Medien-Debatte über Hersh: Fragen bleiben
Mediensplitter (16): In Frankreich ist der Bericht des US-Journalisten zur Sabotage der Nord-Stream-Pipelines anders als in Deutschland bislang kein "hochexplosiver Stoff" und auch kein Anlass, den Journalisten zu diffamieren.
In Deutschland wird dem jüngsten Bericht von Seymour Hersh (USA stecken hinter Nord-Stream-Sabotageakt) selbst in kritischen Analysen eine "enorme Sprengkraft" bescheinigt (taz).
Der Artikel "schlug ein wie eine Bombe", beobachtet auch der Cicero, der im Titel schon die Schlüsselfrage stellt: "Und wenn es doch die USA waren?"
In Frankreichs Medien ist von dieser Drastik – jedenfalls bislang – nichts zu lesen, zumindest nicht in den reichweitenstarken Medien. Weder wird die Cicero-Frage aufgeworfen, noch ist von einer "Enthüllungsbombe" die Rede.
Distanziertes Interesse
Auch werden bisher keine Faktenfüchse losgeschickt, um die Behauptungen Hershs zu überprüfen. Das Thema wird im Vergleich zur Debatte in deutschen Medien mit einem distanzierteren Interesse behandelt, so der Eindruck.
Weder in Le Monde noch bei Le Figaro und auch nicht in der Libération hat Hershs aktuelle Insiderinfo einen erhöhten Stellenwert. Es gibt keine Auseinandersetzung, die sich bisher die Mühe gemacht hat, die Hintergründe der Operation, wie sie Hersh aufgrund einer anonymen, angeblich gut situierten Quelle schildert, im Detail zu überprüfen.
Eine große Zeitung, La Tribune, ist die Ausnahme. Dort wird immerhin ein AP-Bericht mit der Überschrift präsentiert: "US-amerikanischer Enthüllungsjournalist beschuldigt die USA, die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 sabotiert zu haben". Und der Artikel ist länger als nur eine Kurzmeldung.
Abgehandelt wird das Menü, wie man es auch aus deutschen Berichten kennt: die Vorwürfe Hershs, seine einzige Quelle, das Dementi aus Washington und Hershs Ruf und Werdegang als Investigativ-Journalist. Der Artikel schließt mit Kreml-Sprecher Peskow, der dazu aufruft, dem Artikel von Hersh Beachtung zu schenken. Es ist keine deutliche Wertung im Artikel, die sich der Leserschaft aufdrängen will.
Auch bei Courrier International widmet man Hershs Lanze gegen die öffentliche Darstellung der Vorgänge um die Lecks bei den Nord-Stream-Pipelines einen längeren Artikel mit den aufgeführten zentralen Menü-Punkten. Ohne Diffamierung des Journalisten, aber mit Fragen.
Keine hitzige politische Platzanweisung
Anders als in deutschen Medien, wo sich transatlantische Musterschüler besonders an eine Spur der Rezeption von Hersh heften, die zur "Konspiration-Szene" führt, tritt solcher Ehrgeiz bisher in der französischen Berichterstattung zumindest nicht so sichtbar und bestimmend hervor.
Eine Publikation des größten französischen Fernsehsenders TF 1 zitiert zwar Quellen wie Eliot Higgins von Bellingcat, der große Zweifel an Hershs Glaubwürdigkeit äußert. Wobei Bellingcat als "höchst seriös" bezeichnet wird, ungeachtet der politischen Tendenzen, die in deren Analysen auffallen.
Aber es wird auch deutlich herausgestellt, an welchen Zweifeln die Publikation von Hersh rührt. Ohne dem, wie in deutschen Publikationen nicht selten, ein lektürepädagogisches Framing zur Einordnung beizugeben:
Es sei daran erinnert, dass bisher keine der seit September letzten Jahres eingeleiteten Ermittlungen dazu geführt hat, Verantwortlichkeiten zu ermitteln oder ein bestimmtes Land zu beschuldigen.
Deutschland, Schweden und Dänemark versuchen immer noch, die Vorfälle aufzuklären, aber die Ermittler auf der anderen Seite des Rheins sagten letzte Woche, dass sie "keine Beweise" hätten, die auf Russland hindeuten würden.
Auch nicht für einen anderen Akteur. Die Skandinavier waren sich nur in einem Punkt einig, nämlich dass es sich um vorsätzliche Handlungen und nicht um Unfälle handelte.
Thomas Dezpot, TF 1
Auch in Spanien haben sich die reichweitenstarken Medien, mit Ausnahme von Lavanguardia und der Huffington Post, noch nicht erwähnenswert mit Hershs Coup beschäftigt.
Aber, so ein Landeskenner, da das Thema schon bei den "Faktencheckern" von maldita gelandet ist, könnte es sein, dass die Recherchen von Hersh doch in die Debatte kommen.
Solange es keine öffentliche, gut begründete Ermittlungsergebnisse etwa in Deutschland von der Bundesanwaltschaft gibt, bleiben Fragen zu den großen Pipeline-Lecks offen. Durch politische Platzanweisung ("außerhalb der Seriösität!") werden sie nicht geklärt, sondern nur von einer Kanzelposition aus verschoben.
Klärung
Eine Informationspolitik der Regierung, wie sie der frühere deutsche Linkenabgeordnete Fabio di Masi zur Aufklärung fordert, könnte manches aufhellen:
Es ließe sich schnell Klarheit darüber herstellen, ob der legendäre Enthüllungsjournalist #SeymorHersh mit seiner Story zur Sprengung der NorthStream Pipeline durch die USA phantasiert, wenn die Bundesregierung das Parlament über Ihre Erkenntnisse informieren würde. Das lehnt sie ab!
Fabio di Masi