May-Kabinett einigt sich auf Warenfreihandels-Brexit

Theresa May. Foto: EU2017EE Estonian Presidency. Lizenz: CC BY 2.0.

Akzeptanz in Brüssel offen

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Gestern mutmaßten britische Medien, dass es im Kabinett von Theresa May Rücktritte geben könne - und dass eventuell sogar die Premierministerin selbst stürzt. Hintergrund war eine Klausursitzung auf Mays Landsitz Chequers, zu der sich ihre 26 Minister ohne Mobiltelefone trafen, um sich auf eine einheitliche Position bezüglich der Modalitäten des britischen EU-Ausstiegs zu einigen.

Nach zwölfstündigen Verhandlungen informierte May die Medien aber dann doch nur darüber, dass ihr Kabinett einer "gemeinsamen Position für die Verhandlungen mit der EU zugestimmt" habe. Ein nicht namentlich genannte Pro-Brexit-Minister meinte dazu gegenüber der BBC, es habe keinen Sinn gehabt, darüber abzustimmen, weil eine Fraktion mit sieben zu 20 Teilnehmern klar in der Minderheit gewesen sei.

Der Kompromiss, der auf diese Weise zustande kam, sieht vor, dass das Vereinigte Königreich beim Handel mit Waren Teil des europäischen Binnenmarktes bleibt, aber nicht beim Kapitalverkehr (wo man mehr "regulatorische Flexibilität" haben will), bei anderen Dienstleistungen und bei der Freizügigkeit von Arbeitskräften (für die es einen neuen "Mobilitätsrahmen" geben soll). Damit sich der Binnenmarkt für Waren ohne Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland mit einem Austritt aus der Europäischen Zollunion verbinden lässt, will London verschiedene Zollsätze auf Waren für den heimischen und für den europäischen Markt erheben.

"Gemeinsames Regelbuch"

Um Lieferketten nicht zu unterbrechen, soll es ein "gemeinsames Regelbuch" für London und Brüssel geben, das unter anderem Produktstandards enthält. Die darin enthaltenen Regeln sollen laufend zwischen der EU und dem UK "harmonisiert" werden. Das letzte Wort darüber, ob sie im UK gelten, soll aber das Westminster-Parlament haben.

Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg will man sich bezüglich dieser Regeln zwar nicht formell unterwerfen, aber sie sollen als "Richtschnur" akzeptiert werden. Verkehrsminister Chris Grayling meinte dazu, so etwas machten britische Richter bereits jetzt, wenn es um Entscheidungen mit Bezug zu Ländern wie Kanada oder Hongkong gehe. Klappt das nicht zur Zufriedenheit beider Seiten, soll ein gemeinsames oder ein unabhängiges Schiedsgericht entscheiden.

Nun müssen sich die EU-Kommission und die EU-Mitgliedsländer überlegen, ob sie diese gemeinsame britische Position akzeptieren. Michael Barnier, der Chefunterhändler der EU, hatte bereits gestern Abend angekündigt, ein eventuelles Entgegenkommen anhand der Verhandlungsrichtlinien der EU-Kommission zu prüfen.

Eine andere Hürde für den Kompromiss steht nicht in Brüssel, sondern in London: Im Westminster-Parlament, wo noch offen ist, wie viele Mitglieder von Mays Tory-Fraktion den Verbleib in einem Waren-Binnenmarkt akzeptieren werden. Mays dort sitzender potenzieller Nachfolger Jacob Rees Mogg (vgl. Theresa May vs. Boris Johnson vs. Ruth Davidson vs. Jacob Rees Mogg) meinte auf Fragen dazu, er er kenne bislang nur eine dreiseitige Zusammenfassung des gestern verabschiedeten hundertseitigen Dokuments, weshalb er noch nicht sagen könne, ob die Position den Anforderungen des Parteimanifests zum Brexit entspricht. Es sei allerdings "möglich", dass sie "schlimmer als kein Deal" ist.

Die BBC-Kommentatorin Laura Kuenssberg kam in ihrem ersten Urteil über die bislang bekannt gewordenen Inhalte des Papiers zum Ergebnis, dass es viele Mitglieder des Brexit-Flügels der Torys "verärgern" wird. May, so Kuenssberg, habe sich damit nämlich auf eine Seite geschlagen und trete für eine engere Verbindung zur EU ein, als vielen ihrer Parteifreunde lieb ist. Kuenssbergs Kollege Nicholas Watt glaubt deshalb, dass es "ein Problem geben wird", wenn Brüssel versucht, "die Vorschläge noch weiter zu verwässern".

Seehofer fordert "uneingeschränkte Sicherheitszusammenarbeit"

Kurz vor der britischen Kabinettseinigung war ein Brief des deutschen Innenministers Horst Seehofer an die EU-Kommission in die Hände der Financial Times gelangt. In diesem auf den 27. Juni datierten Brief meint der CSU-Vorsitzende, er wolle sich zwar nicht in die Zuständigkeiten der Kommission einmischen, "erlaube [sich] jedoch als Innenminister eines europäischen Mitgliedstaats darauf hinzuweisen, dass die Sicherheit der europäischen Bürger höchste Priorität auch in der Europäischen Union genießen muss".

Deshalb, so Seehofer, müsse Barnier mit dem Vereinigten Königreich eine "uneingeschränkte Sicherheitszusammenarbeit" anstreben. Barnier selbst hatte vorher verlautbart, dass sich diese Sicherheitszusammenarbeit nach einem Brexit naturgemäß verringern werde.

Aus der EU-Kommission hieß es nach dem Bekanntwerden des Briefs lediglich, es gebe mit Michel Barnier "nur einen Brexit-Verhandler" und der halte sich "an die roten Linien oder die Leitlinien, die der Europäische Rat festgeschrieben hat".

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