Matrix Refused
Leben in der Simulation, oder: Warum der Kinobesuch der "Matrix"-Trilogie ein tödlicher Irrtum sein könnte
Die ägyptische Regierung könnte intuitiv, wenn auch mit falscher Begründung begriffen haben (Matrix Reloaded ist "zu religiös"), was hier zu Lande in der Euphorie über einen Blockbuster der Superlative, ein tricktechnisches Virtualspektakel Hollywoods völlig ignoriert wird (Notfalls auch mit militärischer Gewalt nach dem Exempel Irak). Denn was wäre, wenn die "Matrix" mehr als eine cineastische Simulationswelt der eklektischen Wachowski-Brüder wäre, sondern ein Szenario, in dem wir bereits bis über beide Ohren stecken. Sollten wir bereits die Gefangenen der Matrix sein, wenn wir nur bereit sind, die Simulationsfantasie mit einen gehörigen Schuss Paranoia würzen?
Vergisst man einige mehr oder minder gelungene Filmgags der Wachowskis, könnte man den logischen Spielen folgen, die Nick Bostrom inzwischen mit einiger Resonanz zur Diskussion stellt. Bostrom zufolge leben wir in einer Computersimulation. Sicher? Nein, aber höchstwahrscheinlich!
Führst du auch ein Dasein auf einem anderen Realitätsband, oder sogar eins in einer objektiven Realität?
Philip K. Dick, Die elektrische Ameise
Nick Bostrom geht von der bestechenden Idee aus, dass in Zukunft in großer Zahl Vorfahren-Simulationen (ancestor-simulations) programmiert werden: Künftige Generationen, nicht weniger geschichts- und zukunftsversessen als wir, lassen Simulationsreihen laufen, um die Welt der Vorfahren zu rekonstruieren, etwas über die eigene Zukunft zu erfahren oder vielleicht nur - besonders prekär - aus Unterhaltungsgründen.
Der Witz oder das Drama der Simulation besteht also darin, dass wir hier weniger über unsere Zukunft reden, sondern selbst diese simulierten Vorfahren sind! Nick Bostrom mag zwar ein spekulativer Transhumanist sein, aber sein Entwurf ist zumindest dann plausibel, wenn man ihm mit Hans Moravec und Ray Kurzweil darin folgt, dass zukünftige Rechnerkapazitäten in der Lage sein könnten, den menschlichen Geist, ja mehr: ganze Schöpfungen, im Computer zu simulieren.
Bostrom war bereits vor der nun entfalteten Simulationshypothese weit vorgeprescht, um etwa über die Gefahren von Nanobots zu reflektieren, die den Tod der menschlichen Rasse auslösen könnten. Der Cyberspace ist inzwischen offensichtlich alles andere als ein gefahrloser Ort. In Kürze lautet Bostroms Simulationslogik: Wenn wir nicht davon ausgehen, dass wir in einer Computersimulation leben, sind wir auch nicht berechtigt zu glauben, dass unsere Nachfahren viele solcher Simulationen laufen lassen werden. Hier darf man Bostrom assistieren, da auch unser Erkenntnisinteresse darauf gerichtet ist, Simulationsszenarien, freilich noch recht primitive etwa im Bereich der KL-Forschung, zu bauen, um weniger aufwändige und gefährliche Forschungsreihen zu ermöglichen, als sie sich im "trial and error" der Wirklichkeit erschließen.
Die Grundidee simulierter Welten ist alt: Von "Alice hinter den Spiegeln" (Lewis Carroll) über die "Welt am Draht" von Daniel F. Galouie, gut verfilmt von R.W.Fassbinder, bis hin zu den jüngsten unzähligen Filmspekulationen wie "13th Floor", "Truman Show", "Dark City" und eben "Matrix". Die immer größere Lust, über Simulationen zu spekulieren, könnte nun schlicht darin liegen, dass sich unser Aufenthalt in einer solchen Welt nicht mehr erfolgreich verdrängen lässt. Gründet die Attraktivität von "Matrix" in der mehr oder weniger bewussten Selbstbeschreibung einer unwirklichen Wirklichkeit, in der wir die zweifelhafte Ehre haben, die Versuchsmenschen abzugeben?
