Mechanismus des Urbanen
Zur Wechselwirkung von Geld/Immobilien einerseits und Stadt andererseits
Edward A. Murphy jr. war ein amerikanischer Ingenieur, der, bei der US Air Force beschäftigt, im Jahr 1949 an einem Testprogramm teilnahm, bei dem es darum ging, welche Beschleunigung ein menschlicher Körper aushalten könne. Auswertbare Ergebnisse kamen nicht zustande, weil ein Mitarbeiter die Sensoren falsch angebracht hatte. Deshalb wäre Murphy jr. längst in Vergessenheit geraten - hätte er diese Erfahrung nicht in einem Satz zusammengefasst, die als Murphys Law dann Geschichte schrieb: "Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet oder sonst wie unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht, dann wird es jemand genauso machen."
Widrige Wirkungen und Kollateraleffekte muss man heute auch auf einem - zunächst unvermuteten - Themenfeld verzeichnen: Dem der Lebenswelt 'Stadt'. Denn im gleichen Maße, wie von vielen (und nicht nur) Fachleuten die vielzitierte 'Renaissance der Stadt' forciert und gefeiert wurde, hat sie offenbar auch etwas Entscheidendes verloren. Insbesondere wird häufig reklamiert, dass sie Beute des (Groß)Kapitals geworden sei. Das kann man natürlich als eine Übertreibung abtun. Doch die Frage, wie die Ökonomisierung des Alltagslebens die Stadt prägt und unser aller Umgang damit verändert, bleibt gewiss diskussionswürdig.
Territoriale Immobilienmärkte werden aufgebrochen und von externen Interessen invadiert
Ein ganz entscheidendes Narrativ dabei ist die "Immobilie". Ihre Geschichte führt von Ackerbau und Viehzucht, die in vorindustriellen Zeiten die vorherrschenden Bestimmungen von Land waren, zur Landnahme durch Industrie und Städtebau. Sie geht vom Lebensprojekt, so wie es sich im Bau von Eigenheimen realisiert, zum Investment, wobei das Verfügungsrecht über Grund und Boden stets den Kern dieses Wirtschaftsgutes ausmacht.
Und genau das kristallisiert sich heute immer mehr als Problem heraus. Zumal das räumlich-maßstäbliche Gefüge der Real Estate Branche in den letzten Jahren massiv in Bewegung geraten ist. Während Immobilien naturgemäß standortgebunden sind, erweist sich das in Immobilien investierte Kapital als immer flexibler, mithin sogar flüchtiger. Durch die steigende Intensität und geographische Ausdehnung der ökonomischen Verflechtungen werden die territorialen Immobilienmärkte aufgebrochen und von externen Interessen invadiert. Diese Überformung lokaler Immobilienmärkte schlägt sich - in Form von Kapitalströmen, neuer Akteurskonstellationen, der Etablierung globaler Praktiken und Standards - immer stärker im jeweiligen Stadtbild nieder.
Doch statt eine gesellschaftspolitische Strategie des Umgangs damit zu entwickeln und durchzusetzen, resultiert daraus eher ein bemerkenswertes Wechselspiel: Auf der einen Seite suchen Anleger und Developer nach neuen, renditestarken Investitionsdestinationen. Auf der anderen Seite scheuen Städte und Regionen im internationalen Standortwettbewerb keinen Aufwand, um Investoren anzulocken.
In der Stadtentwicklung kommt das einer enormen Akzentverschiebung gleich: Die Frage nach der Schaffung von Werten (und der Werterhaltung) wird offenkundig durch die oberflächlichen Konditionen des Konsums ersetzt. Denn im Vordergrund stehen plötzlich "Vermarktungsobjekte". Und das geht zulasten der Lebenswirklichkeit des durchschnittlichen Stadtbewohners.
Architektur ist dabei kaum mehr als ein willkommener Bildlieferant für die schwunghafte Maschinerie des Investments. Unter den Tisch fällt, dass mittels des Entwerfens, Planens und Bauens eben auch Räume für ein nicht entfremdetes Leben zu schaffen wären. Oder um es mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt zu sagen: "Es gibt kein Leben ohne einen Grund und Boden, ohne das Gefühl für einen Raum, der nicht nur äußerlich, sondern innerlich ist - mentale Loci." Die Sozialrendite von Häusern und Projekten, die gefühlten Werte: Sie scheint es in dieser Immobilienwelt nicht zu geben.
