Mehr grüne Gentechnik trotz nationaler Anbauverbote?

Update: Die Gentechnik-Industrie gibt Europa nicht auf, die EU-Umweltminister haben die umstrittene Opt-Out-Regelung zu nationalen Anbauverboten beschlossen

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Einige Zeit dachte man, dass die Gentechnik-Industrie Europa aufgrund der starken Widerstände in der Bevölkerung als Absatzmarkt aufgegeben hätte. Doch im Hintergrund wurde offensichtlich an neuen Strategien gearbeitet, wie ein jüngst aufgetauchtes Insider-Papier zeigt. Darin wird detailliert geschildert, wie man auf die EU-Kommission einwirken möchte. Die Kommission solle die Mitgliedsstaaten zu "Kompromissbereitschaft" zugunsten von GV-Zulassungen und -Importen ermahnen. Gentechnik-Kritiker bemängeln indes, dass sich die EU ohnehin viel zu stark von Industrie und Lobbyverbänden vor sich hertreiben lasse. In Kritik steht zudem ein Gesetzesvorschlag, wonach nationale Anbauverbote zwar möglich werden, allerdings unter Bedingungen, die zu einer fragwürdigen Abhängigkeit von Konzernen führen könnten.

Vor gut einem Jahr, im Mai 2013, erklärte ein Sprecher Monsantos gegenüber der Tageszeitung, dass man keine weiteren Zulassungsanträge für Europa planen würde und auch Abstand von der Lobbyarbeit nehmen würde. Lediglich in Rumänien, Spanien und Portugal wäre das Interesse an Gentech-Mais von Monsanto gegeben. Ansonsten wolle man aber nicht mehr "gegen Windmühlen" kämpfen. Allerdings würde man sich weiterhin für den Import von GV-Produkten, speziell für Futtermittel stark machen (Monsanto: Abschied von Europa mit Hintertür?).

Greenpeace begrüßte damals die Rückzugs-Ankündigung von Monsanto. Auch andere Hersteller wie beispielsweise Syngenta hatten davor bereits Rückzieher gemacht. Dennoch scheint es im Hintergrund starke wirtschaftliche Interessen zu geben, welche die grüne Gentechnik in Europa allen Widerständen zum Trotz etablieren wollen. Der Lobby-Verband EuropaBio hielt in einem jüngst aufgetauchten Strategie-Papier fest, dass man auf eine schnellere Zulassung von GVOs abziele. Einem Bericht des Spiegels zufolge, der sich auf ein Proposal von EuropaBio bezieht, wolle man zudem die "Aufweichung der Verunreinigungsregeln für Saatgut und Futtermittel erreichen".

Druck auf EU-Staaten?

Tatsächlich hat die NGO Corporate Europe Observatory (CEO) Ende Mai ein EuropaBio zugeordnetes Dokument online gestellt, das vom Inhalt her den Spiegel-Bericht bestätigt. Darin heißt es, dass die bisherige Strategie der Bio-Tech-Lobby nicht funktioniere. Man müsse die EU-Kommission dazu bewegen, mehr "Kompromissdruck" auf die EU-Staaten auszuüben. Unter anderem wird vorgeschlagen, die EU-Kommission solle den Mitgliedsstaaten klar machen, dass sie unter dem Druck der WTO stehe. Außerdem müsse sie schneller auf "illegale nationale Verbote" reagieren. Wörtlich heißt es in dem Papier:

"Pressure can be asserted by the EC (Anm.d. Red. = Europäische Kommission) in the following ways:

1. The EC should move products for import and cultivation to the vote in Committee - i.e. simply implementing the legislation as foreseen. If no QM appears then the EC should approve rapidly thereafter. Currently the EC does not process products and is therefore not abiding by EU law. 2. The EC should take action against MS (Anm. d. Red = Mitgliedsstaaten) with illegal bans. There are legal and political options. The EO ruling requires France to lift the safeguard clause, and places pressure on the EC to make France and other MS do so. Lack of action by the EC makes it increasingly vulnerable. The EC should point out to MS that it is under legal pressure from the WTO case to show that it operates a functioning approval system."

3. The EC should point out to MS that it is under legal pressure for failure to act in moving products to the vote (General Court in Strasburg). Ruling expected in coming months.

4. The EC should point that in order to prevent further breakdown of the single market in seeds (because of divergent thresholds tolerance levels in many MS), it is required to act to set a threshold."

