Massenvernichtung und Weltuntergang als Nervenkitzel

Seite 2: Weltkatastrophe als Unterhaltungsangebot

Jenseits der Frage nach den Unterhaltungsqualitäten, die das Feuilleton vorrangig beschäftigte, ist das Buch das erschreckende Dokument eines politischen Weltbilds.

Es sollte, wie Clinton im Spiegel-Gespräch (24/2018) äußerte, die Niederlage der demokratischen Partei, speziell des Clinton'schen Familienbetriebs, verarbeiten – und ist in der Hinsicht eine programmatische Anti-Trump-Schrift.

Es konfrontiert einen fiktiven demokratischen Präsidenten namens Duncan, einen lupenreinen, selbstlosen Patrioten, mit einem machtgeilen republikanischen Politfunktionär, der ein Impeachment-Verfahren auf den Weg bringen will, um eigene Karriereabsichten zu realisieren.

Die Konstruktion ist etwas verwinkelt – etwa zum Thema Amtsenthebung! –, in der außenpolitischen Haltung des fiktiven Präsidenten aber klar das Gegenbild Trumps: Duncan ist ein Routinier der Diplomatie und konsultiert in der Krisenlage die westlichen Bündnispartner – besonders hervorgehoben werden Israel und Deutschland –, hat auch kein Interesse, wie Trump seinerzeit unterstellt wurde, der russischen Führung entgegenzukommen.

Das ist die brachiale Quintessenz des Romans: Der ideale Präsident führt sein Land bis an den Rand des Weltkriegs, zeigt Kriegsbereitschaft, die bis zum Einsatz des atomaren Potenzials geht, und konfrontiert die russische Seite mit der Aussicht, dass die USA die diplomatischen Beziehungen abbrechen.

Der Romanheld bringt also eine Verschärfung der weltpolitischen Konfrontation der USA mit seinen Rivalen ins Spiel - eine Zuspitzung, die im Prinzip den Kalten Krieg in einen heißen Konflikt überführt, der, so die Konstruktion des Romans, durch die russische Seite bereits begonnen wurde.

Und das ist eine Zuspitzung, der gegenüber der historische Kalte Krieg der 1950er- und 1960er-Jahre fast idyllisch erscheint, denn damals erlangte (Rüstungs-)Diplomatie zunehmend Bedeutung und Wertschätzung, galt seit Kennedy gar als unverzichtbare Versicherung gegen den nuklearen Endkampf, der über die Welt hereinbricht. Gesprächskanäle, siehe das legendäre Rote Telefon, sollten gerade eröffnet und nicht gekappt werden.

Es ist schon bemerkenswert, was das Trump-kritische Lager zu bieten hat: Ein gnadenloses antirussisches Feindbild, das alle geheimdienstlichen, terroristischen, rüstungspolitischen Machenschaften und Krisenszenarien der Gegenseite anlastet, verbunden mit der Bereitschaft, diese Feindschaft konsequent auszutragen.

So endet jedenfalls der Krimi-Plot, um dann ein letztes Kapitel, bestehend aus einer Grundsatzrede des fiktiven Präsidenten, nachzuliefern, mit der Clinton, wie er im Spiegel-Interview erläuterte, seine eigene Botschaft dem Publikum nahebringen will:

Das ist es, was ich versuche, dem Land mitzuteilen. Wir müssen es wieder schaffen zusammenzufinden. Das ist doch verrückt, dieses ewige Streiten!

Bill Clinton

Das Stimmungsbild aus den anderen, besseren USA, auf das die "liberalen" westlichen Kräfte und die "guten" Europäer setzten, ist also eine einzige Grusel-Story, deren Unterhaltungswert in der härtesten Dosis Nationalerziehung besteht: Die Nation muss endlich wieder zur Einheit finden, und dazu verhilft ihr nicht die Überwindung ihrer gesellschaftlichen Gegensätze, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit, gegen den Feind zusammenzustehen.

Und dass die US-amerikanische Nation keinen Rivalen hochkommen lassen darf - diese Variante des "America first!", die die Bündnistreue der Alliierten in Dienst nimmt, ist das Unterhaltungsangebot für die US-Amerikaner (und sonstigen Weltbürger), die Trump für eine Fehlbesetzung halten.

Von Trump zu Biden

Im Sommer 2021 erschien 2034 - A novel of the next world war (New York, Penguin, daraus die Zitate), verfasst vom hochdekorierten US-Admiral James Stavridis, der u.a. von 2009 bis 2013 Nato-Oberkommandierender in Europa war und sich für sein Buch Hilfe beim Romanautor und Ex-Marine Elliot Ackerman holte.

