Medien: Das große Versagen in und nach der Corona-Krise
- Medien: Das große Versagen in und nach der Corona-Krise
- "Das nachträgliche Klagen über die Coronamaßnahmen ist Jammern auf höchstem Niveau"
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Politiker räumen zaghaft Fehler während der Corona-Krise ein. Medien halten sich zurück, manche wollen nur ein Jammervolk erkennen. Wo bleibt ihr Mut? Ein Kommentar.
Angesichts des sonst geringen journalistischen Interesses an einer Aufarbeitung der Corona-Politik haben in den letzten Tagen erstaunlich viele Medien eine Geschichte des Spiegels aufgegriffen. Von der ARD-Tagesschau bis zur Zeit wurde kolportiert, Politiker hätten Fehler eingestanden.
Harmlose Medien-Statements zur Pandemie
Erstaunlich ist dies, weil der Spiegel keine investigative Enthüllung präsentiert, sondern schlicht von sieben Personen Rückschau-Statements gesammelt hat. Die redaktionelle An- und Abmoderation trägt wenig zur Einordnung bei.
Was der Spiegel gemacht hat, hätte jedes Medium jederzeit auch mit geringer eigener Kraft geschafft, wie es einige Zeitungen und Sender auch längst gezeigt haben.
In der 20-Uhr-Tagesschau am 8. März war es der dritte Beitrag, dessen Filmbericht von Alexander Budweg und Stefan Troendle Sprecherin Susanne Daubner so einleitete:
Nächtliche Ausgangssperren, Schulschließungen oder - wie hier [Foto im Hintergrund] - gesperrte Spielplätze: In der Corona-Pandemie wurden Entscheidungen getroffen, mit denen vorher niemand gerechnet hatte.
Politiker, die damals mitentschieden haben, schauen inzwischen kritisch auf diese Zeit. Im Magazin Spiegel räumen Ex-Innenminister Seehofer oder auch Bundesgesundheitsminister Lauterbach jetzt Fehler ein. So sei der Umgang mit Kindern und Jugendlichen zum Teil zu streng gewesen.
Tagesschau
Zu Beginn des Filmbeitrags sagt eine Schülerin:
"Es war sehr schlimm für mich, dass ich meine Freunde nicht sehen konnte." Aus dem Off wird nüchtern festgestellt: "Gemeinsam spielen, Sport machen - alles verboten. Stattdessen Kontaktsperre."
Corona und die Politik: Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen
Es folgen ein kurzes Statement des Medizinethikers Giovanni Maio, ein Zitat des ehemaligen Kanzleramtsministers Helge Braun (CDU) aus dem Spiegel, die Forderung der FDP nach einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung, vorgetragen von Andrew Ullmann, ein indirektes Zitat aus dem Spiegel von Karl Lauterbach (SPD), der einer Enquete-Kommission offen gegenüberstehe, sowie die Ablehnung einer solchen durch die Grünen, vorgetragen vom Abgeordneten Janosch Dahmen.
Der Beitrag endet mit den Worten:
Die Corona-Pandemie ist vorbei. [Die Schülerin] geht wieder normal zur Schule. Politisch aufgearbeitet ist vieles aber noch nicht. Tagesschau
Medienkritik: Versäumnisse während der Corona-Krise
Mit dem Fokus auf eine anstehende Aufarbeitung im Bundestag – oder auch auf laufende wie im Landtag Brandenburg – setzen zahlreiche Medien allerdings fort, was ihnen an eigenem Versäumnis während der Pandemie vorgeworfen wurde: zu sehr nur wiederzugeben, was parteipolitische Akteure fordern oder kommentieren, anstatt selbst Sachverhalte zu recherchieren und der Gesellschaft eine eigene Meinungsbildung zu ermöglichen.
Die sieben Rückblicke auf die Corona-Zeit im Spiegel kommen von den Politikern Karl Lauterbach (SPD, zu Beginn der Pandemie normaler Abgeordneter und nicht einmal Mitglied des Gesundheitsausschusses), Helge Braun (CDU), Horst Seehofer (CSU, bis 2021 Bundesinnenminister) und Irene Mihalic (Grüne).
Ferner von Stefan Huster (Rechts-Professor in Bochum, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Evaluation der Pandemiemaßnahmen), Heinz Bude (emeritierter Professor für Soziologie und Mitautor des Strategiepapiers "Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen") und vom Schauspieler Jan Josef Liefers (während Corona medial relevant geworden durch seine Beteiligung an der Aktion "#allesdichtmachen").
Die Suche nach Vielfalt in der Corona-Berichterstattung
Die Vielfalt an Perspektiven auf das Pandemie-Management kann von diesen sieben Personen kaum abgebildet werden, zumal sie bis auf Liefers alle in das politische Geschehen involviert waren.
Und selbst diese sieben Positionen werden nicht durch weitere Recherchen miteinander verknüpft.
Im Eingangstext der Autoren Milena Hassenkamp, Martin Knobbe und Janko Tietz heißt es:
Kaum ein Thema hat in den vergangenen Jahren die Menschen so sehr gegeneinander aufgebracht wie die Coronapolitik während der Pandemie. In gewissen Gruppen, bei den sogenannten Querdenkern oder der AfD, wirkte ihre Spaltkraft wie ein Motor für zunehmende Angriffe gegenüber gewissen Politikerinnen und Politikern, gewissen Wissenschaftlern, gewissen Medien, für zunehmende Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie. Spiegel 11/2024
Genau diese Skepsis äußert jedoch kurz darauf der offenbar nicht den Querdenkern zugerechnete Professor Stefan Huster. Im Beitrag heißt es:
Als größtes Versäumnis aber sieht er den Ausfall der parlamentarischen Kontrolle. Die Entscheidungshoheit habe beim Kanzleramt, den Ministerien und der Ministerpräsidentenkonferenz gelegen, die Parlamente in Bund und Ländern hätten sich aus der Verantwortung gezogen. Huster hat ein Wort dafür: "Parlamentsversagen".
Spiegel
Medien und ihre Rolle in der Corona-Krise
Müsste nicht jeder Demokrat "Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie" haben, wenn in einer großen Krise mit inzwischen allseits zur Kenntnis genommenen Kollateralschäden ein "Parlamentsversagen" vorlag?
Und wäre dann nicht von den Medien selbst auch ihre eigene Rolle kritisch zu beleuchten? Schließlich ist es ihre Aufgabe, Meinungsvielfalt und Kritik öffentlich zu machen.
Einer ergebnisoffenen Recherche hätte hier kaum entgehen können, dass das "Spaltvirus" nicht nur zwischen Regierungsfreunden und Querdenker genannten Kritikern geschieden hat, sondern die Kritik selbst sehr vielfältig und in den Extremen völlig konträr war.
Keineswegs bloß die Gegner von Freiheitseinschränkungen sind bis heute vor allem in den sozialen Medien aktiv, sondern auch das im Spiegel so bezeichnete "Team Vorsicht", aus dem heraus immer noch Maskenpflichten oder Luftfilter in Schulen gefordert werden.
Die Debatte um "offizielle Politik" während der Corona-Pandemie
Im Spiegel heißt es:
Die Pandemie habe "Gegengemeinschaften zur offiziellen Politik" geschaffen, so hat es der Soziologe Matthias Quent einmal formuliert.
Ist eine solche "Gegengemeinschaft" zu bilden nicht der Normalfall dessen, was sich Opposition nennt, und sollten nicht sogar innerhalb der Regierungsparteien "Gegengemeinschaften zur offiziellen Politik" möglich sein?
Haben Parlament und Regierung nicht verschiedene Aufgaben?
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