"Merkel kämpft in vorderster Front gegen ihre eigenen Klimaversprechen"

Die Energie- und Klimawochenschau: Das Europaparlament debattiert über Flugverkehr und Klima, das Wall Street Journal ist ausnahmsweise einmal freundlich zu China und der IPCC fasst seine Berichte zusammen

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Fliegen ist eine der Möglichkeiten, wie man das Klima in kürzester Zeit am stärksten schädigen kann. Zum einen ist der Energieverbrauch und damit die Produktion des Treibhausgases CO2 enorm, zum anderen können sich die Kondensstreifen der Düsenflieger bei ungünstiger Witterung, d.h. in diesem Fall bei einer Luftfeuchtigkeit ab etwa 30 Prozent, zu dünnen Schleierwolken entwickeln, die sich physikalisch ganz ähnlich wie Treibhausgase verhalten: Sonnenlicht wird nahezu ungehindert durchgelassen, die Abstrahlung des Erdkörpers und der unteren Luftschichten im infraroten Bereich jedoch absorbiert.

Wegen des schnellen Wachstums des Luftverkehrs und weil seine Emissionen – sofern der Transport Ländergrenzen überschreitet – bisher nicht in den internationalen Klimaschutzverträgen berücksichtigt sind, gerät dieser Sektor zunehmend ins Fadenkreuz des Klimaschutzes. In der EU werden derzeit Modelle diskutiert, diesen Verkehrssektor in den Emissionshandel einzubeziehen. In diesem Zusammenhang hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) am Montag den CDU- und CSU-Abgeordneten im Europaparlament vorgeworfen, „Klimaschutz im Flugverkehr (zu) blockieren“. Ursprünglich „ambitionierte“ Vorschläge Großbritanniens und Schwedens drohten entschieden verwässert zu werden. Der BUND kann sich nicht recht vorstellen, dass Angela Merkel, die sich gerne als Vorkämpferin des Klimaschutzes geriert, vom Treiben ihrer Parteifreunde nichts weiß.

Die Idee des Emissionshandels besteht darin, dass bestimmten Unternehmen, in diesem Fall Fluglinien, Zertifikate zugeteilt oder verkauft werden, die das Recht bescheinigen, eine bestimmte Menge CO2 zu emittieren. Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens ist, wie viele Zertifikate ausgeteilt werden, d.h. wie hoch die Gesamtmenge der genehmigten Emissionen ist, und ob die Fluglinien für die Zertifikate bezahlen müssen. Der BUND und das europäische Büro von Friends of the Earth, dem der BUND angehört, fordern daher, dass

  1. alle Zertifikate versteigert statt kostenlos verteilt werden
  2. die oben erwähnte zusätzliche Klimawirksamkeit der Abgase mit dem Faktor Zwei berücksichtigt wird
  3. die Zertifikate, die Fluglinien aus CO2-Vermeidungsprojekten in Entwicklungsländern erwerben können, streng limitiert werden, um sicherzustellen, dass Emissionen in der EU reduziert werden.

Ganz anders sieht man es allerdings bei den Christdemokraten im Europaparlament. Auf der Internetseite der CDU-CSU-Gruppe in der Fraktion der Europäischen Volkspartei heißt es:

Der Umweltausschuss ist an einigen Stellen zu weit gegangen. Bei der Emissionsobergrenze werden die 75 Prozent des Ausschusses keinen Bestand haben. Gleiches gilt für die Forderung, 50 Prozent der Emissionszertifikate schon in der ersten Periode zu versteigern. Die EVP-ED-Fraktion schlägt daher vor, zunächst mit 25 Prozent zu beginnen und den Wert dann nach oben anzupassen, wenn auch in anderen Sektoren größere Anteile an Zertifikaten versteigert werden.

Statt der von den Umweltschützern geforderten 50-Prozent-Beschränkung will man also nicht einmal eine Begrenzung der Emissionen auf 75 Prozent akzeptieren, und nur 25 Prozent der Zertifikate sollen verkauft werden. Damit ist zu erwarten, dass der Emissionshandel im Luftverkehr zu einem ähnlich stumpfen Instrument werden wird wie sein Gegenstück in der europäischen Industrie, das bisher lediglich zur zusätzlichen Bereicherung der großen Kraftwerksbetreiber geführt hat.

