Medien, Konsum und Macht: Die Erziehung zur Anpassung
Warum technologische Innovation allein die Klimakrise nicht lösen kann. Über Autowahn und Freiheit. Essay (2. Teil und Schluss).
Es herrscht eine Spannung zwischen individuellem Streben nach Selbstverwirklichung und den zerstörerischen Konsequenzen für Natur und Gesellschaft.
Siehe dazu Teil 1 des Essay
Weihnachten 2024: Prognostizierte 735 Millionen Paketsendungen
Die Crux besteht darin, dass die moderne Konsum- und Vergnügungskultur individuelle Freiheit preist und andererseits treibender Faktor für Umweltzerstörung und Klimawandel ist. Die herrschende industriell-kapitalistische Lebensform zieht unweigerlich psychologische und moralische Folgen nach sich.
"Alternativlos" – ohne Konzepte
Wir haben dasjenige viel zu tief verinnerlicht, was uns schlussendlich im Wege steht. Mit seiner Wissenschaft, Technik und Individualethik schaltet und waltet der Homo oeconomicus (Werner Bätzing nennt ihn in einem Buch auch "Homo destructor") entlang der Grenzen des Machbaren, das heißt auch: an den Eigengesetzmäßigkeiten der Natur vorbei – und verstümmelt dabei seine eigene.
Neben der Behauptung einer Alternativlosigkeit der herrschenden Verhältnisse tritt die Prägekraft der verinnerlichten Koordinaten. Aus Verbrennern werden (vielleicht) E-Autos, aber die industrialisierte Mobilität bleibt und das Mantra des Individualverkehrs ebenso. Wie sollte es auch anders sein?
Politisch gibt es bis heute keinerlei alternative Konzepte, Mobilität grundlegend anders zu organisieren als auf die etablierte Weise, hinter der vor allem das Kalkül der großen Automobilkonzerne steckt.
Intelligente Alternativen, die wohl angedacht waren, scheiterten an sogenannten "Realitäten". Etwa der Transrapid TR06 ("Vorzeigeprojekt der deutschen Hightech-Industrie"), dessen Prototypen unter Flechten und Algen vergammeln, wie der Spiegel schrieb.
Die Magnetschwebebahn im Emsland – ein Milliardengrab. Dabei ging es hier durchaus nicht nur um Hochgeschwindigkeit, wie oft behauptet wird; im Gespräch war auch der Nahverkehr in Gestalt eines Metrorapid.
Das Projekt endete samt den Ambitionen in der Schublade. Ähnlich war es schon der "Alwegbahn" ergangen, die mit ihrer Teststrecke bei Fühlingen (im Kölner Norden) zur Zeit der Wirtschaftswunderjahre Aufsehen erregte. Deutsche Eisenbahningenieure und ein schwedischer Investor griffen hier auf Vorarbeiten der 1940er-Jahre zurück. Gleichfalls ein trauriger Rohrkrepierer.
Folgen des Autowahns
Der Moloch des motorisierten Individualverkehrs steckte während der Pionierfahrten der Alwegbahn noch in den Kinderschuhen. Während mehrerer anschließender Dekaden versäumten Politiker, den Konzernen Einhalt zu gebieten, Rahmenbedingungen anzupassen und den Verkehrssektor auf lange Sicht zu gestalten.
Man weiß, mit welchen Kosten und Problemen für die Umwelt, die Infrastruktur, Raumentwicklung und Städteplanung. Ein Opfer des Autowahns wurde nicht zuletzt die Bahn mit allen daran hängenden Problemen – ein Fass ohne Boden. Die Alwegbahn schaffte es immerhin auf das Terrain einiger Disney-Parks.
Das ist nur ein Beispiel, wie eine überforderte Klasse von Berufspolitikern über Jahre und Jahrzehnte der offenkundigen Logik des Marktes (und der Sorglosigkeit einer gehätschelten Kundschaft) nichts entgegenzusetzen wusste.
