Maß und Mitte
Seite 2: Wer von der Mitte redet, will vom Klassenkampf von unten nichts wissen
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Kadritzke hat in seiner kleinen Streitschrift auch prägnant dargelegt, wie bereits in der Weimarer Republik Theoretiker wie Theodor Geiger, Siegfried Kracauer und Hans Speier sich kritisch mit der Mittelstandsdiskussion befassten und diagnostizierten, dass der Mittelstand immer dann ins Spiel kommt, wenn es darum geht, die überkommende wirtschaftliche und soziale Ordnung zu bewahren.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn so viel über die "Ehe für Alle" geredet wird, kann darüber geschwiegen werden, dass die SPD nicht einmal den Mut hat, die Steuern auf das Niveau der Kohl-Ära zu erhöhen. Dass es der Partei wahltechnisch nutzt, wenn sie jetzt ein Thema so stark pusht, das eigentlich ein Anliegen der Grünen ist, muss bezweifelt werden.
Am Ende gewinnt wieder Merkel, die schließlich wieder einmal ein strittiges Thema entsorgt hat und dabei wie schon bei der Flüchtlings- und AKW-Debatte die Kritik des eigenen rechten Flügels in Kauf nimmt. Dafür bekommt sie die Stimmen des liberalen Mittelstands, die sonst vielleicht SPD oder Grüne wählen würden. Dagegen ist mit Nils Kadritzke festzuhalten: Die weitere Arbeit an einer Klassenanalyse, die der Marx’schen Theorie verpflichtet bleibt, wäre die Voraussetzung für eine Politik, die soziale Verbesserungen für die Mehrheit der Bevölkerung anstrebt.
Dabei abei gälte es von einem klassenreduktionistischen Ansatz Abstand zu nehmen, wie er in einer schlechten ML-Tradition lange Zeit gepflegt wurde. Dagegen erinnert Kadritzke daran, dass "die gemeinsame ökonomische Klassenlage zwar den Raum der objektiven Interessen konstituiert, aber nicht unmittelbar das gesellschaftliche Bewusstsein oder gar das politische Handeln bestimmt". Zudem sollte ein moderner Klassenbegriff anerkennen, dass Patriarchat und Rassismus keine Nebenwidersprüche und kein gesellschaftliches Gedöns sind.
Auch die Gleichberechtigung der unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens gehört zu einer linken Agenda. Doch es geht darum, eine solche Politik, die jegliche Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse bekämpft, abzugrenzen vom aktuellen Versuch der SPD, mit der "Ehe für Alle" die Aufmerksamkeit davon abzulenken, dass sie mit der Agenda 2010 und mit deren Hauptprotagonisten bis heute nicht gebrochen hat und es auch in Zukunft nicht tun wird.