Politisch ist Stavridis nicht klar einzuordnen. "Er wurde von der Hillary Clinton-Kampagne 2016 als potenzieller Vizepräsidentschaftskandidat und vom designierten Präsidenten Donald Trump im Herbst 2016 als möglicher Außenminister in Betracht gezogen", schreibt Wikipedia.

In seinem "erschreckend authentischen geopolitischen Thriller" (Verlagswerbung) umgeht er eine direkte politische Festlegung, da das US-Präsidentenamt 2034 von einer unabhängigen Politikerin besetzt ist.

Die beiden großen Parteien Republikaner und Demokraten sind nämlich - ebenso wie der Zusammenhalt in der Nato - Historie und die Militärs bzw. die aus dem Militär stammenden Politikberater stellen die eigentlichen Akteure dar.

Damit ist auch schon die entscheidende Botschaft des Buchs benannt: Es lebt von der Sorge, dass die USA ihre weltbeherrschende Stellung verlieren könnten.

Das Buch ist als Warnung geschrieben, dass mangelnder Zusammenhalt in einem Staat oder einem Bündnis den Keim zum Untergang enthalten.

Dafür werden diverse soldatische Erfahrungen aus aktuellen Konflikten, aber auch die 2.500 Jahre alten Weisheiten eines Thukydides über den Peloponnesischen Krieges herangezogen: "Das Imperium verkommt von innen" (S. 223).

Insofern bebildert das Buch die Lehre aus dem Trump-Erbe, das Biden verwaltet: Zusammenhalt - multinational wie national - unter einer starken Führung ist unerlässlich (wie dann bei seinem Amtsantritt in alle Welt mit martialischer Rhetorik ausposaunt.

"America first!" kommt dabei in einer Negativform vor. Wenn sich die USA nicht im Land (wo unterschiedliche ethnische Herkünfte die Gemeinsamkeit der US-amerikanischen Nation in den Hintergrund rücken könnten) zusammenschließen, wenn sie sich auswärts nicht in klarer Front aufstellen und wenn sie die Stärke der Gegner nicht ernst nehmen, fallen sie möglicherweise als abgemeldete Nation hinter China, hinter Indien und andere zurück.

Das politische Versagen wird aber nicht wie bei Clinton weiter ausgeführt, indem etwa vorbildliche Politikergestalten gegen den opportunistischen Abschaum oder gelungene Ideen für ein neues Politik-Management der Weltherrschaft aufgeboten würden.

Die Nato und damit Europa spielen in dem Buch überhaupt keine Rolle, Japan oder Israel auch nicht, dafür aber dessen Gegenspieler Iran. Wie bei Clinton sind dann die Russen wieder die eigentlichen Bösewichter. Die Chinesen, die mit den Amis in den Dritten Weltkrieg schlittern, sind eher durch Fehleinschätzungen ihrer eigenen (Cyber-)Macht und des Kampfeswillens der US-Soldaten geblendet.

"Schlafwandelnde" Politiker eben, wie man sie aus der modernen Aufbereitung des Ersten Weltkriegs kennt.

Und wie bei Clinton geht es um die Einsicht in die Notwendigkeit, gegen den Feind zusammenzustehen. Das aber mit verschärfter Eskalationsbereitschaft, passend zu Bidens Präsidentschaft, die die US-Strategie konsequent fortführt.

Das Szenario, das Stavridis bietet, basiert dabei auf militärischer Expertise, die man aber auch aus der Zeitung kennt. Der Konflikt beginnt im Pazifik, bei den umstrittenen Spratley-Inseln, wobei die USA als eine Nation dargestellt werden, die die Bedeutung der "Cyber-Fähigkeiten" verschlafen hat und die dann der Eskalation-Logik, die sie in ihren Strategiepapieren festgeschrieben hat, schematisch folgt.

Hier bietet der Roman Realismus härtesten Kalibers, der den Leser das Gruseln lehrt. Spannend ist das allerdings nicht, die Erzählung ist – wie bei Patterson – recht holzschnittartig gearbeitet.

Gegen Schluss, wenn von Ferne der nukleare Holocaust grüßt, kommt etwas Spannung auf, die dann aber zugunsten soldatischer Helden-Porträts ins Nationalistisch-Sentimentale umgebogen wird.