Maschinenstürmer im Bundesinnenministerium?

Ein Email-Interview mit Sierk Hamann

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Das Interview mit Prof. Kurt Schelter, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, löste auf der NETLAW-Mailingliste bereits heftige Diskussion aus. Sierk Hamann stand Telepolis-Korrespondentin Christiane Schulzki-Haddouti Rede und Antwort.

Warum bezeichnen Sie Prof.Kurt Schelter als "Maschinenstürmer"?

Sierk Hamann: Der Begriff "Maschinenstürmer" ist während vieler Diskussionen in der NETLAW-Liste, einer Mailingliste zu Rechtsfragen der Multimediadienste, entstanden. Dahinter steht der Gedanke, unüberlegte oder voreilige Äußerungen zu rechtlichen Problemen im Internet humorvoll als solche zu kennzeichnen. Für derartige Fälle entstand der Gedanke, als - durchaus polemischen - Kontrapunkt einen "Maschinenstürmer"-Award zu verleihen. Die Vorbereitungen dazu laufen auf Hochtouren.

Die Politik geht heute primär von dem Schutzbedürfnis des Bürgers aus, das der Staat garantieren müsse. Die Verfassungsväter hatten jedoch eher den Schutz des Bürgers vor einem übermächtigen Staat im Auge.

Sierk Hamann: Bevor tiefgreifende Überwachungsmaßnahmen gefordert werden, sollte besser eine Rückbesinnung auf bereits entwickelte, rechtliche Grundsätze stattfinden. Einerseits gibt es z.B. im Polizei-und Ordnungsrecht seit langem übertragbare Regelungen für den angeblich so "rechtsfreien Raum" im Internet, andererseits werden hier im Namen des scheinbar stets überwiegenden Allgemeinwohls grundrechtlich abgesicherte Freiheitspositionen der Bürger vorschnell zur Disposition gestellt. Dies ist insbesondere dann bedenklich, wenn die im Namen der "inneren Sicherheit" oder Strafrechtspflege geopferten Rechtsgüter von den Verantwortlichen nicht einmal benannt werden.

Welche Probleme sehen Sie in Kanthers Meta-Suchmaschine für Kinderpornographie?

Sierk Hamann: Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß nunmehr auch präventiv-polizeiliche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Im Gegensatz zur Strafverfolgung steht in dieser Konstellation keine konkrete Straftat im Raum, welche Eingriffe in die Rechtspositionen von Bürgern auf Grundlage der StPO rechtfertigt. Es bedarf daher - wie für jedes den Bürger belastende Handeln - einer ausdrücklichen polizeilichen Befugnisnorm für staatliche Maßnahmen.

Können sich Bürger nicht seit dem Volkszählungsurteil auf die "informationelle Selbstbestimmung" berufen?

Sierk Hamann: Für die staatliche Datenerhebung hat das BVerfG in seiner Volkszählungsentscheidung in der Tat die rechtlichen Fixpunkte gesetzt. Versteht man die Entscheidung richtig, so muß man der "Internetstreife" und der "Meta-Suchmaschine" einen Eingriffscharakter beimessen. Die unsichtbare Anwesenheit der Staatsmacht ist eben nicht mit der sonntäglichen Streifenfahrt im Wohngebiet gleichzusetzen. Fraglich ist, ob die bisher vorhandenen Eingriffsnormen in den Polizeigesetzen der Länder die von Prof. Schelter angedeuteten Maßnahmen rechtlich zulassen. Der Einsatz technischer Mittel, so wie beim Lauschangriff oder bei der Videoüberwachung, zur Gefahrenabwehr gehört wegen der Einbeziehung "unverdächtiger Bürger" zu den heikelsten Bereichen des Ordnungsrechts überhaupt. Er setzt zudem eine detaillierte gesetzliche Grundlage voraus. Diese fehlt aber im Blick auf das Netz und seine Technik: Man könnte sagen, die Meta-Suchmaschine muß erst noch vom Gesetzgeber "programmiert" werden.

Hat Kanthers Suchmaschine nicht einen viel zu großen Wirkungskreis?

Sierk Hamann: Da automatisierte Suchsysteme ("verdachtsunabhängige Rasterfahndung") - um überhaupt eine Wirkung zu haben - möglichst alle irgendwie zugänglichen und insbesondere auch die "ungefährlichen" Bereiche im Netz erfassen müssen, wird der Kreis der Betroffenen tatsächlich zu weit und zu unbestimmt. Das steht der Annahme einer konkreten, polizeilichen Gefahr und damit der Anwendung der Generalklauseln grundsätzlich entgegen. Es wird vielfach verkannt, daß zentrale, verfassungsrechtlich abgesicherte Bürgerrechte betroffen sind. Alle Maßnahmen dürfen sich daher nicht an der politischen Wirksamkeit, sondern nur an ihrer Effizienz, der polizeiliche Gefahrenabwehr messen lassen dürfen. Gänzlich ungeklärt ist noch die Verwendung der erlangten Daten, das Auftreten verdeckter Ermittler ("Internetstreife"), die Behandlung von Zufallsfunden und der Rechtsschutz für die Betroffenen. Klar ist nur, daß die vorhandenen Grundlagen für den gegebenen Sachverhalt nicht gemacht worden sind. Ich wage die Behauptung, daß ohne gesetzliche Klarstellung der Eingriffsvoraussetzungen jede Form von systematischer Datenerhebung im Internet durch die Polizei unzulässig ist.

Was spricht gegen eine Internetstreife? Was spricht gegen eine gemeinsam von Bund und Ländern getragene Zentralstelle einer Internetpolizei?

Sierk Hamann: Eine Mischung von Länderkompetenz und Bundesbehörde geht nicht. Ob der Bund bzw. das Bundeskriminalamt fürŽs "Internet" zuständig ist.....? Da sind wir beim alten Dilemma. Prof. Schelter ist vorzuwerfen, daß er nicht klar genug zum Ausdruck bringt, daß der Bund weder für Medieninhalte noch für die polizeiliche Gefahrenabwehr zuständig ist. Auch bei der Strafverfolgung, die gesetzlich vom Bund geregelt wird, sind die Länder für die Umsetzung verantwortlich. Sie kommen dieser Verantwortung auch nach. Eine Bundeszuständigkeit für die Gefahrenabwehr oder sogar die Strafverfolgung für das Internet birgt große Gefahren. Der Bund dehnt seine polizeilichen Kompetenzen derzeit mit erheblichen Anstrengungen aus. Das Grundgesetz wollte eine Bundespolizei aber gerade vermeiden. Im Internet sind einerseits für die Demokratie besonders wichtige Rechtsgüter der freien, unbeobachteten Kommunikation betroffen. Eine Bundeszuständigkeit gerade für diesen besonders heiklen Bereich wirft daher auch besonders wichtige verfassungsrechtliche und politische Fragen auf. Die Zuständigkeit der Länder sorgt hier für eine Machtkontrolle durch Dezentralisierung. Dabei sollte es bleiben, zumal eine Behauptung, die Strafverfolgung durch die Länder funktioniere nicht, völlig unbewiesen wäre. Zur genauen Bewertung wären Informationen über die konkreten Ideen notwendig. Bedenklich bleibt aber Neigung zu "informellen" Vorgehen unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit zwischen Bund und Ländern.

Lesen Sie auch das Interview mit Prof. Kurt Schelter.

Sierk Hamann, 26, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen, beschäftigt sich vor allem mit Öffentlichem Recht im Spannungsfeld "Technik und Recht".