Andererseits wäre es naiv, die harten Realitäten der Stadtentwicklung und eines immer anonymer werdenden Marktes zu verkennen. Um sie kurz anzureißen: Private Investoren bauen, ohne die Nutzer zu kennen. Schon vor der eigentlichen physischen Entstehungsphase - noch im Planungsstadium, doch eventuell schon mit Baurechten versehen - werden Projekte an andere Investoren verkauft.
"Allzu häufig", bemerkte unlängst der in Berlin ansässige Architekt und Projektentwickler Eike Becker, "läuft das so ab: Jemand sichert sich ein Grundstück und beauftragt einen Architekten, das Baurecht zu klären. Dabei bekommt er möglicherweise mehr Nutzfläche genehmigt. Der Flächenzuwachs bedeutet für ihn einen risikolosen Gewinn, den er sofort realisiert, indem er das Grundstück deutlich teurer weiterverkauft. Dann fängt der neue Eigentümer mit neuem Architekt dasselbe Spiel wieder von vorne an. Durch diesen Reigen wird ein mögliches neues Gebäude bereits durch den in die Höhe spekulierten Bodenpreis so stark belastet, dass die Architektur das ausgleichen und billiger werden muss. Jeder Weiterverkauf kostet Architekturqualität." Ob man damit das allerorts postulierte Ziel, starke, zukunftsfähige Quartiere zu schaffen, erreicht?
"Gibt es ein Recht, die Innenstadt zur Verwertungsmasse zu machen?"
Der renommierte Gentrifizierungsgegner Andrej Holm hat, als er im Interview sibyllinisch danach gefragt wurde, ob es denn ein Recht darauf gebe, dass die Dinge so bleiben, wie sie waren, geantwortet: "Ich glaube, dass das ein Missverständnis ist. Ganz viele Menschen engagieren sich seit Jahren mit, die Viertel so zu gestalten, dass sie gern in ihnen leben. Kritisiert werden ja nur die Veränderungen, die an den eigenen Bedürfnissen vorbeigehen. Wir können die Frage auch umkehren: Gibt es ein Recht, mit den Lebens- und Existenzbedingungen von anderen sehr viel Geld zu verdienen? Gibt es ein Recht, die Innenstadt zur Verwertungsmasse zu machen? Wir könnten auch denjenigen sagen, die Betongold schürfen, geht dorthin, wo ihr niemanden stört."
Dass Holm daraus folgert, man müsse die Möglichkeiten, mit Mietsteigerungen und Spekulation Geld zu verdienen, politisch einschränken, ist ja nur konsequent. Eine höhere Grunderwerbssteuer schiene ihm beispielsweise sinnvoll, weil sie den massiven Spekulationshandel mit Wohngrundstücken erschweren würde. Andererseits aber erhöht sie für viele Einzelne die Schwelle, an Wohneigentum zu gelangen.
Wie auch immer - zumindest wird aus der Debatte eines deutlich: Längst befindet sich unser Kulturkreis im Übergang von einer politisch motivierten, nicht-monetären Stadtentwicklung hin zu einer privaten, an Gewinn und Rendite orientierten Steuerung. Das kann Chancen bieten: Wenn internationale Investoren angelockt werden, die mit ihren Projektentwicklungen oder mit der Sanierung ältere Bürogebäude die baulichen Voraussetzungen für die Ansiedlung neuer Branchen schaffen, und wenn damit positive Beschäftigungseffekte ausgelöst werden.
Unübersehbar gibt es indes auch die Kehrseite: Nämlich eine weitaus stärkere Abhängigkeit von mobilem, stets abziehbarem Kapital. Wenn die Renditen in anderen Anlagebereichen oder an anderen Standorten aussichtsreicher sind, dann kann abrupt ein Abzug der Finanzmittel erfolgen.