Werner Reh, Verkehrsexperte des BUND, meint dazu: „Bisher hat noch jede Bundesregierung der Mut verlassen, wenn der Verkehrssektor einen spürbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten sollte. Das erleben wir gerade beim Tempolimit in Deutschland und das gleiche spielt sich auch auf EU-Ebene ab, wenn der Sturmangriff der Luftfahrtindustrie die ursprünglich ambitionierten Klimaschutzziele von Kommission, Parlament und EU-Rat bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Auch bei den CO2-Grenzwerten für Autos kämpft Merkel in vorderster Front gegen ihre eigenen Klimaversprechen.“ Durch den Emissionshandel in der sich abzeichnenden Form verteuere sich ein Mittelstrecken-Flugticket lediglich um etwa vier Euro. Allein die bestehende Steuerfreiheit für Kerosin mache das gleiche Ticket rund 40 Euro billiger. Der BUND fordere deshalb auch die Aufhebung der Steuerfreiheit für Flugbenzin.

China-Bashing

Besonders in den USA ist es ein beliebtes Spiel: Blame China. Ob es um den Abbau von Arbeitsplätzen oder Klimaschutz geht, immer ist der Schuldige auf der anderen Seite des Pazifiks zu suchen. Zwar hat man eine der höchsten Pro-Kopf-CO2-Emissionen in der Welt (rund 20 Tonnen jährlich), aber das Kyoto-Protokoll kann nicht ratifiziert werden, weil China angeblich nicht mitmacht.

Das Wall Street Journal, normalerweise stets für ein bisschen China-Bashing gut, macht nun am Montag auf einen interessanten Aspekt der chinesischen Treibhausgasemissionen aufmerksam: Nahezu all iPods, die in den USA oder Westeuropa verkauft werden, kommen aus der Volksrepublik. Pro iPod würden 7,7 Kilogramm CO2 emittiert. Der Wert ist vor allem deshalb so hoch, weil in China rund 80 Prozent des elektrischen Stroms aus Kohlekraftwerken kommt. Etwa 23 Prozent aller chinesischen Emissionen, zitiert die US-amerikanische Zeitung das angesehene britische Tyndall Centre for Climate Change Research würden für die Produktion von Exportgütern entstehen.

China hat sich in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten Exportnationen gemausert und wird vermutlich demnächst Deutschland einholen. Von November 2006 bis Oktober 2007 betrug der Handelsbilanzüberschuss 255 Milliarden US-Dollar berichtet ebenfalls am Montag die Hongkonger South China Morning Post (uum Vergleich: Der deutsche Handelsbilanzüberschuss betrug im ersten Halbjahr 2007 115,5 Milliarden Euro, also 168,63 Milliarden US-Dollar zum aktuellen Kurs).

Die chinesischen Exporte nehen derzeit mit über 20 Prozent pro Jahr zu, doch für das kommende Jahr wird mit einer gewissen Verlangsamung des Tempos gerechnet, weil die Regierung eine Anzahl von Anreizen für die Exportindustrie abbaut, und zwar insbesondere in den energieintensiven Bereichen mit geringer Wertschöpfung. Diese Maßnahmen sind zugleich Teil der Umweltpolitik, die auf erhöhte Energieeffizienz der Volkswirtschaft setzt, die Industrie in Richtung höherwertige Produkte drängen soll und den Beschwerden europäischer und nordamerikanischer ein wenig entgegen kommt, die sich über den hohen chinesischen Handelsbilanzüberschuss beklagen.

Wie dem auch sei, auch ohne dass man den Spieß umdreht und mit dem Finger auf die Konsumenten in den Industriestaaten zeigt, sind die Emissionen in China noch immer vergleichsweise gering. Im Land der Mitte wurden 2006 knapp fünf Tonnen CO2 pro Kopf der Bevölkerung emittiert. Hierzulande sind es hingegen zehn Tonnen und bei den Kyoto-Verweigerern USA und Australien noch wesentlich mehr. Zudem hat China sein jetziges Emissionsniveau erst in den letzten Jahren erreicht, während die Industriestaaten bereits seit vielen Jahren im großen Umfang Treibhausgase in die Luft blasen und dadurch für den bisherigen Anstieg der CO2-Konzentrationen von 280 Millionstel Volumenanteilen (ppm) auf inzwischen etwas über 380 ppm verantwortlich sind.

