"Meinen alten Arbeitsplatz erhielt ich nie wieder"

Eine Hausdurchsuchung bei einem Unschuldigen und ihre Folgen

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Nur selten erfährt man, was eigentlich aus den vielen "größten Kinderpornographiefällen im Netz" wird. Eher als Randnotiz steht irgendwo, dass X Prozent aller Fälle eingestellt wurden. Doch wie geht es für die weiter, die in einem solchen Fall zu den Verdächtigen gehörten?

Am 26.02.2007 führten amerikanische und europäische Strafverfolger einen Schlag gegen Kinderpornographie durch, der, wie in solchen Fällen üblich, für die Verdächtigen eine Haus"durchsuchung" bedeutete, was jedoch trotz des eher beiläufigen Klanges des Wortes oft viel mehr als nur eine Durchsuchung ist. Neben dem Gefühl der Machtlosigkeit und den Folgen, die ein solcher Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung mit sich bringt, haben derartige "Durchsuchungen" ja oft auch die Konfiszierung von zum Teil wichtigen Daten zur Folge. Auch bei Thomas (Name geändert und der Redaktion bekannt) klingelte die Polizei am 26.02.2007. Fünf Jahre später ist das Verfahren längst eingestellt, doch die Folgen der Verdächtigung und Hausdurchsuchung sind noch immer präsent.

Wie lief die Hausdurchsuchung ab?

Thomas: Die Hausdurchsuchung war am 26.2.2007. Abends, so gegen 18:00 Uhr ruft mich ein Polizist an, wo ich wäre. Ich war gerade an meinem Zweitwohnsitz, sie standen vor meinem Hauptwohnsitz. Ich solle bleiben, wo ich sei, sie kommen vorbei.

Für einen Betreiber eines TOR-Servers ist es nicht sonderlich schwierig, zu erraten, was sie wollten. Ich hätte in der (ca.) Stunde, die ich bis zur HD hatte, auch leicht alles von dem Server löschen können. Aber das hätte man leicht nachweisen können (wobei ich kaum glaube, dass ich durch das Löschen etwas Strafbares getan hätte), und außerdem hatte ich diesbezüglich ja ein reines Gewissen, weder raubkopierte Software noch Kinderpornographie oder ähnliches. Nur eben der TOR-Server.

Die Polizisten kamen mit Verstärkung der örtlichen Polizei, zeigten den Durchsuchungsbefehl und begannen, das Haus nach Computern zu durchforsten.

Anschließend fuhren sie mit mir zu meinem Hauptwohnsitz, wo sie mich sogar den betreffenden Server runterfahren ließen, bevor sie ihn einpackten.

Für den nächsten Tag bestellten sie mich zu Polizeidirektion, wo sie dann meine Aussage aufnahmen. Ich habe in der Hoffnung, den Vorgang zu beschleunigen, alle Passwörter hergegeben, der Polizist hat mir auch erklärt, ich brauche mir keine Sorgen wegen allfälligen Urheberrechtsverletzungen zu machen, die dürfen nur mit Einverständnis des in seinen Rechten Verletzten erfolgen, und die Polizei darf dem natürlich nichts von mir und meinen Rechnern verraten.

Was haben die Polizisten alles mitgenommen?

Thomas: Sie nahmen nur die Rechner und Speichermedien mit, Monitore, Drucker usw. blieben hier. Den alten Commodore 128D haben sie dagelassen, ebenso die dazugehörigen alten 5 1/4" Disketten.

Wurde der Computer auch beruflich benötigt?

Thomas: Nicht wirklich.. Glücklicherweise verkauft mein Arbeitgeber die alten Rechner, die nicht mehr gebraucht werden, an interessierte Mitarbeiter, so hatte ich relativ schnell wieder einen Computer, allerdings entsprechend alt und leistungsschwach. Aber für Mail und das Nachschlagen von Informationen im Web hat's gereicht. Einige Monate später habe ich mir dann noch einen Laptop zugelegt, da der andere Rechner auf Dauer doch zu leistungsschwach war.

Wie ging es dann weiter?

Thomas: Im Anschluss habe ich mir einen Anwalt genommen, den mir ein Bekannter, der selbst einen Anonymisierungsdienst betreibt, empfohlen hat, und der auch Ahnung von solchen Fällen hat. Die Kosten von insgesamt ca. 4000 Euro durfte ich natürlich selbst tragen.

Konnten Sie zwischenzeitlich an Daten herankommen, wurde z.B. eine Kopie der Festplatte erstellt und die Festplatte ausgehändigt?

