Mehr Aufklärung wagen!
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Eine Antwort auf die Kritik an Steven Pinker. Was wäre denn das bessere Modell von Aufklärung und Fortschritt?
Der Beitrag "Wird alles immer besser?" von Fabian Hutmacher und Roland Mayrhofer setzt sich mit zwei Veröffentlichungen des Harvard-Psychologen Steven Pinker auseinander. Wir konzentrieren uns auf ihre Bemerkungen zu seinem 2018 auf Deutsch erschienenen Buch "Aufklärung jetzt".
Hutmacher und Mayrhofer treffen einen Punkt, indem sie ein fehlendes Verständnis von philosophischen Denkern bei Pinker kritisieren. Insgesamt aber verkennen sie unserer Meinung nach Pinkers Leistung. Uns erscheint sein Buch zu wichtig, um es - bei berechtigter Kritik an Schwächen - bei einer akademisch motivierten "Krittelei" zu überlassen.
Vier große Konzepte der Aufklärung sind es, die in Pinkers Darstellung im Zentrum stehen: die Ideale der Wissenschaft, der Vernunft, des Humanismus und des Fortschritts. Zu jedem dieser Konzepte ließe sich einiges sagen. Hutmacher und Mayrhofer stellen in ihrem Beitrag, der für eine wissenschaftliche Publikation geschrieben und für Telepolis "adaptiert" wurde, folgende Verbindungen zwischen diesen Begriffen her, um ihre Kritik an dem Psychologen zu untermauern.
Pinker verknüpfe Humanismus und Fortschrittsgedanken "mit ganz bestimmten wirtschaftlichen Traditionen", nämlich denen der "wirtschaftspolitisch weitestgehend klassischen Annahmen der Österreichischen und der Chicagoer Schule". Sein "Verständnis von Wissenschaft" sei identisch mit dem des "Kritischen Rationalismus". Pinker konstruiere einen Gegensatz von Aufklärung und Unvernunft, "um ein klar geordnetes Bild der Geschichte vorzulegen, auf das er seine Idee der andauernden Höherentwicklung menschlichen Zusammenlebens projizieren kann".
Pinker rechtfertige mit einer solchen Darstellung einer "Erfolgsgeschichte" aus dem Geist der Aufklärung zudem im Rückgriff seine "politischen und wissenschaftlichen Positionen". Am Ende ihres Textes würdigen sie seinen aus ihrer Sicht geschichtsoptimistischen Ansatz immerhin als "Ausgangspunkt" für weitere Studien.
Beim Lesen fragten wir uns, worauf Hutmacher und Mayrhofer mit ihrer Kritik eigentlich hinauswollen. Geht es ihnen nur um eine wissenschaftsimmanente Diskussion von Pinkers Methoden und Ergebnissen? Setzen sie ein anderes Modell von Aufklärung dagegen? Offensichtlich nicht.
Beide Autoren üben sich im reinen Bemängeln. Gewissermaßen wird aus einer sicheren Wissenschaftsburg mit Pfeilen auf einen Diskussionspartner geschossen, der riskiert, über offenes Gelände zwischen den Disziplinen zu laufen. Sie haben mit manchen Argumenten nicht unrecht - dazu unten mehr -, aber sie pflegen einen typischen Akademismus, der das Gesamtkonzept des Buches außer Acht lässt.
Ihr Text macht den Eindruck, als würden sie sich gar nicht ernsthaft für Pinkers Diskurs interessieren.
Was ist Pinkers Anliegen?
Pinkers Buch ist der "Versuch, die Ideale der Aufklärung in der Sprache und gemäß den Konzepten des 21. Jahrhunderts neu zu formulieren". Als solche Konzepte benennt er Entropie, Evolution und Information. Pinker stellt sich also eine große Aufgabe. Die Aufgabe von Mayrhofer und Hutmacher wiederum wäre gewesen zu prüfen, inwieweit Pinker seinen Ansprüchen gerecht geworden ist.
Sein populäres Sachbuch ist ebenso mit dem Ziel geschrieben worden, die Errungenschaften der Aufklärung zu verteidigen. Dabei kämpft er an mehreren Fronten:
- gegen die Ignoranz einer (Medien-)Öffentlichkeit, die vornehmlich negativ über den Zustand der Welt berichtet (siehe ein Schaubild zur "Stimmungslage" der Nachrichten 1945 - 2010) und technisch-wissenschaftliche Fortschritte nicht (mehr) angemessen zu würdigen weiß, wie man ergänzen könnte.
- gegen das Wiedererstarken der Religionen mit ihrer wissenschaftsfeindlichen Einstellung, zum Beispiel in Form des Kreationismus / "Intelligent Design".