Von Konferenz zu Konferenz

Man kann leicht den Überblick verlieren, bei all den internationalen Klimakonferenzen: Im spanischen Valencia treffen sich derzeit mal wieder die Spitzen des IPCC, der in der hiesigen Presse meist als UN-Klimarat firmiert und dessen Aufgabe es ist, für die Regierungen in aller Welt und als Grundlage des UN-Verhandlungsprozesses über Klimaschutzabkommen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenfassen. Wenn also Ende der Woche die Verlautbarungen aus dem Land der Orangen – im Süden der spanischen Küstenstadt breiten sich wunderschöne, endlose Orangenplantagen aus – von der hiesigen Presse mal wieder als neueste Nachrichten verkauft werden, dann wird das in doppelter Hinsicht falsch sein. Zum einen wird der in Valencia erarbeitete Synthesebericht, wie der Name schon vermuten lässt, nichts anderes als die Zusammenfassung der drei bereits in der ersten Jahreshälfte veröffentlichten Berichte sein (siehe: Kein Weckruf, sondern eine gellende Sirene; Die Armen trifft es zuerst; Klimaschutz ist machbar).

Zum anderen werden, das liegt in der Natur des editorischen Prozesses der mehrere tausend Seiten umfassenden Berichte, nur wissenschaftliche Arbeiten berücksichtigt, die bis zum Herbst 2006 veröffentlicht wurden. Die Nachrichtenagentur Agence France Press verleitete das zu der wohl rhetorisch gemeinten Frage, ob der Synthesebericht vielleicht schon bei Erscheinen veraltet sein könnte. Damit mögen die Franzosen recht haben, doch leider müssen alle Freunde der großen Klima-Verschwörung an dieser Stelle schon wieder enttäuscht werden: Auch im vergangenen Jahr ist kein einziger Fachartikel veröffentlicht worden, der eine Entwarnung zuließe. Alle Sonnenfleckentheorien und ähnliches sind längst in den rechten Zusammenhang gestellt. Auch die immer noch gerne zitierten Satellitenmessungen, die bis Anfang der 1990er keine Erwärmung der höheren Luftschichten gezeigt hatten, sind längst als Messfehler identifiziert.

Zu optimistisch?

Im Gegenteil möchte man auf die Frage nach Entwarnung sagen. Während der IPCC-Bericht noch von einem vergleichsweise moderaten Rückzug des arktischen Eises ausgeht, scheint sich hoch im Norden ein drastischer Wandel anzubahnen. Dort schließt sich inzwischen der arktische Ozean langsam, wie man hier sehen kann. Doch noch immer ist die Eisbedeckung weit hinter dem jahreszeitlichen Mittel zurück. Ende Oktober hatte die Abweichung fast drei Millionen Quadratkilometer betragen, was einen neuen historischen Rekord bedeutete, inzwischen ist das Minus auf etwas mehr als eine Million geschrumpft.

Die Internetseite Cryosphere Today, die von der Polar Research Group der University of Illinos at Uraban-Champaign unterhalten wird, zeigt eine detaillierte Grafik einer hochauflösenden Zeitreihe der Anomalie der Eisbedeckung, das heißt, der Abweichung vom jeweiligen Mittelwert der Jahre 1978 bis 2000. Die Abbildung findet sich hier (sie ist leider viel zu lang, als dass sie in diesem Artikel wiedergegeben werden könnte). An der Grafik lässt sich sehr gut ablesen, dass es in diesem Sommer einen regelrechten Sprung nach unten gegeben hat, wie er an keiner anderen Stelle der fast 30 Jahre langen Aufzeichnungen zu sehen ist.

Dieses Verhalten entspricht den Erwartungen der Klimaforscher an ein nichtlineares System. Vor einem knappen Jahr hatten US-Wissenschaftler auf der Herbsttagung der American Geophysical Union Berechnungen vorgestellt, wonach die Arktis schon im Sommer 2040 weitgehend eisfrei sein könnte. Vor allem haben die Simulationen mit verschiedenen Modellen gezeigt, dass der Vorgang des Eisrückganges kein linearer ist, sondern sich in mehreren Sprüngen vollziehen wird. Im Wesentlichen ist das ein Ergebnis der positiven Rückkopplung zwischen offenem Wasser und sommerlicher Sonneneinstrahlung: Je mehr Wasser vom Eis freigegeben wird, desto stärker kann sich der Ozean erwärmen und folglich im nachfolgenden Herbst die Eisbildung verzögern. Besonders wenn große Flächen des Eises so dünn sind, dass sie in nur einem Sommer schmelzen können, wie es in diesem Jahr erstmalig der Fall war, kann sich dieser Prozess erheblich beschleunigen und weiter hochschaukeln. Man darf also schon auf den nächsten Sommer gespannt sein. Vielleicht erweisen sich die Prognosen für 2040 nicht als zu pessimistisch, wie vor einem Jahr noch mancher meinte, sondern als zu optimistisch.