Es mündet in den Krampf, den wir auf der politischen Bühne, zusammen mit dem aufgeschreckten Industriesektor, erleben, eine Mischung aus Goethes Zauberlehrling und trotzigem "Nach vorne". Man hört mit Erstaunen die Losung vom "Unterhaken", Zusammenhalt" etc., bevorzugt läppisch gewordene SPD-Parolen mitten im Massenirrsinn.
Wie die Medien uns gängeln
Die Selbstanpassung des "aufgeklärten" Individuums ist und bleibt desto mehr ein erstaunlicher Faktor. Hier greifen offensichtlich diejenigen Reproduktionsprozesse, in die auch die Medien verantwortlich involviert sind.
Sie unterstützen bereitwillig die Systemstabilität und die Systemintegration, besorgen pflichtversessen die mentale Strukturierung und kümmern sich auch um die moralische Anpassung, gebührenfinanziert. Die Rosenheim-Cops lassen grüßen.
Der Verstand setzt leider allzu gern aus: Bewusstseinstrübungen sind Teil des Programms. Das Bewusstsein, eigentlich eine gute Ressource, wird von der ideologischen Apparatur "formatiert" (Werner Seppmann), unser Alltag als "Unterordnung unter (einen) permanenten Sachzwang" subsumiert - und dementsprechend vom Fernsehvolk so erfahren. 1
Presse und Medien als dynamischer Teil einer ideologischen Reproduktionsmaschinerie, mit Kultur als Dekor? Ob das Internet, einst gesehene Freiheitsmaschine, hier dagegenhält?
Die Netzlogik generiert neue Formen von Gewalterfahrung, die seinerzeitige Verheißung bleibt zwiespältig, durchsetzt mit eigenen Formen von Willkür, Unsicherheit und Exklusion.
Freiheit, schöner Schein
Auch das Netz erweist sich eben nicht als Highway zu einer "künftigen Demokratie" (J. Derrida). Beziehungsweise nicht als Entwicklungspfad hin zu einer "konsensualen Weltzivilisation", wie Hans Magnus Enzensberger einmal formulierte?
Wie es scheint, eher ein Eldorado für die neue Existenzform des "Datenmaklers", der die frei gewordene Stelle des göttlichen Auges übernimmt.2
Das von grünem Ehrgeiz getriebene Umbauprojekt Deutschland ist als solches definitiv nicht im Innern der Individuen verankert, die es maßgeblich betrifft. Nötig wäre ein Game Change nicht nur in Form ruppiger Ad-hoc-Zumutungen an Wirtschaft und Sozietät, sondern als systematische Reflexion und gründliche Evaluierung eines Laufs, der sich als problematisch herausstellt, mitsamt einem Freiheitsbegriff, den Jean-Pierre Wils, wie dargestellt, in seinem Buch "Verzicht und Freiheit" als Ideologie entlarvt.
Eine Form zwanghafter Weltbewältigung, die die eigenen Ziele hintertreibt und letztlich in den Ruin führt. Den Lauf zu stoppen, ohne den Grundentwurf als Ganzes auf den Prüfstand zu stellen, scheint nun mehr als fraglich. Dazu zählte eine Revision unseres Naturverständnisses.
Man nennt den erweiterten Blick auch Verantwortung, eigentlich keine Neuigkeit:
(…) Es geht nicht an, sich so zu verhalten, als ob man frei wäre und alle Möglichkeiten dieses Zustands auszunützen, indes man die eigentlichen Gefahren und Verpflichtungen des Freiseins nicht auf sich nehmen will.
Ernst Bloch, Geist der Utopie
In Wahlkampfzeiten noch dieses: Die Kölner Politikwissenschaftlerin Bettina Lösch kennzeichnet treffend die Borniertheit der politischen Klasse, indem sie feststellt: Parteien treten nicht zu Wahlen an, um ihre Konzepte zu verwirklichen, sondern suchen sich Konzepte aus, um Wahlen zu gewinnen.3
Das angebliche Fehlen von Alternativen kommt dabei sehr gelegen.