Medien: Mehr Männer-Macht?
Frauen verlieren Boden in Deutschlands Leitmedien. Frauenmachtanteil in Führungspositionen erstmals seit zehn Jahren rückläufig. Dreht der Wind?
Frauen in Führungspositionen, das ist auch im Journalismus kein Selbstläufer. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen sehen manche hier Rückschritte in Richtung männlicher Dominanz statt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Erstmals seit zehn Jahren scheint die Entwicklung zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Journalismus mit Blick auf neun deutsche sogenannte Leitmedien ins Stocken geraten: Der Verein ProQuote, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird, hat dieser Tage seine aktuelle Zählung veröffentlicht.
Rückschritt statt Fortschritt
Es geht dabei um journalistische Führungspositionen laut veröffentlichtem Impressum. Dabei erreichten die untersuchten neun privat-wirtschaftlichen Medien mit ihren Redaktionen diesmal einen durchschnittlichen gewichteten "Frauenmachtanteil" von 38,7 Prozent. Anfang dieses Jahres hatte dieser Wert noch höher gelegen, bei 39,5 Prozent.
Damit ist dieser Indikator für Geschlechtergerechtigkeit, für mehr Frauen in journalistischen Führungspositionen, erstmals seit zehn Jahren gesunken. Diese Trendumkehr hatte sich bereits in den jüngsten Untersuchungen angedeutet. Dabei war teilweise bereits eine Stagnation festgestellt worden.
Rangfolge der Medien: Taz führt, FAZ Schlusslicht
In der Rangfolge der untersuchten Medien gab es laut ProQuote nur leichte Verschiebungen: Nach wie vor und wenig überraschend liegt die Tageszeitung taz mit einem Frauenmachtanteil von 65,1 Prozent an der Spitze des Feldes. Dort tragen also Frauen gemessen fast zwei Drittel der Führungsverantwortung.
Dieser Wert ist stabil im Vergleich zur Erhebung vom Januar dieses Jahres. Auf Platz zwei unter den untersuchten "Leitmedien" auch erwartbar die Süddeutsche Zeitung, allerdings mit gut 20 Prozentpunkten weniger als die taz bei 45 Prozent Frauenmachtanteil.
Heißt auch: Selbst die zweitplatzierte, als liberal geltende SZ hat deutlich weniger als 50 Prozent Frauenmachtanteil. Wenn auch mit (plus 0,2 Prozentpunkte) leicht steigender Tendenz.
Auf Rang drei das Medienhaus der Illustrierten Stern mit 43,5 Prozent, das damit den Spiegel überholt hat in puncto Frauenmachtanteil. Hier beim "Stern" ist der Zuwachs zugunsten von Frauen in Führungspositionen übrigens im Neunerfeld der etablierten privat-wirtschaftlichen Medien am größten, mit 1,4 Prozentpunkten.
Absteiger
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel wiederum ist nach dem Focus (s.u.) der zweitgrößte "Absteiger", was den Frauenmachtanteil angeht. Im Vergleich zum Januar wurden dort 2,1 Prozentpunkte weniger gemessen.
Im Mittelfeld zwei so verschiedene Medien, nicht zuletzt mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit, wie Die Zeit und Bild. Die Wochenzeitung aus Hamburg auf Rang fünf, mit derzeit 40,1 Prozent Frauenmachtanteil und dabei mit dem drittgrößten Verlust im Neunerfeld, mit immerhin zwei Prozentpunkte weniger als vor einem halben Jahr.
Die größte deutsche Boulevard-Zeitung wurde mit immerhin 36,6 Prozent Frauenmachtanteil auf Rang sechs gemessen, Tendenz leicht sinkend mit 0,3 Prozentpunkten.
Das Schlusslicht bei der "Frauen-in-Führungspositionen"-Quote bildet zum siebenten Male in Folge die Frankfurter Allgemeine FAZ. Bei dieser "Zeitung für Deutschland" wird mit 23,4 Prozent nicht einmal ein Viertel der gewichteten Machtpositionen von Frauen ausgefüllt.
