Mehr als Elendsverwaltung?

Seite 2: Zurück zum "Business as usual"

Der Vorstoß scheiterte bei der Abstimmung im Senat mit 42 zu 58 Stimmen. Acht demokratische Senatoren stimmten mit den Republikanern gegen die Einführung einer Mindestentlohnung, die die Zahl der arbeitenden Armen in den Vereinigten Staaten reduziert hätte.

Die Reform des privaten Gesundheitssektors der Vereinigten Staaten, der zu einem der kostspieligsten und ineffektivsten aller Industrieländer zählt, bildete schon während der demokratischen Vorwahlen einen zentralen Streitpunkt. Bernie Sanders, der damalige linke Mitbewerber von Joe Biden, forderte die Einführung eines öffentlichen Gesundheitssystems in den USA. Dies war eine der populärsten Forderungen des Sozialisten aus Vermont.

Joe Biden wollte in Reaktion auf den zunehmenden Druck eine "öffentliche Option" innerhalb des privaten Gesundheitswesens schaffen - doch es ist selbst Anfang April noch unklar, ob dies Vorhaben Realität werden wird.

Das Gesundheitswesen werde Teil kommender Reformmaßnahmen der Biden-Administration sein, erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Ron Klain, in einem Interview. Man wolle die "Kosten für die meisten Amerikaner" senken, insbesondere bei den "verschreibungspflichtigen Medikamenten". Doch Zusagen zu öffentlichen Versicherungsmodellen blieben aus. Von einer Abschaffung des ineffizienten und ruinösen privaten Gesundheitssystems können US-Bürger nur weiter träumen.

Die Steuerpolitik

Eine weitere Auseinandersetzung, an der sich tatsächlich ermessen lässt, inwiefern "Genosse" Biden das vom neoliberalen "Präsidenten Ronald Reagan geprägte Wirtschaftssystem" überwinden will, stellt die Steuerpolitik dar. Die derzeit diskutierten Vorschläge sehen, neben der besagten Erhöhung der Unternehmenssteuern von 21 auf 28 Prozent, auch einen neuen Spitzensteuersatz von 39,6 Prozent vor - derzeit sind es 37 Prozent.

Damit würden aber nur die extremen Steuersenkungen für Konzerne und Reiche teilweise revidiert, die der Rechtspopulist Donald Trump 2017 umsetzte. Es wäre eine prosaische Rückkehr zum neoliberalen "Business as usual", da die Steuersenkungen, die seit dem Beginn der neoliberalen Ära unter Ronald Reagan in Kraft traten, nicht angetastet würden. Zum Vergleich: Zwischen den 1960ern und 1980ern - bis zum Amtsantritt Reagans - pendelte die Unternehmenssteuer zwischen mehr als 50 und 45 Prozent.

Die New York Times erinnerte schon Ende 2019 etwa daran, dass Trump die Unternehmenssteuer von durchschnittlich 35 Prozent auf 21 Prozent absenkte, während in der Biden-Administration nun diskutiert wird, ob diese Steuer wieder auf 25 oder 28 Prozent erhöht werden solle. Der Spitzensteuersatz für Privatpersonen lag vor Trump exakt bei den 39,6 Prozent, auf die er unter Biden wieder erhöht werden soll.

Millionäre und Milliardäre

Gescheitert sind somit selbst bescheidene Versuche, die US-Oligarchie zur Kasse zu bitten. Dies gilt vor allem für die Initiative der linksliberalen Senatorin Elizabeth Warren, die mit ihrer Weigerung, den Sozialisten Bernie Sanders in den Vorwahlen zu unterstützen, maßgeblich zum Vorwahlsieg Bidens beitrug. Ende März berichteten US-Medien, dass die Biden-Administration entgegen der allgemeinen Erwartung die von Warren konzipierte Reichensteuer doch nicht umsetzen werde.

Der Vorschlag sah vor, Millionäre ab einem Vermögen von mehr als 50 Millionen Dollar mit einer zweiprozentigen Abgabe zu behelligen, während Milliardäre drei Prozent Reichensteuer zu entrichten hätten.

Die Warren-Steuer, die bei Umfragen von rund zwei Drittel der US-Bürger befürwortet wird, hätte dem Fiskus drei Billionen Dollar binnen der kommenden Dekade eingebracht. Bernie Sanders wollte hingegen die Oligarchie der USA mit Steuern von 53 bis 97,5 Prozent belegen.

Klima: Too little, too late

Und schließlich scheitern diese Investitionsvorhaben der Biden-Administration an der Bewältigung des Klimawandels als der größten gegenwärtigen Bedrohung des Zivilisationsprozesses.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kritisieren, dass diese Investitionsvorhaben einen falschen Schwerpunkt aufwiesen und viel zu gering bemessen seien, um den angestrebten Emissionsrückgang um 50 Prozent bis 2030 zu erreichen.

Bidens "industriefreundlicher Infrastrukturplan" verpasse "eine unserer letzten guten Chancen, den Klimanotstand zu stoppen", warnte etwa Brett Hartl vom Center for Biological Diversity. Anstatt einen neuen "Marshall-Plan" für das Klima zu initiieren, verlasse sich Biden auf Subventionen und "den fantastischen Wunsch, dass der freie Markt uns retten wird". Es gebe im Rahmen des Investitionsprogramms "keine ambitionierten Schritte", um rasch aus "fossilen Brennstoffen auszusteigen".

Progressive Gruppen forderten hingegen ein massives, historisch beispielloses Investitionsprogramm im Umfang von 10 Billionen Dollar, um der Sozial- und Klimakrise in den USA wirksam zu begegnen. Bernie Sanders sprach sich während des Vorwahlkampfs für ein gigantisches Transformationsprogramm im Umfang von 16 Billionen aus, mit dem die Klimakrise bekämpft werden sollte.

Kritische Geister in den Vereinigten Staaten sind folglich weit davon entfernt, den neuen Präsidenten als einen "Genossen" zu titulieren. Der progressive Publizist Chris Hedges publizierte im Internetmagazin Salon Mitte März eine negative Einschätzung der Politik der Biden-Administration. Diese sei von temporären Maßnahmen geprägt und sie vermeide es, ernsthafte strukturelle Reformen anzugehen.

Laut Hedges hätten die "herrschenden Eliten" durchaus begriffen, dass sie sich mit einer Krise konfrontiert sehen, weshalb sie etwas "Geld hinwerfen" würden, um Teilen der Bevölkerung "momentane Erleichterung" zu verschaffen. Doch würde der "Motor unserer Dystopie", den Hedges in der absurd angewachsenen sozialen Ungleichheit in den USA verortet, von den Reformvorhaben nicht angetastet.

Die obersten zehn Prozent der US-Vermögenspyramide kontrollierten 76 Prozent des Reichtums, während die unteren 50 Prozent nur ein Prozent zur Verfügung hätten. Daran würden nur ein neuer "New Deal" samt "tiefgreifenden Strukturreformen" etwas ändern, die aber der gegenwärtigen unternehmerfreundlichen Administration "ein Gräuel" seien.

Durch ihre Weigerung, an die "Wurzeln" der sozialen Krise in der Vereinigten Staaten zu gehen, schaffe die Biden-Administration aber die besten Bedingungen für den abermaligen Aufstieg eines "Demagogen wie Donald Trump", warnte Hedges.