Spiegel Online moniert, dass EuropaBio "die Politik mit enorm dreisten Strategien" vor sich hertreiben will. Die Biotech-Branche sieht das naturgemäß anderes. Selbst die immer wieder wegen vermeintlicher "Industrie-Nähe" kritisierte EU-Behörde EFSA (European Food Safety Agency) ist EuropaBio bei Prüfungen nicht schnell genug. In einem auf ihrer Homepage veröffentlichten Papier wird auf "illegale Verzögerungstaktiken" verwiesen , die insgesamt bereits 44 Jahre ausmachen würden. Dieser Trend hätte sich seit 2013 verstärkt, beklagt EuropaBio.

Staaten als Bittsteller bei Monsanto & Co?

Indes könnte der Branchen-Verband demnächst durchaus Aufwind erhalten. So soll voraussichtlichheute eine Regelung auf EU-Ebene abgehandelt werden, die im Vorfeld bei Öko-Verbänden für erheblichen Unmut gesorgt hat. Die sogenannte Opt-out-Regelung sieht vor, dass es nationale Anbauverbote geben darf. Allerdings enthält die Regelung einige Passagen, welche die Handschrift der Industrie tragen, bemängeln die Verbände. Der "Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft" (BÖLW) und der BUND befürchten, dass mit den aktuellen Vorschlägen zu den nationalen Anbauverboten letztlich "mehr Gentechnik" auf Europas Äckern ausgebracht werden könnte als bisher.

In einem Positionspapiermacht die gentech-kritische Branche klar, dass hier eine "Kuhhandel"-Strategie vorgeschlagen wird. Danach müssten Staaten im Vorfeld mit den Konzernen verhandeln und würden sich so in Abhängigkeit bringen. Der Bundestags-Abgeordnete Harald Ebner (Grüne) sieht sieht die Regierungen in die Rolle der "Bittsteller" gedrängt, abhängig von Gentech-Konzern:

Staaten, die den Anbau von Genmais und anderen Gentech-Pflanzen verbieten wollen, müssten auch nach diesem Vorschlag mit den Konzernen darüber verhandeln. Das macht Staaten zu Bittstellern und gibt Monsanto und anderen Konzernen faktisch die Macht, Zugeständnisse zu erpressen, wie etwa ein "Ja" bei kommenden Zulassungsentscheidungen. Eine Zulassungsflut für Gentech-Pflanzen ist absehbar - und damit der Anfang vom Ende der Gentechnikfreiheit in Europa.

Harald Ebner

Im Vorfeld der EU-Verhandlungen zur "Opt-Out"-Regelung wurden im Ausschuss für Umwelt und Naturschutz bereits große Vorbehalte eingebracht. Eine Mitteilung des Bundestags, hält fest, dass die Linksfraktion, Grüne und SPD erhebliche Bedenken gegen den Vorschlag der griechischen Ratspräsidentschaft zur Opt-Out-Lösung eingebracht hätten:

Die Linksfraktion kritisierte die in der Opt-Out-Klausel vorgesehene Vorschrift, dass die Mitgliedstaaten als Voraussetzung für ein nationales Anbauverbot das jeweilige antragstellende Unternehmen konsultieren sollen. Nach Ansicht der Linken bedeutet dies eine "Untergrabung der Demokratie", da hierdurch privatrechtliche Konzerne mit demokratisch gewählten Regierungen gleichgestellt würden. Auch die SPD-Fraktion zeigte sich skeptisch angesichts der geplanten Konsultationspflicht der Staaten mit den Unternehmen."

Auch von der CSU wurden Bedenken vorgebracht. Die CDU hingegen äußerte sich tendenziell zustimmend: "Die CDU-Fraktion indes betonte, dass Langzeitstudien bisher keine negativen gesundheitlichen Folgen durch den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nachgewiesen hätten. Zudem sei der GVO-Anbau in Zukunft notwendig, um die Nahrungsmittelsicherheit weltweit zu gewährleisten", heißt es in der Presseaussendung.

Ende Mai schließlich stimmte Agrarminister Christian Schmidt (CSU) bei einer ersten Runde in Brüssel dem umstrittenen "Opt-Out"-Entwurf zu. Die Öko-Verbände und NGOs hoffen nun, dass am 12. Juni bei der offiziellen Abstimmung der Umweltminister die Regelung noch gekippt wird.

Update:

Die umstrittene Opt-Out-Regelung zu nationalen Anbauverboten wurde heute, 12. Juni, von den EU-Umweltministern in Brüssel beschlossen. Einzig Luxemburg und Belgien enthielten sich der Stimme. Luxemburg befürchtet eine "Welle von Zulassungen" von Gentech-Saatgut.

Öko-Verbände bezeichnen die Regelung als "Mogelpackung", zumal Staaten im Vorfeld mit Konzernen über jedes geplante Verbot verhandeln müssen. Gentech-kritische Organisationen hoffen, dass die Regelung, die noch im EU-Parlament diskutiert werden muss, dort abgeändert wird.