Mehr Schutz für ungeborenes Leben?
Open Expertise zur Ethikrat-Stellungnahme - Faktencheck Praena-Test - Teil 2
Der im vergangenen Jahr in Deutschland eingeführte "Praena-Test" ermöglicht es, bereits in einem sehr frühen Stadium der Schwangerschaft via Blut-Gentest das Risiko einer Trisomie 21 und anderer Chromosomen-Defekte zu bestimmen. Sollte die Verwendung des Tests via Gesetz eingeschränkt werden, um allzu leichtfertige Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern? Wir führen, begleitend zur Stellungnahme des Ethikrates, eine Open Expertise zum Thema durch. Was sind die Argumente? Was ist Meinung von Selbsthilfeorganisationen und Nicht-Experten?
Im ersten Teil des Faktencheck Praena-Test ging es um die Frage, ob moralische Bedenken insbesondere hinsichtlich der Diskriminierung Behinderter die Forderung untermauern können, dass die Finanzierung des Praena-Tests nicht durch die öffentliche Hand (konkret: die gesetzlichen Krankenkassen) erfolgen soll. Hier Mitglieder des Ethikrates hatten diese Forderung in einem Sondervotum zu der vor kurzem veröffentlichten Stellungnahme "Die Zukunft der genetischen Diagnostik" vorgebracht. Hier der Link zu den Ergebnissen des Faktenchecks - einmal in zusammengefasster Form, dann als Rohdaten.
Dieser zweite Teil befasst sich mit der Frage, ob es angesichts der Möglichkeiten, die sich mit dem Praena-Test eröffnen, nötig sein wird, neue Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens zu treffen. Diese Forderung (nach einem "über die Pflichtberatung nach §218a Abs. 1" hinausgehenden "Schutzkonzept") wird dem Gesetzgeber vom Ethikrat in seiner jüngsten Stellungnahme ausdrücklich nahe gelegt.
Wir nehmen im Folgenden die Argumente für und gegen die Forderung nach einem solchen "Schutzkonzept" auseinander. In der Diskussion geht es vor allem darum,
- ob eine "informierte Entscheidung" in Kenntnis der eigenen Risiko-Situation wirklich hilfreich ist
- ob die bisherige Praxis im Umgang mit vorgeburtlicher Diagnostik als Messlatte zur Beurteilung möglicher Schieflagen taugt, die durch den Praena-Test hervorgerufen werden könnten
- ob die zukünftige Verfahren zur Risiko-Bestimmung gesellschaftliche Fehlentwicklungen befürchten lassen
Achtzehn dafür, acht dagegen
Ein neues "Schutzkonzept": Achtzehn der insgesamt 26 Mitglieder der Ethikrates halten dies für notwendig. Acht Mitglieder, darunter der Hamburger Jurist Reinhard Merkel und der Medizinethiker Jochen Taupitz, sprechen sich dagegen aus.
Die umstrittene Forderung nimmt ausdrücklich Bezug auf den Paragraphen 218. Hier wird im Strafgesetzbuch der Schwangerschaftsabbruch geregelt. Möglicherweise entsteht durch diese direkte Bezugnahme der Eindruck, es solle mit der Forderung nach einem "Schutzkonzept" der mühsam erreichte gesellschaftliche Kompromiss aufgekündigt werden, den der § 218 in seiner jetzigen Form darstellt. Zielführender wäre es vielleicht gewesen, wenn die Befürworter eines Schutzkonzeptes nicht den Schwangerschaftsabbruch ins Auge gefasst hätten, sondern die Beratungspflicht vor der Durchführung vorgeburtlicher Untersuchungen. Diese wird jedoch nicht im Strafgesetzbuch geregelt, sondern im Gendiagnostik-Gesetz. Die Konkretisierung der Beratungspflichten erfolgt der Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission.
Wie die weiteren Ausführungen zeigen, hängt von den Details der Beratung vor einer vorgeburtlichen genetischen Untersuchung vieles ab. Indem der Ethikrat das Thema "Schutzkonzept" auf so blasse Weise wie irgend möglich aufs Tapet bringt und dabei auch noch ausschließlich auf das Thema Schwangerschaftsabbruch fokussiert, werden hier die vielleicht zentralen Fragen so gut wie überhaupt nicht beachtet. Doch der Reihe nach.