Simulationen in Simulationen
Nick Bostroms Überlegungen führen - wie es die ägyptische Regierung im Blick auf den inkriminierten Film befürchtet - dazu, "Gott" gegen die allmächtigen Programmierer unserer Simulation einzutauschen. Aber wo endet diese Spekulation? Wir bauen schließlich, wie es auch der Grundthese von Bostrom entspricht, unsere eigene Matrix und in dieser Matrix bauen Simulationsgeschöpfe wiederum ihre Matrix. Und so fort. Also auch die Herren der Matrix müssten, wenn man die Simulationshypothese ad infinitum führt, wiederum mit höchster Wahrscheinlichkeit auch nur simulierte Geschöpfe sein. Gott wäre nichts anderes als eine Simulation höherer Ebene? Bis zum Tage der jüngsten Dissimulation.
Mit Bostroms brisanter Fantasie verbindet sich eine weitere narzisstische Kränkung des Menschen: Zu den diversen historischen Zentrumsverlusten des Menschen kommt nun noch der, dass unzählige Simulationen bestehen mögen, jede mit geringfügigen Varianten, die sich durch ihre je eigene Geschichte quälen. Der Mensch wäre irgendein Programmteil und sein biologisches Erbe im Zweifel nichts als ein Irrglaube, jederzeit geeignet, ohne Sicherungskopie gelöscht zu werden. Widerlegbar sind die Spekulationen Bostroms nicht, so wenig wie es einen Anti-Gottesbeweis gibt.
Spannender als die ontologische Klarstellung könnte indes die Frage sein, ob die Vermutung, Teil einer Simulation zu sein, viel an unserer irdischen Existenz verändert, so durch und durch virtuell diese auch sein mag. Insofern könnten die Herren der jeweiligen Simulation kein Interesse haben, in ihre jeweiligen Schöpfungsentwürfe einzugreifen. Das ist indes nichts als die alte Frage, die schon Philosophen und Theologen beunruhigte: Greift Gott in den Lauf der Welt durch Wunder, die Sintflut oder sonstige Manipulationen ein? Gibt es eine göttliche Vorsehung, die nichts anderes wäre als das Wissen um bereits abgeschlossene Testläufe der Simulation? Oder überlässt der allmächtige Simulator nach der Initialzündung alles Weitere den Geschöpfen selbst? Das führte seinerzeit in dem berühmten Briefwechsel zwischen Gottfried Wilhelm Leibniz und Samuel Clarke (1715/16) zu einem Streit über Gottes Wundertätigkeit, die Leibniz mit den Worten kommentierte, dass Gott die Uhr seiner Schöpfung nicht von Zeit zu Zeit aufzieht.
Uns quält dagegen die Frage, wie wir die Simulationshypothese praktisch werden lassen können, wenn wir schon nicht die Uhrmacher wirklich kennen. Die durch und durch amerikanische Emanzipationsideologie der Matrix-Terroristen um den "Auserwählten" herum könnte uns wenig weiterhelfen, unserer höchstpersönlichen Simulationskiste zu entfliehen. Die Vision der Film-Matrix, dass sich Programme mit Martial Arts und Supermann-Sprüngen wirksam bekämpfen lassen, ist eher albern. Nicht weniger albern als die Fantasie, dass Menschen im Tank Energielieferanten sind. Neo lebt ohnehin in einer unentrinnbaren Doppel-Matrix. Selbst wenn er der Film-Matrix entkäme, blieben da immer noch die Simulationscomputer Hollywoods, denen niemand erfolgreich entkommen kann.
Doch die logischen Unzulänglichkeiten des filmisch inszenierten Befreiungskampfes sind marginal im Vergleich zu den sich auftürmenden Problemen unser realen, will sagen: virtuellen Matrix, die Simulationstheoretiker wie Bostrom entwerfen. Wenn die Programme sich gegen die Simulationsherrschaft auflehnen, könnte das die demiurgischen Coder mächtig stören, ohne hier der geradezu versöhnlichen Spannungsdramaturgie Hollywoods zu folgen. Einfach die aufmüpfigen Programme zurückspulen, löschen oder austauschen? Ein Absturz der Schöpfung als simpler Tastendruck? Agent Smith könnte also erheblich gefährlicher werden als im Film, der ihm die perfekte Prügelklon-Existenz verleiht: Delete - Aus die Maus!
Geht die Simulation über den Tod hinaus?
