Mehr Testosteron für die Technophoben!
Britische Psychologen wollen mit dem Vergleich von Fingerlängen den pränatalen Grund dafür gefunden zu haben, welche Informatikstudenten besser programmieren können
Die Untersuchung der Verhältnisse der Fingerlängen scheint in Mode gekommen zu sein. Besondere Prominenz erfährt dabei 2D:4D, also das Verhältnis von Zeige- und Ringfinger der rechten Hand. Daran soll sich nämlich zeigen, wie stark Männer pränatal dem Hormon Testosteron oder Frauen Östrogen ausgesetzt waren. Ist der Längenunterschied der beiden Finger geringer, was der Fall ist, wenn der Ringfinger länger als der Zeigefinger ist, dann soll das für ein stärkeres Testosteronbad im Uterus sprechen, was zu entsprechenden Folgen für das dann deutlich männlichere Verhalten und das Aussehen führen soll, aber es gibt widersprüchliche Ergebnisse. Bei den Frauen ist der Zeigefinger in aller Regel länger als der Ringfinger.
Britische Psychologen der University of Bath wollen nun herausgefunden haben, wie sie in der Zeitschrift Personality and Individual Differences berichten, dass das Testosteronbad im Uterus, das sich angeblich in 2D:4D widerspiegelt, auch angibt, ob jemand der Technik positiv oder negativ gegenübersteht. Dabei wird es schon ganz schön kompliziert. Man geht davon aus, dass ein geringeres Verhältnis der beiden Finger Männer stärker Testosteron gesteuert macht. Und das wiederum soll bewirken, dass diese Männer eine stärkere Affinität zur Technik haben sollen. Man liest also nicht mehr Hand, sondern man braucht nur noch die Finger zu messen und darf gespannt sein, was Wissenschaftler statistisch noch an Korrelationen aus der Zauberhut ziehen werden.
Die Psychologen begründen ihre Hypothese mit dem Befund, dass Informatikstudenten, die für ihre Programmierfähigkeiten bessere Noten erhielten, pränatal stärker dem Männlichkeitshormon Testosteron ausgesetzt gewesen seien. Das kann man natürlich nicht direkt messen, sondern nur über das Verhältnis der Fingerlängen. Und weil die Studenten mit den besseren Noten eher längere Ringfinger hatten, steuert nun angeblich das mütterliche Testosteronbad im Uterus den Programmiererfolg (Java) der Söhne.
Verglichen wurde das Fingerlängenverhältnis von 150 Informatikstudenten, gefunden worden sei "eine deutliche Verbindung zwischen den Noten eines Studenten und den relativen Längen ihrer Zeige- und Ringfinger." Und weil die Wissenschaftler sicher gehen wollten, haben sie auch die Finger von 119 sozialwissenschaftlichen Studenten gemessen und dabei festgestellt, dass die Studenten mit einem kürzeren Ringfinger mehr Angst hatten, Technik zu verwenden. Das wiederum würde bedeuten, dass die mit weniger Testosteron im Uterus bedachten Menschen insgesamt ängstlicher sind.
Und irgendwie scheint sich diese allgemeine Ängstlichkeit auch gegen die Akzeptanz der Technik, genauer gegen die von Computern zu richten, weswegen die uteral mit Testosterin Unterversorgten, offenbar für männlich und weiblich gültig, auch als Technophobe gelten, zumindest was das "digitale Zeitalter" betrifft. Die würden dann wohl eher zu den soften Geistes- oder Sozialwissenschaften neigen, allerdings entkommt man hier der Technik auch nicht, insbesondere nicht dem Computer. Fragt sich nur, wie man sie gebraucht, was sich die Psychologen für ihre eigene Theoriebildung nicht gefragt zu haben scheinen.
Mark Brosnan, der Leiter des Psychologenteams, gibt sich naturgemäß erfreut über die angeblich Bedeutung des Funds: "Es ist faszinierend, dass dieser Hinweis auf die pränatale Testosteron-Aussetzung 20 Jahre später einen Einfluss auf die Universitätsbenotung hat." Brosnan meint, dass sich die 2D:4D-Theorie als nützlich für das Verständnis erweisen könnte, "wie ein biologischer Index sich auf die Ängstlichkeit gegenüber neuen Technologien beziehen kann". Schließlich sei es ein Problem, wenn nicht alle gleichermaßen an der "digitalen Kultur" partizipieren. Da würden die Psychologen wohl gerne mehr Forschungsgelder erhalten, um noch mehr Finger messen zu können. Sollten dann die Technophoben einfach einen Schuss Testosteron erhalten, um doch noch freundlicher der Informations- und Computertechnologie gegenüber zu stehen. Die ist schließlich, so die Wissenschaftler, "zunehmend entscheidend, um erfolgreich an Bildungs- und Arbeitsumgebungen partizipieren zu können". Treffend gesagt, zumal eh alles eine Frage des Testosterons ist.
Man hat den Eindruck, dass in Teilen der Wissenschaft das 18. oder 19. Jahrhundert zurückkehrt. Damals versuchte sich etwa Gall an der Phrenologie, um geistige Fähigkeiten, Charaktereigenschaften oder Triebe in Gehirnarealen zu lokalisieren. Der Kriminologe Lambroso glaubte, man könne Verbrecher an der Schädelform erkennen, rassistische Theorien, die im Nationalsozialismus gipfelten, vermaßen die Körper, um daraus Rassezugehörigkeit oder Intelligenz erkennen zu wollen. Ein Großteil der neurowissenschaftlichen Studien, die mit bildgebenden Verfahren arbeiten, machen eigentlich nichts anderes, als feststellen zu wollen, welche Areale bei welchen Aktivitäten einzeln oder zusammen aktiv sind, mitunter werden aber auch aus der Größe von Arealen noch Unterschiede zwischen Menschen abgeleitet.