Das Argument der Gegner
Wir beginnen mit der Position der Gegner eines "Schutzkonzepts". Hier ist das Argument:
- Ein "Schutzkonzept" stellt eine Einschränkung von Grundrechten der Schwangeren in Hinsicht auf den Zugang zu wichtigen Informationen dar.
- Die Einschränkung von Grundrechten setzt realistische und hinreichend wahrscheinliche Fehlentwicklungen voraus
- Realistische und hinreichend wahrscheinliche Fehlentwicklungen sind im Falle des Praena-Tests nicht gegeben: Eine Einschränkung von Grundrechten, wie sie mit einem "Schutzkonzept" einher gehen würde, ist nicht zu rechtfertigen.
Wir befassen uns im Folgenden mit den Thesen (1) und (2). Drei Argumentations-Blöcke stehen dabei im Vordergrund:
Die Bereitstellung von Risiko-Befunden führt nicht per se dazu, dass Schwangere eine informierte oder selbstbestimmte Entscheidung treffen. Deshalb muss für die Bereitstellung von Risiko-Befunden genauso argumentiert werden wie dagegen.
Heute bereits praktizierte Untersuchungsmethoden erfüllen in vielerlei Hinsicht nicht wünschbare und plausible Standards. Deshalb sollten sie nicht als Messlatte dienen.
Die zukünftige Entwicklung des Praena-Tests macht Fehlentwicklungen wahrscheinlich
"Geschäft mit der Angst"
Gibt es ein "Grundrecht" auf Informationen jener Art, wie sie das Resultat von vorgeburtlichen Untersuchungen darstellen? Handelt es sich überhaupt um "wichtige Informationen"?
Einige Leser, die sich am ersten Teil des Faktencheck Praena-Test beteiligt haben, stellen dies in Abrede:
Mit der Angst der Schwangeren werden Geschäfte gemacht
schreibt eine Leserin. Was man so verstehen könnte, dass diese "Geschäfte" nicht im Eigeninteresse der betreffenden Frau sind und sie sich darauf auch nicht einlassen würde, wenn sie richtig informiert wäre und nicht einfach aus einem Gefühl der Angst heraus handeln würde - einer Angst, welche die "Geschäftemacher" mit den von ihnen angebotenen Dienstleistungen möglicher Weise erst schüren.
Ein anderer Kommentar:
Es hat nichts mit Fairness zu tun, jemanden mit Wissen auszustatten, der ihn in eine angreifbare Situation (hinsichtlich des gesellschaftlichen Drucks, "unproduktives und teures" Leben auf jeden Fall zu verhindern) zu führen
Hier wird der Verdacht geäußert, dass das Wissen, welches Frauen und Paare durch den Praena-Test erlangen, ihnen unterm Strich nicht wirklich nutzt - dass sie, alles in allem betrachtet, ohne dieses Wissen in einer bessere Lage wären. Was ist dran an diesen Vorwürfen?
Wir haben zwei Argumentationslinien gefunden, mit welcher sich die skizzierte skeptische Position begründen ließe.
Entscheidung im Kontext
Es ist zu kurz gedacht, die "informierte Entscheidung" auf einen Entscheidungsakt der einzelnen Frau zum Zeitpunkt X zu reduzieren! Denn: gesellschaftliche Rahmenbedingungen spielen, als Setzungen, maßgeblich in diese Entscheidung mit hinein und beeinflussen das Ergebnis. (Im Fachjargon wird dieser Sachverhalt unter "relational autonomy" diskutiert: s. Seavilleklein 2009.) Diese Rahmenbedingungen aber sind jenseits der Einflussmöglichkeit der einzelnen Frau oder des einzelnen Paares. Konkret zu nennen wäre hier die ganze Art und Weise, wie die Schwangerschaft als "Risiko" klassifiziert und so der Eindruck erzeugt wird, dass hier im Falle Besorgnis erregender Werte, quasi medizinisch-objektiv, Handlungsbedarf besteht.
Um konkret zu werden: Zwei anekdotischen Beispiele, die wir im Rahmen von Interviews zum Thema erhoben haben, zeigen, dass dieser quasi-objektive Handlungsbedarf tatsächlich von Seiten der behandelnden Ärzte auch kommuniziert wird:
Anne Kathrin Plate, 35 Jahre, Sohn Toni mit Downsyndrom, 8 Jahre
Wie wurden Sie vor Ihrer Ultraschalluntersuchung beraten?