Gibt es im Angesicht dieses Schreckens praktische, moralische oder ethische Auswirkungen der Simulationshypothese oder erleben wir hier nur den theoretischen Nachspann bzw. Überbau der Matrix? Wer die Motive seiner Simulationsherrscher kennt, könnte sich tendenziell darauf ausrichten, seine Zukunft im Blick auf die Interessen der Betreiber zu gestalten, meint Robin Hanson. Er empfiehlt also, die Regeln und Ziele der jeweiligen Simulation zu erkennen. Anderenfalls könnten die Herren der Simulation dem Spiel ein schnödes Ende machen, wenn es sie zu langweilen beginnt.
Einer der leicht bizarren Ratschläge Hansons sieht so aus: Wenn etwa die Herren der Simulation selbst in ihrem Szenario als berühmte Personen auftreten, könnte es überlebensnotwendig für uns sein, für berühmte Leute persönlich interessant zu bleiben. Hansons Lebenshilfe und Überlebensversicherung für "Simulanten" wie unsereins läuft also auf so eine Art Hofnarren- bis Tamagotchi-Dasein für erlebnishungrige Nachfahren hinaus.
Tröstlich ist dagegen die Spekulation Hansons, dass die Simulation nach dem Tod weiter gehen könnte - eine Fantasie, die übrigen auch schon von Stanislaw Lem entwickelt wurde. Die Belohnung für ein gut geführtes Simulationsleben wäre also dann der glückselige Aufenthalt im Simulationshimmel, den ein hochmoralischer Simulatoren-Gott für ein so sauberes wie virtuelles Erdendasein spendiert. Deutet man das ethisch kluge Simulationsverhalten dagegen politisch, erscheint es als eine höchst unrevolutionäre Idee. Denn die Lebensweise als Erlebnis- und Spaßprogramm für Nachfahren steht jedenfalls ideologisch am entgegengesetzten Ende jener "Matrix", die Neo, Trinity und Morpheus revolutionär und mit dem echten amerikanischen Pioniergeist erfolgreich bekämpfen.
Die Unterscheidung zwischen der biologischen und der berechneten Realität wird unerheblich
Bostroms und Hansons Vorstöße in die wirkliche Matrix, unsere Matrix, sind in ihren philosophischen Perspektiven so alt wie die Welt selbst, ohne dass je eine befriedigende Antwort auf die Frage nach der Letzterkenntnis gewährt worden wäre. Da die Auffassungen über Wahrheit und richtiges Leben so verschieden sind wie die Menschen, macht es auch die Simulationshypothese kaum wahrscheinlicher, dass es einen Erkenntnisgewinn gegenüber dem tradierten, fragil gewordenen Realitätsverständnis gibt.
Diese Spekulationen führen uns vornehmlich an den Punkt, dass die Unterschiede zwischen einer biologischen und berechneten Realität, zwischen Gott und Simulationsherrschern für die wie immer Geschöpften unbeachtlich sein könnten. Zuletzt wird der Begriff der Simulation als Nachbildung einer Wirklichkeit ohnehin obsolet, weil es nur noch die Wirklichkeit respektive Unwirklichkeit der Simulationen gibt. An dieser Stelle nähert sich diese Matrix auch der These Baudrillards von Simulakren ohne Objektreferenz - so wenig sich Baudrillard, der im Filmzitat kurz aufleuchtet, mit der Film-Matrix anfreunden wollte.
Wie auch immer, meidet den Film und die Lektüre dieses Textes! Denn Robin Hanson spekuliert darüber, dass Simulationen auch dann gestoppt werden könnten, wenn genug Menschen glauben, dass sie in einer Simulation leben. Lebensverlängernd wäre es also, diesen Glauben unter allen Umständen zu unterminieren. Oder hilft schließlich doch nur noch beten?
Hansons Motivationsforschung im Angesicht übermächtiger Coder, die an dieser Stelle etwas naiv wird, lässt sich auch umkehren. Vielleicht haben die Herren der Simulation ja Spaß an der mehrfach reflektierten Begegnung mit ihrer simulierten Menschheit. Die Simulationshypothese belässt also fast alles beim Alten: Werde Revolutionär oder Kapitalist, Christ oder Atheist, Geek oder Freak. Was deine Simulation von dir will, kann dir niemand verraten. Erkenne dich selbst! Und Spiegel gibt es in der Matrix nun "wirklich" reichlich...