Marx und die Roboter
Seite 2: Die Maschine, die keine Spezialmaschine ist
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Was ist nun die andere Möglichkeit, und worauf gründet sie sich? Schauen wir, was passiert ist. Vor zehn Jahren kamen die 3D-Drucker und sollten die Industrie revolutionieren. Sie kamen tatsächlich noch früher, aber als sie dann von der interessierten Öffentlichkeit entdeckt waren, machten sie Hoffnung, dass sie nun die "Marx-Maschine" seien, die alles ändert.
Warum knüpften sich so große Hoffnungen an diese neuartige Maschinerie? Darum, weil diese Maschine keine Spezialmaschine mehr ist, und weil man mit dieser Maschine keinen Betrieb, keinen Kapitalisten, (fast) keine Arbeit, keine Märkte und keinen Kapitalismus mehr brauchen würde, um die Menschen mit Gütern zu versorgen. Die Maschine ist so klein und billig, dass sie räumlich und budgetmäßig in den Haushalt passt, und könnte dann den ganzen Haushalt mit Gütern versorgen und seinen Angehörigen genauso problemlos Arbeit abnehmen wie schon die häusliche Waschmaschine und all die anderen Haushaltshelfer. Wäre das nicht in der Tat sehr revolutionär?
Erfüllt haben sich die Hoffnungen bis heute leider nicht - weil die Güter, die diese 3D-Drucker zu produzieren imstande waren und bis heute sind, nicht allzu viele Konsumwünsche erfüllen können. Eine Knoblauchpresse oder ein Handyhalter oder ein Ständer für das Tablet können den Lebensstandard nicht merklich anheben, ja nicht einmal selbstproduzierte Lego-Steine.
Aber wer seine Hoffnungen nur auf diese "Device", auf dieses isolierte Gerät auf dem Schreibtisch oder im Bastelkeller gesetzt hat, hat die ganze unterliegende Idee und das wahrhaft revolutionäre Prinzip der digitalen Fabrikation von Anfang an nicht richtig verstanden.
Die digitale Fabrikation, so wie sie etwa im Rahmen eines bis 2013 durchgeführten Forschungsprojektes der EU ("DIGINOVA") zur Erforschung der Wirkungen der digitalen Fabrikation auf die Fertigung definiert wurde, beinhaltet nicht nur den 3D-Druck, sondern allgemein die Fertigung mithilfe von digital steuerbaren Maschinen, also 3D-Drucker, CNC-Fräsen, Laser-Cutter, Waterjets, aber natürlich auch Roboter und, wie schließlich im Konzept der Industrie 4.0 idealtypisch realisiert, von sämtlichen Maschinen, die im Cyberraum einer Fabrikhalle koordiniert mit der Bearbeitung von digital formulierten Fertigungsaufträgen "beauftragt" werden können.
Das, was bei einem simplen 3D-Drucker die STL-Datei ist, die den Bauplan des additiv herzustellenden Bauteils darstellt, ist in der digitalen "Smart Factory" der "digitale Zwilling", der sowohl die konstruktiven Merkmale, also die CAD-Daten der herzustellenden Produkts enthält, als auch die im Laufe des Fertigungsprozesses entstehenden individuellen Merkmale des angefertigten Produkts. Es ist also gewissermaßen im Laufe der letzten rund dreißig Jahre eine ganze Industriefabrik entstanden, die insofern nach dem gleichen Prinzip arbeitet wie ein 3D-Drucker, als eben auch sie "Dinge aus Daten" herstellen kann, wobei diese Dinge dann aber auch hochwertige, nützliche, alltagstaugliche, qualitätsgeprüfte und mit TÜV-Siegel versehene Produkte sind.
Warum ist die Industrie so interessiert daran, solche digital gesteuerten "Smart Factories" zu besitzen? Je mehr diese Fabrik sich dem Ideal annähert, Dinge aus Daten machen zu können, also so weitgehend wie möglich alle Abläufe in der Produktion "autonom" und digital gesteuert ablaufen zu lassen, umso weniger ist auch sie noch eine Spezialfabrik, deren Maschinen und Personal jeweils für die Produktion bestimmter Produkte und Produktsegmente besonders qualifiziert und geschult sind. Sie wird wie schon der 3D-Drucker zu einer Vielzweckfabrik, die blitzschnell auf die Produktion anderer Produkte oder Produktvarianten umgestellt werden kann, sodass sie kleinste Serien und idealerweise Serien von einem einzigen Stück herstellen kann, und dies sogar noch - wie der 3D-Drucker - auf Kundenanforderung, auf Knopfdruck. Die Industrie gibt für diese smarten Fabriken viel Geld aus, weil sie natürlich hofft, damit Geld sparen bzw. verdienen zu können.
