Medien: Wann wird ein Krieg "nachrichtenrelevant"?
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Die für beide Krisenregionen aufgebrachte Sendezeit erscheint verschwindend gering im Vergleich zu derjenigen, die für Themen des Globalen Nordens zur Verfügung stand (2020-2022 zum Beispiel nicht einmal ein Prozent der Sendezeit für das Topthema des Jahres; Abb. 5). In dieser Hinsicht sind die Ergebnisse der Tagesschau repräsentativ für die meisten deutschsprachigen Medien.
Die Marginalisierung von Themen des Globalen Südens, die keine Interessenfelder des Globalen Nordens zu berühren scheinen, hat Routine und gehört zu den Konstanten der Berichterstattung der wichtigsten deutschsprachigen Medien.
In der Tagesschau beispielsweise wurde in der ersten Jahreshälfte 2022 dem Sport mehr Sendezeit eingeräumt als allen Ländern des Globalen Südens zusammen.
Wenn eine Ohrfeige wichtiger wird als Kriege
In der österreichischen ZIB 1 wurde 2022 umfangreicher über die britische Königsfamilie berichtet als über den Globalen Hunger, obwohl die Zahl der Hungernden, wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nation deutlich machte, gegenüber der Vorpandemiezeit um ca. 150 Millionen Menschen zugenommen hatte.
In der Schweizer Tagesschau war die Berichterstattung über die Ohrfeige, die der Schauspieler Will Smith auf der Oscarverleihung Chris Rock gab, umfangreicher als über die Bürgerkriege im Jemen und Tigray zusammengerechnet.
Bezeichnend ist, dass die deutsche Tagesschau bereits jetzt in den beiden Monaten um den Jahreswechsel 2024 quantitativ umfangreicher über die Angriffe der Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer sowie die hieraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen und die nun erfolgten Luftschläge der USA berichtet hat als über die humanitäre Lage der Menschen im Jemen in den fünf vorhergehenden Jahren zusammen.
Der Bürgerkrieg und die humanitäre Katastrophe im Jemen haben bereits vor den Angriffen der Huthi auf die Handelsschiffe stattgefunden. Wie ist es zu erklären, dass Ereignisse um den Jemen auf einmal "berichtenswert" geworden sind?
Das mediale Desinteresse wird zum Interesse
Sind das Land bzw. die Region als Nachrichtenthema nun relevanter geworden, weil die ökonomischen und politischen Interessen des "Westens" betroffen sind?
Ist der Jemen aktuell in den Nachrichten, weil der "Westen" in Form der USA und ihrer Verbündeten militärisch aktiv geworden ist?
Unverblümt und ganz direkt gefragt: Ist der Jemen auf einmal "nachrichtenrelevant" geworden, weil sich unter den Betroffenen und Opfern nicht "nur" Jemeniten befinden?
Am Beispiel Jemen zeigt sich ein viel größeres allgemeines Problem der Berichterstattung. Pointiert gesagt: Berichtet wird anscheinend erst, wenn Menschen oder Interessen des Globalen Nordens in irgendeiner Form betroffen sind.
Es ist erschreckend, an einem konkreten und ganz realen Beispiel festzustellen, dass humanitäre Katastrophen und menschliches Leid ganz offensichtlich alleine nicht ausreichen, um in den Nachrichten wahrgenommen zu werden, wenn die betroffenen Gebiete im Globalen Süden liegen.
Wie sonst ist das mediale Desinteresse am "tödlichsten Krieg des 21. Jahrhunderts" und der "schlimmsten humanitären Krise weltweit" zu erklären?
Der Jemen ist aktuell bis zu einem gewissen Grad in den Nachrichten. Es stellt sich die Frage, wie lange das so sein wird und ob die Berichte bleiben, wenn die Handelsrouten durch das Rote Meer wieder sicherer geworden sind.
Der Bürgerkrieg, der Hunger und das Sterben im Jemen werden, so ist vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre zu befürchten, auf jeden Fall bleiben.
Die der vorliegenden Untersuchung vorausgehende Ausgangsstudie "Vergessene Welten und blinde Flecken" sowie verschiedene Ergänzungsanalysen zu deutschsprachigen Medien, können kostenlos eingesehen, beziehungsweise heruntergeladen werden unter www.ivr-heidelberg.de.
Auf der Seite finden sich auch Videozusammenfassungen, eine Unterschriftenpetition sowie Informationen zu einer auf der Untersuchung beruhenden Wanderausstellung.
Die wichtigsten Ergebnisse sind auch auf den Seiten des "European Journalism Observatory" (EJO) einsehbar.