Thomas: Nein. Nach etlichen Monaten habe ich es geschafft, wenigstens an die auf dem Server gespeicherten Mails zu bekommen und an die Datenbank, die die Basis für meine Webseite war. So wirklich unersetzbare Daten hatte ich nicht drauf. Meine Domain war mir ja geblieben. Also mietete ich einen Server (vorsichtshalber in einem anderen EU-Land), setzte das Mailsystem neu auf und konnte so die meisten Passworte zurücksetzen. 15 Monate später konnte ich mir die Rechner von der Polizei abholen. Der Polizist, der mir die Rechner zurückgegeben hat, hat mir dann noch den Rat gegeben, sowas in Zukunft nicht mehr zu machen.

Sie sagten, die Hausdurchsuchung führte auch zu gesundheitlichen Problemen.

Thomas: Ja. Natürlich hatte ich mir im Vorfeld über Hausdurchsuchungen Gedanken gemacht, aber schließlich hatte ich ja nichts Verbotenes getan, insofern war der Gedanke "Kann doch nicht so schlimm werden." - - Irrtum. Wenn man in einem verhältnismäßig kleinen Städtchen wohnt, ist natürlich ein Trupp Polizisten, der Kartons mit Rechnern und CDs aus der Wohnung trägt, auch nicht gerade förderlich für den "guten Ruf".

Zwei Tage nach der Hausdurchsuchung bin ich noch arbeiten gegangen, dann schleppte mich meine Mutter zum Hausarzt, der mich sofort wegen schwerer Depression ins Krankenhaus schickte. Ich konnte einfach an nichts anderes mehr denken, als an die HD und was dabei herauskommen könnte und ob sich nicht doch irgendwelche Kinderporno-Bilder im von mir meist ignorierten Spam-Ordner befinden könnten usw. Auch wenn man rein logisch _weiß_, dass sie letztendlich nichts finden werden, gefühlsmäßig bleibt immer eine gewisse Unsicherheit zurück.

Das Krankenhaus hat mir dann Psychopharmaka verschrieben und mich wieder Nachhause geschickt. In Krankenstand war ich dann jedenfalls drei oder vier Wochen, wobei sich die Depression noch monate-, wenn nicht jahrelang hinzog.

Und der Arbeitgeber? Wie reagierte der?

Thomas: Nach ca. einer Woche Krankenstand habe ich meinen damaligen Teamleiter, der auch Betriebsrat ist, angerufen und von der Hausdurchsuchung erzählt. Er hat dann einen Termin mit Abteilungsleiter, Personalabteilung und Betriebsrat vereinbart, zu dem dann auch mein Anwalt gekommen ist. Natürlich habe ich mich vor dem Termin gefürchtet, vor allem, da ich auch wusste, dass mein Arbeitgeber gerade bei Kinderpornographie sensibel reagiert und auch schon einige Kollegen, auf deren Arbeitsplatzrechner Kinderpornos gefunden wurden, entlassen worden waren.

Letztendlich war der Arbeitgeber sehr verständnisvoll. Ich hatte in einem Bereich gearbeitet, für den eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich ist, die ich mit dem laufenden Verfahren nie bekommen hätte, daher wurde beschlossen, dass ich erst einmal eine andere Arbeit mache, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Die neue Arbeitsstelle war und ist in Ordnung, aber ich habe immer auch daran geglaubt, dass ich meinen alten Arbeitsplatz wieder zurückbekomme, wenn das Verfahren beendet ist. Die neuen Arbeitsbedingungen unterscheiden sich ja grundlegend von dem, wie es vorher war.

Wie ist es ausgegangen?

Thomas: Im Juli 2008 erhielt ich eine Nachricht meines Anwalts: "Die Ermittlungen (und Sichtungen des beschlagnahmten Materials durch die Sicherheitsbehörden) sind abgeschlossen, ein strafrechtlicher Vorwurf wird Ihnen nicht mehr gemacht." Die beschlagnahmten Rechner konnte ich mir wieder abholen.

Psychopharmaka nahm ich noch ca. ein halbes Jahr. In der Zeit bin ich zum überzeugten Leser vom Lawblog geworden, und ausgehend von dem, was man da und auch in anderen Medien so liest, bin ich noch ziemlich glimpflich davongekommen. Es heißt ja oft: "Wer nichts angestellt hat, hat auch nichts zu befürchten", aber das "Nichts", das ich als Unschuldiger durchgemacht habe, war auf jeden Fall eine schwerwiegende psychische und auch finanzielle Belastung. Meinen alten Arbeitsplatz habe ich bisher nicht wiederbekommen.

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