Man kann so die Maschinenlaufzeiten optimieren, weil nach dem Auslaufen einer Serie schnell auf die nächste Serie umgestellt werden kann. Die Maschine kann schnell umgerüstet werden und muss nicht lange stillstehen, oder Umrüstzeiten fallen erst gar nicht an. Sparen kann man auch, weil so das Verfallsrisiko der Produktionsanlagen im Falle des vorzeitigen Wegbrechens von Nachfrage minimiert werden kann, was im Zeitalter gesättigter Massenmärkte mit "hedonistischen", launischen Konsumenten und unberechenbarer, volatiler Nachfrage immer wichtiger wird.
Außerdem erhofft man sich neues Umsatzpotenzial zu erschließen, wenn man Kunden, die sonst schon alles haben, ihr "Idealprodukt" anbieten kann, das exakt und passgenau ihren Wünschen entspricht, und an dessen Entwicklung sie möglicherweise sogar selbst mitwirken können. So treibt der späte Kapitalismus die Metamorphose der Maschinerie in Richtung autonomer, smarter, digitaler Vielzweck-Fabrik.
Nach dem Kapitalismus
Betrachten wir die Dinge nun einmal in einem größeren Kontext, sozusagen mit der ökonomischen Makrobrille. In der letzten Zeit wurden Wünsche laut, etwa Fluggesellschaften wieder zu verstaatlichen, oder auch die Bahn und die Energieversorgung. Warum - weil man dem renditegetriebenen privaten Kapital nicht mehr zutraut, überprivate, gesellschaftliche Wohlfahrtsinteressen wie etwa die Imperative des Klimawandels in seinen Unternehmensentscheidungen genügend zu berücksichtigen. Und ein Blick in die Geschichte lehrt, dass es ja - bekanntlich aus ganz anderen Gründen - Überlegungen und Bestrebungen gab, auch das Produktivkapital, die "Produktionsmittel" generell der privaten Verfügungsgewalt zu entziehen.
Angenommen, es zeigt sich jetzt, die Mechanismen des freien Marktes, die "invisible hand" des freien Spiels der Marktkräfte, sind unfähig, diese - in der Geschichte ja noch nie dagewesene - Aufgabe des Wirtschaftens innerhalb ökologisch sich herleitender Begrenzungen zu lösen, und es zeigt sich darüber hinaus, dass schon durch die schiere Übermacht des globalisierten Finanzkapitals die in der Theorie unterstellte wohlfahrtssteigernde Wirkung der Marktkräfte zunehmend und nachhaltig gestört ist (etwa indem große Finanzinvestoren sich in DAX-30-Unternehmen einkaufen und sie dann zu einem monopolähnlichen Verhalten zwingen), dann könnten sich daraus Motive ergeben, eine Verstaatlichung auch von produzierenden Unternehmen in Erwägung zu ziehen.
Was würde das aber bedeuten? Dann würde ein produzierendes Unternehmen mit Steuermitteln "gekauft" oder sogar gegen Entschädigung enteignet und verstaatlicht. Der Steuerzahler "besitzt" dann sozusagen ein Unternehmen, und kann, vertreten durch demokratisch legitimierte Organe, an Unternehmensentscheidungen mitwirken. Im Falle einer wiederverstaatlichten Lufthansa würde das natürlich auch bedeuten, dass nur noch die Lufthansa Flüge anbietet, weil nur so der ökologisch gefährliche Wettbewerb um vielfliegende Flugreisende verhindert werden kann. Der Steuerzahler müsste dann mit diesem verknappten Angebot vorlieb nehmen, und hoffentlich damit zufrieden sein.
Wenn es sich nun um produzierende Unternehmen handelt, die bestimmte Markenartikel produzieren? Wenn die mit Steuermitteln "erworben" werden, ist der Konsument natürlich auch auf diese Markenartikel verwiesen, und seine Konsumentensouveränität wäre insoweit eingeschränkt.
