Medien: Weitere russische Schiffe bei Nord-Stream-Leitungen
Auch russische Marine vor Ort. Spekulation über Operationen unter Wasser. Immer mehr Theorien über mögliche Verantwortliche für Anschlag.
Nach Recherchen westlicher Medien waren vor den Explosionen an den Nord-Stream-Leitungen in der Ostsee mehr russische Schiffe in der betreffenden Region unterwegs als bisher bekannt. Skandinavischer Medien berichteten nun auch über russische Marineschiffe in der Nähe der Explosionsorte.
Die Informationen wurden von Journalisten der nordischen Rundfunkanstalten SVT aus Schweden, NRK aus Norwegen, DR aus Dänemark und Yle aus Finnland publikgemacht.
Über die russischen Marineschiffe berichteten sie am Mittwoch in der dritten und letzten Folge ihrer gemeinsamen Dokumentation mit dem Titel "Schattenkrieg".
Die beteiligten Redaktionen beriefen sich dabei auf Funkverkehr zwischen den ausgemachten Schiffen und der russischen Flottenbasis. Die seien von einem früheren Geheimdienstmitarbeiter der britischen Marine abgehört worden. Auch Satellitenbilder betätigten die Präsenz der russischen Marineschiffe. Die Deutsche Presse-Agentur schreibt dazu:
Demnach hielten sich die Flottenschiffe in den Monaten und Tagen vor den Detonationen stunden- und einmal sogar einen ganzen Tag lang in den Gebieten auf, in denen es später zu den Explosionen kam. Dabei sollen die Schiffe ihre Sender abgestellt haben und somit unter dem Radar gefahren sein.
Eines der russischen Flottenschiffe, der Schlepper "SB-123", biete die Möglichkeit zu Unterwassereinsätzen. Die "SP-123" habe zeitweise den Transponder abgeschaltet. Dennoch könne nachgewiesen werden, dass er Tage vor den Detonationen an den Explosionsorten gewesen sei. Zwei weitere Schiffe der russischen Marine – die "Sibirjakow" und ein anderes, das nicht identifiziert wurde Gefährt – seien bereits im Juni in der Region unterwegs gewesen.
Gegenüber den an der Recherche beteiligten Medien sagte der Militäranalytiker der Universität von Kopenhagen, Jens Wenzel Kristoffersen, alle vorliegenden Informationen deuteten darauf hin, dass während der Präsenz russischen Schiffe Operationen unter der Wasseroberfläche stattgefunden hätten.
Recherchen wiesen in gleiche Richtung wie dänischer Bericht
Nur vier Tage vor den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee hatte, wie die dänische Zeitung "Information" berichtete, nach Angaben des dänischen Militärs ein russisches Spezialschiff in Tatortnähe befunden. Demnach hatte am 22. September 2022 ein Patrouillenschiff östlich der Insel Bornholm 26 Bilder von der russischen "SS-750" gemacht hatte. Darüber berichtete auch Telepolis.
Am 26. September war es nahe Bornholm zu mehreren Explosionen an den Pipelines gekommen. Die Behörden gehen von Sabotage aus – die Urheberschaft ist unklar. Ermittlungen laufen Deutschland, Dänemark und Schweden.
Experten gehen davon aus, dass für die Anschläge mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff verwendet wurden. Über die Möglichkeiten des Anbringens an den Leitungen in mehr als 80 Metern Wassertiefe wurde bereits spekuliert.
Mini-U-Boot mit Greifarmen
Mitte April hatte Information bereits berichtet, dass das dänische Patrouillenboot "P524 Nymfen" am 22. September insgesamt 112 Fotos von russischen Schiffen in der Nähe der Pipelines gemacht habe.
Das deutsche Nachrichtenportal T-Online hatte Ende März unter Berufung auf "Sicherheitskreise" und öffentlich einsehbare Daten geschrieben, dass mutmaßlich russische Militärschiffe wenige Tage vor den Anschlägen auf die Pipelines an den Tatorten operiert hätten – darunter auch die "SS-750", die über ein Mini-U-Boot mit Greifarmen verfügen soll. Scheinbar die ideale Ausrüstung für eine solche Operation.
Theoretisch könnte das Schiff auch aus anderen Gründen in der Gegend gewesen sein, zitierte Information einen Geheimdienstexperten: "Aber das Timing, zu diesem Zeitpunkt genau an diesem Ort zu sein, das ist doch speziell."
Mit den neuen Berichten werden die Spekulationen über die bisher größten Anschläge auf die europäische Energieinfrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg weiter angeheizt. Die Schlussfolgerungen liegen dabei weit auseinander: Während der US-Investigativjournalist Seymour Hersh davon ausgeht, dass die USA hinter den Anschlägen stehen, weisen die erwähnten Berichte deutscher und skandinavischer Medien in Richtung Russland.