Focus: Höchste Machverluste für Journalistinnen
Gegenüber Januar 2024 ist das übrigens noch einmal ein Rückgang um 0,5 Prozentpunkte. Die höchsten Machtverluste für Journalistinnen – fünf Prozentpunkte abwärts – wurden beim Magazin Focus ermittelt, das dadurch auf den vorletzten Rang zurückfiel, noch hinter Springers Welt.
Beim Focus wurde diesmal ein Frauenmachtanteil in Führungspositionen von genau einem Viertel gemessen, also von 25 Prozent.
Auf dem drittletzten Platz, was Frauengleichberechtigung angeht, liegt also die konservative Tageszeitung Welt, mit 27,6 Prozent Frauenmachtanteil. Hier wurde im Vergleich zum Januar eine Zunahme von 1,2 Prozentpunkten, also gemessen - vielleicht für manche/-n überraschend - sogar etwas mehr gemessene Frauenmacht.
Forderung nach mehr Gleichberechtigung
"Unsere aktuellen Zahlen zeigen: Gleichberechtigung ist kein Selbstgänger", äußerte Pro-Quote-Vorständin Edith Heitkämper, im Hauptberuf NDR-Fernsehjournalistin. Medienhäuser und Verlage dürften nicht nachlassen.
"Wir von ProQuote bleiben dran und beobachten weiter, wie viele Frauen im Journalismus an die Spitze kommen, setzen uns ein für Gleichberechtigung und Diversität." Das sei, so Heitkämper, kein Luxus, sondern eine Frage der Gerechtigkeit.
Kritik an Auswahl der untersuchten Medien
Eine Frage bleibt, warum hier als Leitmedien ausschließlich privat-wirtschaftliche Medien untersucht werden und nicht auch öffentlich-rechtliche Medien (wie zum Beispiel der NDR). Die müssten ja im Sinne der ihnen auferlegten Aufgabe der Repräsentation der gesamten Gesellschaft am ehesten die Gleichberechtigung und adäquate Mitwirkung von Frauen in Führungspositionen verwirklichen.
Auch privatwirtschaftliche Rundfunkmedien wie RTL oder ProSiebenSat.1 oder reichweitenstarke Online-Portale wie t-online oder web.de mit ebenfalls journalistischen Angeboten scheinen kaum im Blickpunkt dieser Messungen von ProQuote Medien.
Die Zählungen erfolgten laut Verein auf Grundlage der Impressen, wobei nach Hierarchie-Ebenen gewichtet worden sei: Je höher die Position, desto größer die Machtfülle. ProQuote Medien fordere weiterhin, die Hälfte der journalistischen Spitzenpositionen weiblich zu besetzen.
Laut Selbstdarstellung zählt und vergleicht der gemeinnützige Verein ProQuote Medien seit 2012 die Frauenanteile in journalistischen Führungspositionen. Zu den untersuchten ausgewählten etablierten Print- und Online-Leitmedien kam 2021 die oft als linksliberal gelesene tageszeitung hinzu. Die hat, wie gesagt, eine relativ hohe gemessene Frauenmachtquote.
Trend geht Richtung mehr Männermacht?
Und das heißt auch: Wenn die taz nicht mit zum Panel zählte, läge Quote der restlichen acht etablierten Leit-Medien von SZ bis FAZ bei gerade einmal 35.4 Prozent. Also bei nur etwas mehr als einem Drittel gewichteten Frauenmachtanteil.
Das journalistische Feld in Deutschland dürfte damit viel weiter, als in Sonntagsreden behauptet, von echter Geschlechtergerechtigkeit entfernt sein. Im Gegenteil: Der Trend scheint eher wieder/weiter in die Männermacht-Richtung zu drehen und zu gehen.