Massenvernichtung und Weltuntergang als Nervenkitzel
Seite 3: Soldatentum im Atomzeitalter
- Massenvernichtung und Weltuntergang als Nervenkitzel
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Das ist die eigentliche Härte des Romans: Der Blickwinkel des Militärhandwerks wird an die globalen Konflikte angelegt. Hier hat man den US-Standard in Kriegsdingen, der sich jetzt auch bei der Rückkehr "unserer Soldaten und Soldatinnen" aus Afghanistan bemerkbar macht: Der Einsatz adelt den Auftrag.
Dass Leute bereit sind, sehenden Auges in den Tod zu gehen und Millionen Menschen dabei mitzunehmen, soll einem diese Figuren nicht fragwürdig erscheinen lassen, sondern als humane Gestalten, die sogar nachts von den Verwüstungen träumen, die sie anrichten, und sich dann allerlei einfallen lassen müssen, um wieder zur Ruhe zu kommen.
Dabei ist auch der Brutalismus des Stils bemerkenswert. Bis auf die taktisch-nukleare Ebene eskaliert das geschilderte Kriegsgeschehen, getreu der US-Doktrin, dass die USA im Fall des Falles zuerst Atomwaffen einsetzt, wie das Manöver Defender Europe zeigt.
Wie die legendäre "cyber capability" zählen diese Massenvernichtungswaffen, die früher einmal als Kriegsverhinderungspotenzial – weil nur zur Abschreckung verwendbar - dargestellt wurden, nun selbstverständlich als Kriegsmittel.
Die stilistische Brutalität des Romans gipfelt darin, dass die Vernichtung von zig Millionen Menschen beiläufig, gewissermaßen im Vor- und Rückblick, erwähnt wird, während ein einziger Tötungsakt hautnah geschildert und ausgewalzt wird: Es ist die Szene, in der ein iranischer (!) Offizier mit bloßen Händen und aus purem Sadismus ein Eichhörnchen erwürgt. Eine unfassbar brutale Stelle. Sollte der Roman verfilmt werden, kann man dies den Zuschauern keinesfalls zumuten!
Die Feindbilder, die der Roman ausmalt (imperialistische Russen, überhebliche Chinesen, fanatische Perser), sind aber sekundär, sie werden sogar in einem – fast – versöhnlichen Schluss als Varianten des "universeller Soldaten" vorgeführt.
Entscheidend ist, wie die Selbstverständlichkeit des Befehlsgehorsams bis hin zur Herbeiführung der atomaren Apokalypse als edles Menschentum gezeichnet wird.
Dass es süß und ehrenvoll ist, fürs Vaterland sterben, wusste auch schon ein Horaz. Dass dasselbe aber auch für die Einleitung des Weltuntergangs gilt, ist neu.
Stavridis kann man dabei nicht als direkten Kriegshetzer einstufen. Er warnt: Wenn die Dinge weiter schieflaufen (mangelhafte eigene Aufrüstung, mangelhaftes Containment gegenüber Rivalen), könnte es noch so weit kommen!
Auch ist ihm bewusst, dass die USA mit ihrer Weltherrschaft lauter Missgunst auf dem Globus praktizieren. Entsprechende Vorwürfe werden beiläufig abgespult. Aber das Fazit lautet: Für all das muss ein besseres Handling her, das Militär steht jedenfalls bereit und kann ein einwandfreies Potenzial aus US-amerikanischen Patrioten aufbieten.
Hier moniert Stavridis nur gewisse Fehlentwicklungen. Wie Ernst Jünger vermisst er den Kampf als inneres Erlebnis, wo man von Mann zu Mann kämpft und das Weiße im Auge des Feindes sieht. Techniker treten an die Stelle von Soldaten. "Der Kult der Technologie (...) hat uns verkümmern lassen" (S. 192), so die wiederholte Klage.
Aber das Gegenbild wird mit dem US-Piloten Wedge gezeichnet. Der Teufelskerl liebt den Geruch von jet fuel, fliegt sein Flugzeug mit vollem Körpereinsatz ohne Bord-Computer und ist überhaupt der eigentliche Held des Romans.