Wenn es aber nun solche smarten digitalen Vielzweck-Fabriken sind, die "kollektiviert" bzw. von einem öffentlichen "kollektiven" Betreiber betrieben werden? Offensichtlich nimmt der Grad der Einschränkung der Konsumentensouveränität im gleichen Maß ab, wie der Grad der Vielverwendbarkeit dieser Produktionsmittel zunimmt. Idealerweise kann diese smarte Fabrik - die dann ja auch zu einem ganzen Netzwerk von Fabriken zusammengeschlossen sein kann - vielfältige, ja nahezu beliebige "Dinge" (Markenprodukte) aus Daten produzieren.
Ist diese Bedingung gegeben, wäre die Konsumentensouveränität offensichtlich im gleichen Maße wiederhergestellt. Der Konsument würde - im besten Fall, wenn das Fertigungsproblem in diesem Sinne optimal gelöst wird - überhaupt nicht bemerken, dass sein Wunschprodukt aus einer "kollektivierten" Fertigung stammt. Dennoch hätte er, als mündiger Bürger und Steuerzahler, die Möglichkeit, an die Allgemeinheit betreffenden Parametern der Fertigung mitzuwirken, etwa was die verwendeten Rohstoffe und Materialien oder allgemein die Umweltverträglichkeit der Produkte, oder auch das gesamte Produktionsvolumen angeht. Das Risiko, das mit solchen Regularien für einen privatwirtschaftlichen Fertiger verbunden wäre - weshalb die private Industrie sich ja so sehr dagegen sträubt -, würde dann die Gemeinschaft der Steuerzahler tragen, die dann hoffentlich auch weiß, das ihr dies etwas wert sein muss.
Wenn unter diesen Bedingungen Maschinen und Roboter eingesetzt werden, verschwinden natürlich auch Arbeitsplätze. Tatsächlich wären die smarten Fabriken fast menschenleer und nur noch von beaufsichtigendem Personal bevölkert, weil sie diese Aufgabe der weitestgehend digital gesteuerten Produktion sonst gar nicht erfüllen könnten. Kein Mensch kann so flexibel sein und so schnell seine Qualifikationen austauschen wie eine Maschine, die dazu nur ihr Programm austauschen muss.
Aber wenn diese Fabriken "kollektiviert" sind, können sie erstens den Kostenvorteil der menschenleeren Fabrik als Preissenkung voll an die Konsumenten weiterreichen; Rentenabschöpfung wäre so also verhindert. Zweitens hat das Kollektiv, also die Öffentlichkeit und eine von ihr betriebene weitsichtige Wirtschaftspolitik, so die Möglichkeit, Nachfrage nach Tätigkeiten, Produkten und Dienstleistungen zu schaffen, die sinnvollerweise gar nicht maschinell erledigt werden können, und die auch nicht unter die Kontrolle des renditegierigen Großkapitals geraten können. Das ökonomische Geschehen sollte in der Tat möglichst weitgehend dem Zugriff des Großkapitals entzogen werden, außer in solchen Bereichen, in denen kapitalintensive Produktion oder auch Forschung noch sinnvoll möglich ist.
Es sollte also private, eher klein- und mittelständische Ökonomie entstehen in Gebieten und Geschäftsfeldern, die gerade dadurch an Attraktivität gewinnen, dass sie eher "menschengemacht" sind, also einerseits weniger technikdominiert, als andererseits vor allem weniger kapitaldominiert - was dauerhaft nur dann möglich ist, wenn die Öffentlichkeit sich selbst den dominierenden Zugriff auf Großtechnologien gesichert hat.
Summa summarum: Es ist der unterliegende und mit der Muttermaschine der Digitalisierung - der Universalen Turing-Maschine - verbundene Trend zur Universalisierung der Fertigungsprozesse, der das eigentliche revolutionäre und systemtranszendierende Moment ausmacht. Das, was für den Kapitaleigner letzten Endes das Ziel des risikolosen, an alle zukünftigen Anforderungen anpassbaren und darum nie seinen Wert verlierenden Produktionsmittels wäre, das ihm ewige risikolose Rentenzahlung garantieren soll, ist für den Konsumenten - also die Gesellschaft, deren Konsum das letzte Ziel aller Ökonomie ist - das Produktionsmittel, das die Gesellschaft nun ebenso risikolos und ohne die Konsumentensouveränität einschränken zu müssen, in Betrieb nehmen kann.