Meeresforschung 2030: Wettlauf um 1.000 neue Arten
Die Tiefsee ist noch weitgehend unerforscht. Bis 2030 wollen Meeresforscher in einer Kraftanstrengung 1.000 neue Arten entdecken. Ein Gastbeitrag.
Die Ozeane bedecken 71 Prozent der Erdoberfläche – aber ungeachtet ihrer enormen Größe und ihres Einflusses auf den Planeten wissen wir sehr wenig über sie. Viele von uns verbinden das Meer mit erholsamen Urlauben an tropischen Stränden, doch für die meisten Lebewesen, die dort leben, ist der Ozean nichts anderes als kalt, dunkel und eintönig.
Die durchschnittliche Tiefe des Ozeans beträgt 3,5 Kilometer (das entspricht der zweimaligen Überquerung der Golden Gate Bridge in San Francisco).
Das Sonnenlicht dringt nur bis zu einer Tiefe von 200 Metern in das kristallklare Wasser ein. Jenseits dieser Tiefe hört die Welt, wie wir sie an Land kennen, auf zu existieren, und das Leben entwickelt sich in völliger Dunkelheit. Willkommen in der Tiefsee, dem größten Ökosystem der Erde.
Tief, dunkel und praktisch unbekannt
Abgesehen von ihrer Dunkelheit und Größe ist die Tiefsee für den Menschen extrem schwer zugänglich und daher fast völlig unerforscht. Wir kennen weder die meisten ihrer Lebensformen noch die dort ablaufenden Prozesse. In vielen Fällen wissen wir nicht einmal mit Sicherheit, wie tief sie ist.
Trotz dieses Mangels an Informationen hat die Tiefsee in den letzten Jahren das Interesse der Weltmächte geweckt, vor allem wegen ihres Reichtums an natürlichen Ressourcen, die eines Tages an Land knapp werden könnten, wie Nickel und Mangan.
Die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) wurde 1994 gegründet, um die Ausbeutung dieser Ressourcen zu regulieren und diese Umwelt in internationalen Gewässern zu schützen.
54 Prozent des Meeres gehören allen
Die ISA mit Sitz in Jamaika ist die Organisation, durch die die Vertragsstaaten des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (Unclos) Bergbautätigkeiten in internationalen Gewässern zum Wohle der gesamten Menschheit organisieren und kontrollieren.
Das ist keine leichte Aufgabe. Die ISA hat 170 Mitglieder - 169 Mitgliedstaaten und die Europäische Union - und ist für nicht weniger als 54 Prozent der Meeresfläche der Welt zuständig.
Darüber hinaus gehören die internationalen Gewässer und ihre Ressourcen ebenso zum gemeinsamen Erbe der Menschheit wie der Mond und seine Ressourcen.
Auf der Suche nach neuen Arten
Eine bekannte Studie aus dem Jahr 2012 schätzt, dass wir rund 200.000 Meeresarten entdeckt haben – etwa 24 bis 34 Prozent der Gesamtzahl.
Das Wissen ist jedoch nicht gleichmäßig über das gesamte Meer verteilt. Die Küsten- und Flachwassergebiete sind viel besser erforscht als die Tiefsee, und die Gewässer der Nordhalbkugel sind viel besser bekannt als die der Südhalbkugel. Für einige Gebiete und viele Tier- und Pflanzenarten gibt es nicht einmal verlässliche Schätzungen.
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Tiefseeraubbau 2020?
Dieser Mangel an Wissen über die marine Biodiversität in der Tiefsee und ihre mögliche Ausbeutung durch Bergbauinteressen hat die ISA dazu veranlasst, 2022 die Initiative für nachhaltiges Wissen über den Meeresboden (SSKI) ins Leben zu rufen.
Dieses Programm beinhaltet eine beispiellose Initiative in der Meeresbiologie: das klare und ehrgeizige Ziel, bis 2030 1.000 neue marine Arten in internationalen Gewässern zu beschreiben.
SSKI-Projekte und Schlammdrachen
Die Beschreibung dieser Arten wird das Wissen über das Leben am Meeresboden erweitern und helfen, die möglichen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Ökosysteme der Tiefsee zu verstehen und zu managen.
Nach der ersten Ausschreibung im Jahr 2023 war die Resonanz aus der Wissenschaft überwältigend positiv - 67 Vorschläge aus aller Welt wurden eingereicht. Neun dieser Projekte wurden gefördert und befassen sich mit der Beschreibung so unterschiedlicher Tiergruppen wie Haie, Seesterne und Meiofauna. Letztere sind sehr kleine Tiere, die von unserem Forschungsteam an der Universität Complutense in Madrid untersucht werden.
Das spanische Projekt konzentriert sich auf die Beschreibung von zwei Stämmen (die grundlegendste und umfassendste Klassifikation im Tierreich): Kinorhyncha oder Schlammdrachen und Loricifera.
Es handelt sich um zwei wenig bekannte Stämme mit einer sehr kleinen Anzahl von Experten weltweit, die sich ihrer Erforschung widmen, so dass das Potenzial für die Entdeckung neuer Arten enorm ist.
Mit diesem Projekt sollen bis zu acht neue Arten aus verschiedenen Tiefseegebieten vom Pazifik bis zur Antarktis beschrieben werden.
Warum Taxonomie für den Naturschutz wichtig ist
Die Taxonomie ordnet und klassifiziert die biologische Vielfalt und ist eine der ältesten und grundlegendsten wissenschaftlichen Disziplinen überhaupt. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - gibt es immer weniger Menschen, die sich mit ihr beschäftigen, und immer weniger Unterstützung.
Die Beschreibung und Klassifizierung von Arten ist jedoch ein grundlegender Pfeiler für andere Disziplinen mit weitreichenden sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, wie Ökologie und Naturschutz. Man kann nichts schützen, ohne zu wissen, was man schützen will, und man kann die Auswirkungen von etwas nicht messen, ohne zu wissen, was davon betroffen ist.
Wir hoffen, dass diese 1.000 neuen marinen Arten sowohl für den Schutz der Tiefsee als auch für das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an der Taxonomie einen Fortschritt darstellen.
Alberto González Casarrubios ist Doktorand in Zoologie, Universidad Complutense de Madrid. Nuria Sánchez ist Assistenzprofessorin der selben Hochschule.
Dieser Text erschien zuerst auf The Conversation auf Englisch und unterliegt einer Creative-Commons-Lizenz.