Kathrin Plate: Beim Ultraschallscreening in der 21 Schwangerschaftswoche wurde festgestellt, dass unser Sohn einen Herzfehler hat. Diese Untersuchung hat meine Frauenärztin einfach gemacht, obwohl wir sie gar nicht durchführen lassen wollten. Sie meinte aber sinngemäß, wir machen das jetzt mal.Letztlich war das gut, weil so die Geburt optimal vorbereitet werden konnte. Mein Kind kam in Berlin statt in Halle zur Welt und wurde sofort ins Deutsche Herzzentrum verlegt und war dadurch optimal versorgt. Uns wurde aber nach dem Ultraschallscreening auch gesagt, ich müsse nun zur Feindiagnostik und zur Fruchtwasseruntersuchung an die Charité nach Berlin. Ich hatte Angst vor dieser Untersuchung. Erst durch eine befreundete Hebamme habe ich erfahren, dass die Fruchtwasseruntersuchung gar kein Muss ist.
Haben Sie Diskriminierung von Seiten der Ärzte erlebt?
Kathrin Plate: Wir wollten das Kind, so wie es ist. Dann ist es auch nicht wichtig zu wissen, wie es genetisch beschaffen ist. Aber ein Arzt meinte: "Machen Sie erst einmal die Fruchtwasserpunktion und danach können die einen Abbruch vornehmen lassen." Das war derart unsensibel. Erst später verstand ich, was er da zu mir gesagt hat und ich wurde richtig wütend. Der Arzt in Berlin war lediglich sehr irritiert, dass wir die Fruchtwasseruntersuchung ablehnten, hat das aber akzeptiert.
Kerstin Ellner, 44 Jahre, Tochter Mia mit Downsyndrom 4 Jahre1
Wie haben die Ärzte auf Ihre Entscheidung für das Leben eines womöglich behinderten Kindes reagiert?
Kerstin Ellner: Ich war bei meiner Schwangerschaft über 35 Jahre alt. Alle Ärzte haben mir mehrfach zur Fruchtwasseruntersuchung geraten, ja mich regelrecht dazu gedrängt. Irgendwann habe ich mit dem Fuß aufgestapft und gesagt: Ich will das nicht.
Sie ahnten vor der Geburt nichts von der Behinderung Ihres Kindes. Wie war es, als die Ärzte ihnen dann den Befund mitteilten?
Kerstin Ellner: Aber die Ärzte haben das Kind nur schlecht gemacht. Ich bekam zu hören: "Diese" Kinder, schon das Wort "diese" ist verallgemeinernd und unsensibel, sind nicht in der Lage einen Hauptschulabschluss zu erwerben. Diese Kinder sind ein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen. Die Wahrheit ist: Die Kinder entwickeln sich langsamer. Aber, dass die Eltern ein Kind mit Downsyndrom genauso lieben und damit gut leben werden, sagt keiner. Mein Eindruck ist, dass Ärzte werdende Mütter regelrecht zum Abbruch drängen. Deshalb habe ich auch eine Petition eingereicht, die Bedenkzeit zwischen pränataldiagnostischem Befund und dem Abbruch von derzeit mindestens drei Tagen auf zwei Wochen zu verlängern.
Der Verdacht, der sich hier insgesamt abzeichnet, wird durch Studien bestätigt: Untersuchungen, die in der Regel faktisch meist darauf hinauslaufen, dass im Falle eines sich bestätigenden positiven Testergebnisses ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird, werden der Patientin ohne weitere Beratung als Routineuntersuchung angeboten. Dies bestätigt eine kürzlich in Frankreich durchgeführte Studie (Fragebogen, 400 Frauen):
Ungefähr die Hälfte der befragten Frauen, die sowohl ein Ultraschall-Screening wie eine biochemische Untersuchung [Ersttrimeter-Screening o.ä..] durchlaufen hatten, konnten nicht absehen, dass sie letztendlich mit der Entscheidung hinsichtlich eines Schwangerschaftsabbruches konfrontiert sein würden. Damit das Argument der "Entscheidung" im Kontext zugkräftig ist, bedarf es nun aber noch einer zweiten These: Gezeigt werden muss nicht nur, dass in den Rahmenbedingungen eine Art Voreinstellung in Richtung immer weiterer Screenings, und letztlich, eines Schwangerschaftsabbruches einprogrammiert ist. Darüber hinaus muss braucht es auch den Nachweis, dass Schwangere anders handeln und entscheiden würden, wenn die Rahmenbedingungen andere wären! Dieser Nachweis wird, in Grenzen, durch internationale Vergleichsstudien erbracht. Hier konnte gezeigt werden, dass in einem Land wie den Niederlanden, wo der gesamte Verlauf der Schwangerschaft weniger "medizinalisiert" ist, sich sehr viel weniger Frauen für ein Screening auf Trisomie 21 entscheiden als beispielsweise in den USA oder auch in Deutschland (van den Berg 2005).