- gegen eine parareligiöse Sicht auf das Ökosystem, die es zu einer "transzendenten Größe" macht (wobei er ein "humanistisches Umweltbewusstsein" oder einen "Ökomodernismus" favorisiert).
- gegen einen allgemeinen intellektuell verbrämten "Untergangsprophetismus".
- gegen die Ignoranz der Geisteswissenschaftler, die sich sowieso noch nie für die Leistungen der Naturwissenschaft und Technik begeistern konnten - also die alte "Front", die C.P. Snow schon in den Fünfzigern diagnostizierte.
- gegen neuere "Fehlleistungen" in der Wissenschaft selbst, bei denen es zu "magischem Denken" komme (Stichwort Korrelation versus Kausalität) oder dank einer falsch verstandenen Toleranz zu wissenschaftsfremden Verfahren der Tabuisierung (Stichwort Political Correctness).
Die Liste ist lang, wir zählen nicht alle "gegenaufklärerischen" Tendenzen auf. Die "größten Feinde" der Menschheit nun seien "Entropie, Evolution (in Form von Seuchen und den Schwachstellen der menschlichen Natur) und in allererster Linie Ignoranz - ein unzureichendes Wissen darüber, wie unsere Probleme am besten zu lösen sind". Pinker benennt auf den vielen hundert Seiten des Buches viele Beispiele für tatsächliche, empirisch belegbare Fortschritte, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen ist.
Mag seine Kategorie des "quantitativen Denkens" auch banal erscheinen, so ist die Aufzählung vieler Erfolge in der Vergangenheit und in der Gegenwart offenbar nötig, um eine neue Akzeptanz für die schwierige Arbeit der Wissenschaftler und Ingenieure zu erreichen. Er präsentiert dazu eine Menge Zahlen und Schaubilder.
Deren Aussagekraft ist abhängig von den Bezugssystemen, in denen sie bewertet werden. Man muss selbstverständlich darüber disputieren, inwieweit man eine Kategorie wie "Glück" durch Zahlen und Fakten belegen kann (Pinker sagt selbst, Glück habe "zwei Seiten, eine emotionale oder Erfahrungsseite und eine kognitive oder Bewertungsseite").
Wer will aber bestreiten, dass zumindest in Teilen der Welt die Lebenserwartung gestiegen, die Kindersterblichkeit gesunken und die Alphabetisierung der Bevölkerungen zugenommen hat? Erst einmal sind in den letzten 150 Jahren mit Beginn der Industrialisierung ganz handfest die Grundlagen für die technische Zivilisation gelegt worden.
Wenn man als durchschnittlicher Intellektueller an seinem Schreibtisch bei der geistigen Arbeit sitzt, ausgestattet mit einer Maschine wie dem Computer, verbunden mit vielen Wissensressourcen über das Internet und andere Medien, versorgt mit Strom über weit gespannte Elektrizitätsnetze, angeschlossen an Fernwärmesysteme, so sind das alles Annehmlichkeiten, die Produkte dieser Geschichte sind.
Es sind Zeugnisse einer technischen, einer instrumentellen Vernunft. Dessen sollte man sich bewusst sein, bevor man über die durchaus vorhandenen Schattenseiten der Aufklärung nachdenkt. Dass die Menschheit durch die Atomwaffentechnik gefährdet wird - und Pinker sieht den Atomkrieg als ernste Bedrohung, seine Zukunftsperspektive ist also mitnichten nur positiv -, schmälert nicht die großen Erfolge, die im Kampf gegen Infektionskrankheiten oder bei der Sicherung der Nahrungsmittelproduktion erzielt worden sind (abgesehen davon, gehen immer auch ökonomische, politische und kulturelle Faktoren in die konkrete Technikgestaltung ein).
Mayrhofer und Hutmacher schreiben etwas zu unverbindlich von verschiedenen Rationalitätsformen, die kulturell miteinander koexistieren könnten - eine Sichtweise, die sie bei Pinker vermissen. Nein, man muss schon eine Gewichtung vornehmen: ohne diese instrumentelle Vernunft in ihrer vielgestaltigen Ausprägung könnte die Menschheit nicht überleben. Bei dieser Frage ist keine Relativierung angebracht.
Seit den frühen 1970ern wird - unter anderem bei Erich Fromm - die technische Vernunft der "Megamaschine" kritisiert, aber ohne die enorme Menge an Artefakten und Netzen gäbe es die heutige Zivilisation nicht. Mit Magie kann man keine Computer bauen, was nicht heißt, dass einzelne Menschen ein magisches Verhältnis zu ihrem Rechner entwickeln können.
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