein könnten; verständlicherweise ist das vor allem an der Stirnseite erstarrter Lavaströme der Fall, und die Einbruchsöffnungen, die ebenfalls als Zugänge in Frage kämen, müßten sich an den Oberflächen finden lassen. Eine erste Suche kann mit Hilfe eigens gemachter hochaufgelöster Fotos der in Aussicht genommenen Region geschehen, eine genauere Suche wäre dann mit Erkundungsrobotern möglich.
Ich werde diese Überlegungen dem deutschen "Visionär" der Raumfahrt, Jesco von Puttkamer, zukommen lassen - er kann sie sicher an die richtige Stelle weiterleiten. Viel Hoffnung, daß man praktische Schlußfolgerungen daraus zieht, habe ich allerdings nicht. Vor vielen Jahren, vor der Landung von Menschen auf dem Mond, wurde ich einmal zu einem Kongreß von Raumfahrern und Weltraumärzten eingeladen und sollte darüber berichten, ob sich aus den Erfahrungen der Höhlenforscher Anhaltspunkte für die Monderkundung ergeben könnten. Ich wies damals unter anderem auf die starke Staubentwicklung in trockenen Räumen hin; so beschlägt sich beispielsweise die Linse des Fotoapparats rasch mit aufgewirbeltem Staub und läßt sich, wenn man in einem verdreckten Schutzanzug steckt, nur schwer säubern.
Für Fotoarbeiten in Höhlen trage ich immer ein extra verpacktes Pinselchen zum Säubern der Linse mit mir. Die Bilder, die ich von den lehmüberzogenen Höhlenforschern zeigte, lösten zwar beim Publikum beachtlichen Lacherfolg aus, doch als dann die ersten Aufnahmen der auf dem Mond gelandeten Astronauten zur Erde gefunkt wurden, erwiesen sie sich als verschwommen: Auf der Linse der Kamera hatte sich Staub niedergeschlagen, und niemand hatte ein Pinselchen dabei, um ihn rasch und mühelos zu entfernen.