Mehr Freizeit, weniger Kohle: Wird Faulheit zur deutschen Tugend?
Der Trend zur Teilzeitarbeit lässt uns Milliarden verlieren. Ist unsere Leidenschaft für das Leben eine Last für Wirtschaft und Nato? Ein Kommentar.
Es gibt Fragen, mit denen beschäftigten sich schon viele Generationen. Eine davon ist: Sollte das Leben mehr zu bieten haben als Arbeit? In der Bibel stand schon geschrieben, man solle im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen. Gilt dieser Leitsatz heute noch und welchem Platz wird die Lebensfreude zugewiesen?
Von früheren Kulturen ist überliefert, dass sie einen Sinn für Genuss hatten. Mit dem Protestantismus und dem aufkommenden Liberalismus wurde die Arbeit zur Tugend erhoben und die Lebensfreunde bekam den Anschein der Sünde. Mit 16-Stunden-Schichten an sechs Tagen in der Woche konnten die Arbeiter ihre Tugendhaftigkeit unter Beweis stellen.
Dann entwickelten sich Gewerkschaften und die politische Arbeiterbewegung entstand – und beide brachten mit der Idee des Acht-Stunden-Tags eine Untugend unter das Volk, die dann sogar in ein Gesetz gegossen wurde. Und damit nicht genug: Heute wollen sogar viele nur noch in Teilzeit arbeiten, um mehr von ihrem Leben zu haben. Was für ein Frevel.
Solche oder ähnliche Gedanken scheinen auch heute noch in den Köpfen einiger Ökonomen herumzugeistern. "Der Arbeitswille der Deutschen geht immer weiter zurück", heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), und der Staat bezuschusst das auch noch "indirekt und unfreiwillig".
Statt 40 Stunden in der Woche wollen die Deutschen nur noch im Schnitt 32,8 Stunden pro Woche arbeiten, hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Anfang des Jahres festgestellt. Diese Wunscharbeitszeit hat damit den niedrigsten Wert erreicht, seit Beginn der Erhebung im Jahr 1985. Der Wert sinkt demnach nicht, weil Frauen und Männer Kinder in die Welt setzen und sie sich dann um die Familie kümmern wollen. Der Lebensgenuss ist ein wichtiger Grund dafür, weniger arbeiten zu wollen.
Für die Gemeinschaft ist das teuer, heißt es nun bei der FAZ, und es handle sich nicht nur um Kleckerbeträge, sondern um viele Milliarden Euro, die der Gemeinschaft verloren gehen. Das Blatt beruft sich dabei auf eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI.
Wer weniger arbeitet, bekommt nicht nur selbst ein geringeres Entgelt, sondern zahlt auch weniger Steuern und Sozialabgaben. Und weil bei niedrigeren Einkommen auch der Steuersatz niedriger ist, würden dem Staat mehr Einnahmen verloren gehen als gedacht.
In der FAZ wird vorgerechnet: Eine Person verdient in Vollzeit 5.000 Euro brutto im Monat, netto seien das etwa 3.029 Euro. Wird die Arbeitszeit um 40 Prozent abgesenkt, fiele das Nettogehalt bei gleichbleibenden Steuersätzen auf 1.817 Euro. Weil aber der Steuersatz sinkt, erhält die Person 2.010 Euro. Dem Staat entstehe dadurch ein Schaden von 200 Euro.
Den öffentlichen Kassen entstehe durch Teilzeitarbeit in der Summe ein Schaden von rund 38 Milliarden Euro. Den Krankenkassen gingen 20 Milliarden verloren, der Pflegeversicherung rund vier Milliarden, und der Staat nimmt rund 16 Milliarden Euro weniger Einkommenssteuer ein. Beim Bürgergeld spare er dagegen etwas ein. Insgesamt verliere der Fiskus etwa doppelt so viel durch Teilzeitarbeit wie durch Steuertricks der Konzerne, heißt es bei der FAZ.
Der potenzielle Schaden für die öffentlichen Kassen ist dabei nur eine Untergrenze. In dem Bericht wird betont, das RWI habe zurückhaltend gerechnet. Statt von einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden ist man von einer 38-Stunden-Woche ausgegangen.
Was man mit dem Geld nicht alles machen könnte? "Der Betrag würde ausreichen, um den Etat der Bundeswehr auf das Zwei-Prozent-Ziel anzuheben", schreibt die FAZ.
Warum mehr Lebensgenuss, wenn man Panzer, Flugzeuge, Haubitzen, Granaten und Gewehre mit den Mehreinnahmen kaufen könnte? Man könnte dann auch noch mehr Geld an fremde Staaten verschenken. Und was könnte sich der Staat nicht noch alles leisten, würde man sich auf die alten Tugenden besinnen und würde man die Arbeiter länger als acht Stunden am Tag arbeiten lassen?
Ein anderer Weg, den man beschreiten könnte, wäre ein verantwortlicher Umgang mit den Steuergeldern. Und hier sollte man sich darauf zurückbesinnen, warum die liberale Demokratie einst entstand. Die Steuerzahler wollten nämlich mitentscheiden, wie die Gelder verwendet werden, die der Staat von ihnen fordert. Und sie wollten, dass mit den Geldern verantwortlich umgegangen und im eigenen Interesse verwendet werden.
Vielleicht müssten dann die Deutschen nicht auf Lebensfreude verzichten.
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