Merkel als EU-Kommissionspräsidentin?
Nach der Europawahl und nach der Landtagswahl in Sachsen bieten sich Gelegenheiten für eine vorzeitige Kanzleramtsübergabe an Annegret Kramp-Karrenbauer
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker sagte der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, er könne sich "überhaupt nicht vorstellen, dass Angela Merkel in der Versenkung verschwindet". Sie sei nämlich "nicht nur eine Respektsperson, sondern ein liebenswertes Gesamtkunstwerk". Damit löste der Luxemburger, der am 31. Oktober sein Amt abgibt, Spekulationen aus, ob am 1. November nicht der christdemokratische Spitzenkandidat Manfred Weber, sondern die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sein Nachfolger werden könnte.
Dass Merkel selbst vorher verlautbart hatte, sie wolle nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft keine politischen Ämter übernehmen, muss nicht heißen, dass das so sein wird. In der Vergangenheit gab es regelmäßig und in allen politischen Lagern Fälle, in denen Politiker eine Ruhestandsankündigung zurücknahmen, wenn Kollegen und Medien sie als "Retter" riefen.
Übersteht die Bundeskoalition die Europawahl?
Bis zum 1. November finden außerdem Wahlen statt, bei denen die Ergebnisse die Forderung laut werden lassen könnten, dass Köpfe rollen. Die erste dieser Wahlen ist die Europawahl am 26. Mai. Die CDU käme dort mit den 29 bis 32 Prozent, mit denen sie den Umfragen nach rechnen kann, auf gut drei bis gut sechs Punkte weniger als bei der Europawahl 2014. Mit schlimmeren Einbußen müssen die Sozialdemokraten rechnen: Sie kamen 2014 noch auf 27,9 Prozent Stimmenanteil - 2019 droht ihnen ein Ergebnis zwischen 16 und 19 Prozent.
Gelingt es der SPD-Bundesvorsitzenden Andrea Nahles nicht, so ein Ergebnis auszusitzen, könnte sie (oder ihr Nachfolger) die Bundeskoalition platzen lassen. In diesem Fall würde die CDU zu Neuwahlen wahrscheinlich nicht mehr mit Merkel, sondern mit Annegret Kramp-Karrenbauer antreten, die im Dezember den CDU-Vorsitz übernahm und auch Koalitionsoptionen unter Einschluss der FDP öffnet.
Opfer nach der Sachsenwahl?
In Bremen, wo ebenfalls am 26. Mai gewählt wird, hat die CDU wenig zu befürchten. Hier liegt sie mit 25 Prozent in den Umfragen 2,6 Punkte über ihrem Ergebnis von 2015. Das hat sie auch der Tatsache zu verdanken, dass dort nicht sie, sondern eine rot-grüne Koalition regiert. Diese Koalition schadete anscheinend der SPD, die von 32,8 auf 24 oder 25 Prozent abzusacken scheint. Ob ein Zuwachs von 15,1 auf 18 oder 19 Prozent für die Grünen reicht, um das Bremer Regierungsbündnis fortzusetzen, werden unter anderem die Ergebnisse der kleineren Parteien zeigen.
In Sachsen, wo die Wähler am 1. September zu den Urnen gerufen werden, regiert dagegen die CDU - und muss mit einem Einbruch von 39,4 auf 27 bis 28 Prozent rechnen. Hier hat die AfD, die aktuell bei 25 Prozent gemessen wird, eine Chance, die Christdemokraten als stärkste Partei abzulösen. Landen SPD, Grüne und FDP wie vorhergesagt bei neun, neun und sechs Prozent (oder darunter), könnte die CDU dann gezwungen sein, sich zwischen einer Regierung unter Beteiligung der Linkspartei oder einer unter Beteiligung der AfD entscheiden zu müssen. In diesem Fall wäre ein vorheriges Opfer Merkels als Bundeskanzlerin nicht ganz unwahrscheinlich.
Koalition mit einem der beiden bisherigen Tabus?
Die Landtagswahl in Brandenburg, die ebenfalls am 1. September stattfindet, ist für die Christdemokraten weniger gefährlich: Hier, wo sie in der Opposition sind, blüht ihnen ein eher moderater Verlust von 23 auf 19 bis 21 Prozent. Die in Brandenburg mit der Linkspartei regierende SPD droht von 31,9 auf 20 bis 23 Prozent deutlich stärker abzustürzen.
Für eine Nominierung als EU-Kommissionspräsidentin etwas spät käme ein Rücktritt Merkels nach der Thüringer Landtagswahl am 27. Oktober. Hier muss die bislang oppositionelle CDU zwar nur verhältnismäßig moderate Einbußen von 33,5 auf 27 oder 28 Prozent einkalkulieren - aber bei einer 24 bis 25 Prozent starken Linkspartei und einer 19 bis 20 Prozent starken AfD könnte es (ähnlich wie in Sachsen) sein, dass sie sich in eine Koalition mit einem der beiden bisherigen Tabus fügen muss, weil es für andere Kombinationen nicht reicht.
Nachfolgerin Tusks?
Tritt Merkel erst dann zurück, könnte sie am 1. Dezember die Nachfolgerin des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk werden. Auf diesem Posten müsste sie auch nicht vom EU-Parlament bestätigt werden, sondern dürfte sich von den Staats- und Regierungschefs wählen lassen. Die Briten, die einer solchen Berliner Machtfülle in Brüssel bislang skeptisch gegenüberstanden, wären dann vielleicht schon aus der EU ausgestiegen und könnten sie nicht mehr verhindern. Da für diese Wahl eine qualifizierte Mehrheit reicht, wären Gegenstimmen Italiens, Ungarns, Österreichs, Polens, Tschechiens und Estlands nicht ausreichend.
Möchte Merkel dagegen lieber EU-Kommissionspräsidentin werden, könnte ihr nutzen, dass die christdemokratische EVP den aktuellen Umfragen zur Europawahl nach zwar erneut stärkste Fraktion wird, aber damit rechnen muss, nicht einmal mit dem bisherigen informellen Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, auf eine Mandatsmehrheit zu kommen. Die dann als Mehrheitsbeschaffer infrage kommenden Liberalen und Grünen könnten als Gegenleistung auf einen anderen Kandidaten als Weber bestehen. Zum Beispiel auf die dänische EU-Kommissarin Margrete Vestager (vgl. EU-Kommissionspräsidentschaft: Vestager statt Weber?) - oder auf eine ehemalige Regierungschefin, für die vor allem Grüne schwärmen.
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