Soweit das erste von zwei Argumenten, die dagegen sprechen, den Zugang Risiko-Befunden auf Trisomie 21 als "Grundrecht" einzuordnen.
Screening verändert die Entscheidung
Nun zum zweiten Argument. In Einzelthese zerlegt, besagt dieses:
- Das Wissen oder Nichtwissen um konkrete Risiko-Informationen hat Einfluss darauf, ob eine Frau dazu entschieden ist, im Falle einer Trisomie 21 einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen
- Vor Durchführung des Screenings ist der betreffenden Frau möglicherweise nicht bewusst, inwiefern ein Test die Grundlage einer späteren Entscheidung verändert
- Wäre ihr bewusst, wie ein Test die Grundlage einer späteren Entscheidung verändert, würde sie sich womöglich gegen den Test (das Screening) entscheiden
Die grundlegende Intuition, die mit dem Argument zum Ausdruck gebracht wird, ist diese: Vermutlich fällt es in einigen Kontexten leichter, nicht-wissend die Geburt eines Kindes mit Behinderung zu akzeptieren, als dies wissend (und mit der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches) zu entscheiden und zu verantworten.
Als empirische Basis für das Argument haben wir eine Meta-Studie gefunden, welche die verfügbaren empirischen Untersuchungen zum Thema zusammenführt und auswertet. Das Ergebnis spricht deutlich dafür, dass die Durchführung eines Tests tatsächlich die Entscheidungssituation verändert:
Unter werdenden Eltern insgesamt geben bei Befragungen nur 20 bis 30 Prozent an, im Fall einer Trisomie 21 die Schwangerschaft beenden zu wollen. Unter Frauen mit einem hohen Risiko für Trisomie 21, aber ohne Diagnose, geben 45 bis 85 Prozent an, die Schwangerschaft im Fall des Falles beenden zu wollen. Nach einer Diagnose auf Trisomie 21 beendeten 89 bis 97 der Frauen die Schwangerschaft (Choi et al. 2012).
Dennoch: Damit das Argument schlüssig ist und somit als echter Einwand gegen die Annahme "mehr Informationen = bessere Entscheidung" gelten kann, muss auch die dritte Prämisse zutreffen:
Wäre ihr bewusst, wie ein Test die Grundlage einer späteren Entscheidung verändert, würde sie sich womöglich gegen den Test (das Screening) entscheiden.
Wir haben bislang nichts gefunden, was diese Prämisse entweder erhärten oder entkräften würde.
Weiter geht's in Teil 3 des Faktencheck Praenatest mit den Thesen
- "Heute bereits praktizierte Untersuchungsmethoden erfüllen in vielerlei Hinsicht nicht wünschbare und plausible Standards. Deshalb sollten sie nicht als Messlatte dienen"
- "Die zukünftige Entwicklung des Praena-Tests macht Fehlentwicklungen wahrscheinlich"
und der Zusammenfassung des Gesamt-Argumentes.
Wenn Sie möchten, können Sie sich noch von unserem Argument-Browser noch einmal durch die bisherig Argumentation führen lassen und die einzelnen Stationen bewerten und kommentieren.
Resultate der Leserbefragung werden in Kürze hier veröffentlicht.
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Der "Faktencheck Praena-Test" wurde durch die Crowdfunding-Plattform Krautreporter.de gefördert. Wiederveröffentlichung diese Textes ist auf Anfrage möglich: faktencheck@debattenprofis.de.