Die Ausmusterungsideologie der hochspezialisieren Industriegesellschaft ist auf die Strukturen der Stadt nicht anwendbar
Es scheint, als haben sich die Verhältnisse von allen realen Bestimmungen befreit. Tatsächlich ist es ja so, dass ein Leben in der Innenstadt von München, London oder Frankfurt nicht weniger attraktiv wäre, wenn die Wohnungen so billig wären, wie sie das bis vor einiger Zeit in Berlin waren. Immobilien gehören offenbar mittlerweile zur Finanzwirtschaft, und diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich von der produzierenden Wirtschaft entkoppelt hat und diese trotzdem beherrscht. Dabei bleibt die Frage, wie privat(wirtschaftlich)e und allgemeine Ansprüche ausbalanciert werden können, so prekär wie offen.
Nicht unterschätzen darf man in diesem Zusammenhang den Begriff des 'Eigentums'; er stellt im Kontext von Gebäuden und Stadt etwas ganz Zentrales dar. Der Nobelpreisträger Hubert Markl hat dazu einmal ausgeführt: Wer "das Verhalten von Tieren näher betrachtet, wird (…) belehrt (…) durch ihr Bauverhalten, also ihre Fähigkeiten, sich ihre Umwelt selbständig zu gestalten. Damit lernen wir aus ihrem Verhalten etwas über die 'Natur des Eigentums', die menschlicher 'Kultur des Eigentums' voranging und diese sozusagen auf natürlichen Fundamenten begründete. Woran wir erkennen können, dass unser eigenes Eigentumsverhalten - das sogar die Etymologie als 'eigentümliches Verhalten' kennzeichnet -, wenn auch nicht der Eigentumsbegriff, der der Sphäre menschlicher Sprache und menschlichen normativen Denkens vorbehalten bleibt, seine Wurzeln tief im Tierreich hat - wie fast alles, was uns an menschlichem Verhalten für unsere Art typisch, also universal und zumeist auch tief emotional verankert, beeindruckt."
Mit anderen Worten: Das Mobilisierungspotential, die Bindungskraft und das Identifikationsvermögen, welches vom Eigentumsbegriff ausgeht bzw. in ihm enthalten ist, wird an kaum einen Beispiel deutlicher als am (eigenen) Haus, mithin also an der Immobilie. Gleichwohl muss man diesen Grundgedanken erheblich weiterstricken. Die einzelnen Gebäude, ihr Produktionsprozess ebenso wie ihr Zusammenspiel als baulich-räumliche Umwelt sind Indikatoren für den Lebenswert eines Ortes. Er wird in dreifacher Weise wahrgenommen: funktional im alltäglichen Gebrauch (als Gebrauchswert), ökonomisch über die Nachfrage als Wohn- und Arbeitsort (als Tauschwert) und emotional über das Erscheinungsbild und die Atmosphäre des Ortes (als Inszenierungswert). Alle drei Aspekte - und ihre Wechselwirkung - sind von Belang, wenn wir uns mit Immobilienmärkten befassen.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die Ausmusterungsideologie der hochspezialisieren Industriegesellschaft, derzufolge es als 'billiger' und 'angemessener' dargestellt wird, ein mit Fehlern oder Verschleißspuren behaftetes Produkt zu verschrotten und durch ein neues zu ersetzen, ist auf die Strukturen der Stadt nicht anwendbar. Das führt weiter zu der Frage, ob es Investoren und Developer heute tatsächlich als zumutbar und sinnvoll erachten, die notwendigerweise kleinteilige und inkrementalistische Arbeit an der Stadt zu leisten.
Und die ist einschlägig, zumal ja viel vom "Recht auf Stadt" gesprochen wird. Gemeint sind damit Modelle der Stadtentwicklung, die sich emanzipieren von jener Logik der Finanzmärkte, die sich an Maximalrenditen orientiert. Stichwort "Nachhaltigkeit": Es wäre an der Zeit, über neue Planungs- und Baufinanzierungsmodelle nachzudenken, mit denen privates und öffentliches Geld in einen sozial verträglichen, ressourcenschonenden und ökologisch korrekten Umbau der Städte gelenkt werden könnte.
Das potentielle Investitionsvolumen in Immobilien übersteigt längst jenes des produzierenden Gewerbes. Es steht eine gewaltige Liquiditätswelle bevor; und sie steuert zu auf die großen, attraktiven Städte im relativ gesicherten gesellschaftlichen Kontext Mitteleuropas. Hier wird sich zeigen, ob es überzeugende neue Paradigmen des Gemeinwohls gibt, die sich letztlich auch in neuen urbanistischen und architektonischen Modellen ausdrücken.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.