Mehr als "Gaz off": Die Klimabewegung und der Krieg in der Ukraine
Seite 2: Umweltschutz statt Aufrüstung – oder Standort-Nationalismus?
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Als emanzipatorische Antwort drängt sich ein Schulterschluss zwischen Klima- und Friedensbewegung auf, wie es der Anspruch von Amab ist. Dafür plädiert auch der Klimaaktivist Tino Pfaff. In einer Stellungnahme verschiedener Umweltgruppen wird davor gewarnt, russisches Gas durch Atom- und Kohlekraft zu ersetzen – auch US-Fracking-Gas sei nicht die Lösung. Stattdessen wird "Energieunabhängigkeit jetzt" gefordert – was natürlich ambivalent ist, da diese Forderung nun auch von Kapitalkreisen im Sinne des Standorts Deutschland erhoben wird.
Auch Fridays for Future wollte am 3. März mit einem Protesttag gegen den Krieg in der Ukraine ihre Solidarität mit den Menschen vor Ort ausdrücken. Weltweit haben die Klimaaktivisten mit Demos und anderen Aktionen ihre Ablehnung des Kriegskurses der russischen Regierung deutlich gemacht. In Berlin beteiligten sich am Donnerstag vor dem Berliner Reichstagsgebäude Tausende Menschen – ganze Schulklassen, aber auch Eltern mit sehr jungen Kindern nahmen daran teil.
Der Aktionstag war auf Anregung von Klimaaktivisten aus der Ukraine beschlossen worden, die über das Internet zur Solidarität aufgerufen haben. Im deutschsprachigen Aufruf zum Aktionstag fand sich allerdings kein kritischer Ton zu den Aufrüstungsplänen Deutschlands und der Nato. Stattdessen wurde kritisiert, dass westliche Politiker und die Weltgemeinschaft Russland nicht hart genug sanktioniert hätten.
Die führenden Politiker:innen der Welt sind nicht ohne Schuld. In den letzten acht Jahren waren die diplomatischen und geschäftlichen Beziehungen vieler Länder, einschließlich der EU-Mitgliedstaaten, zu Russland noch aktiv. Worte und Erklärungen reichen nicht aus – wir müssen Russland entschlossen davon abhalten, in der Welt zu funktionieren – wirtschaftlich, gesellschaftlich, energetisch und diplomatisch.
Aus dem Aufruf "Stand with Ukraine" von Fridays for Future
Kurzfristig durfte dann auch der Berliner Linke-Politiker Ferat Kocak, der seit Jahren auch in außerparlamentarischen Bewegungen aktiv ist, seine Rede nicht halten. Dabei war er zunächst von den Veranstaltern angefragt worden. Deshalb war er auch überrascht, als kurz vor dem Betreten der Bühne mitgeteilt wurde, dass sein Beitrag nun doch nicht erwünscht sei.
Öffentliche Entschuldigung nach interner Diskussion
Einige hätten ein "schlechtes Gefühl" bekommen, nachdem sie sein kurzes Video gesehen hatten, mit dem Kocak auf Twitter seine Rede angekündigt hatte. Darin hatte er nicht nur den russischen Einmarsch in die Ukraine, sondern auch die Politik der Nato kritisiert. Zu deren Mitgliedsstaaten gehört die Türkei, die vom Westen für ihre Militärgewalt gegen die kurdische Bevölkerung auch in den Nachbarstaaten Irak und Syrien nicht sanktioniert wird.
Das sollte allerdings am Donnerstag gar nicht Thema seiner Rede gegen Krieg, Rassismus und Aufrüstung sein, die er zunächst ersatzweise als Video über Instagram und Twitter verbreitete. Kocak, der über Rassismus nicht nur theoretisch sprechen kann und in den vergangenen Jahren ins Visier militanter Neonazis geraten war, sagt darin, dass ein Wettrüsten auf Kosten des Klimaschutzes und sozialer Belange die falsche Antwort auf Putins Krieg sei – und er spricht über den unterschiedlichen Umgang mit weißen und nichtweißen Menschen, die vor Krieg und Gewalt in die EU fliehen.
Seine der kurzfristige Ausladung als Redner hatte er auch als eine Form von Rassismus bewertet und öffentlich kritisiert. Im Gespräch mit Telepolis zeigte er sich am Freitag sehr betroffen, da er sich seit Jahren solidarisch für Fridays for Future einsetze – ein Mitglied des Organisationsteams habe sich aber schon bei ihm entschuldigt. Nach einer internen Diskussion hat Fridays for Future Berlin dies inzwischen auch öffentlich getan und seine Rede weiterverbreitet.
Welcher Krieg betrifft "uns"?
Hier stellte sich auch die Frage, welche Kriege "uns", womit in diesem Fall die meist mittelständisch geprägte Protestbewegung in Deutschland gemeint ist, betroffen machen. Aktuell gibt es in den Berliner Kunstwerken eine sehenswerte künstlerische Auseinandersetzung mit dieser Frage. So beschäftigt sich der libanesische Künstler Rabih Mroué in der Exposition Under the Carpet mit den Konflikten in seinem Land, aber auch in Syrien, wobei er sich sehr deutlich mit dem dortigen Widerstand gegen das Assad-Regime solidarisiert.
In Videos und Lectures geht er auf das Individuum im Krieg ein. Auch die in den USA lebende Künstlerin Oraib Toukan ist in einer Einzelausstellung mit dem Video Via Dolorosa vertreten, die sich um die Frage dreht, wie Kriege, Leid und Elend in Ländern des Globalen Südens in Massenmedien des Globalen Nordens gesehen werden.
Hier bietet sich eine Grundlage für die Antwort auf die Frage, welcher Krieg "uns" heute trifft. Warum nicht der fortdauernde Krieg in den kurdischen Gebieten, in dem die türkische Armee auch Waffen aus Deutschland gegen die Bevölkerung einsetzt? Warum nicht der langandauernde Krieg im Jemen, der von Saudi-Arabien, einem Partner des Westens, mit viel größerer Brutalität geführt wird als bislang der Krieg in der Ukraine?
Liegt es daran, dass die Ukraine in Europa liegt, wie schon öfter Politiker und Medien erklärten, die sich darüber empörten, dass man nun in der Ukraine Bilder sieht, die man doch eher von Afghanistan erwartet?
Journalisten aus dem Globalen Süden erinnern daran, dass auch die USA und die EU viel zum Krieg in Afghanistan beigetragen haben. Kommt bei der besonderen Betroffenheit vom Krieg in der Ukraine nicht noch dazu, dass das Land seit längerer Zeit zur deutschen Einflusssphäre gehört und daher der Kampf zwischen dem russischen Block und dem Block der EU besonders erbittert geführt wird?
Solche Fragen sollten sich die Teile der Antikriegs- und Friedensbewegung stellen, die nicht den Standort Deutschland affirmieren. So könnte der Protest gegen Gazprom genutzt werden, um die Vergesellschaftung von Energiekonzernen wie RWE und Co. zu fordern. Schließlich sind sie Pendants zu Gazprom in Russland. Eine Klimabewegung, die ihre Forderungen ernst nimmt, weiß, dass diese nicht nur gegen Gazprom, sondern auch RWE und Co. durchgesetzt werden müssen.