Er ist bereit, bis zum Weltuntergang zu gehen bzw. zu fliegen, den eigenen Tod natürlich inbegriffen. "Er hatte immer akzeptiert, dass es ein schmutziges Geschäft war... Dies fühlte sich nicht wie ein Selbstmord an. Es fühlte sich notwendig an. Wie ein Akt der kreativen Zerstörung." (S. 278)
Sein Tod darf natürlich nicht - so viel Feindbildpflege muss sein - mit Selbstmordattentaten muslimischer Fanatiker gleichgesetzt werden. Seine Todesbereitschaft ist das pure nationale Hochgefühl! In seinem Griff nach dem roten Knopf materialisiert sich der Wille der US-Nation und kommt eine soldatische Haltung zu ihrer Vollendung.
Diese Idealisierung von Kriegsbereitschaft im Volk, die Zweifel an den Führungsqualitäten der Politik zulässt, ist die passende Volkserziehung in den Vorkriegszeiten, die die US-Amerikaner mit ihren Kampfansagen in der Großmacht-Konkurrenz eingeläutet haben.
Auf die soldatische Bereitschaft, sich gegenüber Chinesen und Russen aufstellen zu lassen, darf sich keine Kritik richten. Die Truppe hält schließlich ihren Kopf hin - für uns alle! In diesem Sinne hat sich jetzt auch der Militärhistoriker Michael Wolffsohn zur Rückkehr "unserer" Afghanistan-Veteranen geäußert:
Die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz trägt tragischerweise dazu bei, dass die Distanz zwischen Gesellschaft und Bundeswehr noch größer wird. Das ist ungerecht gegenüber den Soldaten.
Wolfsson in Spiegel 42/2021
Kritik muss sich zurückhalten, eben wegen "unserer" Soldaten.
Die Süddeutsche Zeitung, die seinerzeit Clintons Buch schwach fand, sieht in "2034" ein (auch literarisch) gelungenes Lehrstück, das gerade die deutschen Soldaten auf der Bundeswehr-Fregatte "Bayern", die zu den Spratley-Inseln unterwegs ist, lesen sollten.
Von Stavridis könnte Deutschland einiges lernen, meint das Blatt. Ganz ungerührt wird das Expertentum des Admirals gelobt, aber auch mitgeteilt, "dass seine noch in der US-Armee aktiven Ex-Kollegen ihm nach der Lektüre gesagt hätten, er würde nur in einem Punkt irren: dem Handlungsdatum des Plots, 13 Jahre in der Zukunft: ‚Es könnte morgen passieren‘, hätten sie gesagt", so sie Süddeutsche Zeitung am 12.08.2021.
Pro patria mori ...
Zurück zu Stephen King. Sein Thriller Billy Summers ist auch eine Kriegsheimkehrer-Erzählung, übrigens kein besonders gelungener Roman. Die Bauteile kennt man alle (der eiskalte und einsame Samurai, von seinen Auftraggebern verraten, der Profi-Killer und das Mädchen etc.).
Der Schlussteil ist dann wieder eine der langgezogenen Todesmelodien, mit denen King so oft seine zunächst auf Suspense angelegten Romane abschließt, d.h. vermurkst.
Im Irak schießt Romanheld Billy als Sniper auf "Muj" und "Haj", wie sie ihm vor die Flinte gesetzt werden, also auf namenlose Islamisten, die wie Schießscheiben im Computerspiel auftauchen und erledigt werden. Zurück in den USA verpasst er – wie Scorseses "Taxi Driver" – den Anschluss ans zivile Leben und wird kriminell.
Jetzt erst entsteht der Gewissenskonflikt zwischen "bad" und "good" beim Töten. Da Billy zu Hause eigenmächtig vorgeht, verwirkt er sein Lebensrecht. Er ist nicht der Held aus einem Guss wie der Massenvernichter Wedge bei Stavridis. Aber ein Held ist er trotzdem - und ein sympathischer Kerl sowieso.
Hier hat man also den Pluralismus der US-Unterhaltung, die auf alle Länder ausstrahlt - auf die, die an der US-Weltordnung mitwirken (wollen), und die, die ihr zum Opfer fallen. Den Völkern der Welt muss eins klar werden: Kriegs- und Todesbereitschaft verdienen jeden Respekt.
Das kann man mal als offene Feier soldatischen Heldentums vortragen, mal mit einer Träne im Knopfloch. Und das Publikum darf auswählen! Hauptsache, es kommt keine Distanz zwischen Gesellschaft und Militär auf.