Merkel lässt Genehmigung der Brexit-Terminverschiebung andeuten
Vor dem morgigen EU-Sondergipfel besucht die britische Premierministerin Theresa May die deutsche Kanzlerin und den französischen Staatspräsidenten
Theoretisch ist die EU ein Gebilde, in dem 28 Mitgliedsstaaten gleichberechtigt Entscheidungen finden. Praktisch geben derzeit aber Berlin und Paris den Ton an. Das macht die britische Premierministerin Theresa May heute indirekt deutlich, indem sie vor dem EU-Sondergipfel, der morgen in Brüssel stattfindet, heute Mittag die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte und am Nachmittag zum französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron weiterflog.
Merkel hatte ihren Pressesprecher Steffen Seibert noch vor dem Treffen mitteilen lassen, bislang hätten die 27 anderen EU-Mitgliedsländer in Sachen Brexit immer einstimmig gehandelt und die Bundesregierung werde "das Ihrige dazu beitragen, dass dies auch am Mittwoch der Fall sein wird". Das deutet darauf hin, dass sie beim morgigen EU-Sondergipfel für die Genehmigung der von May beantragten Verschiebung des Austrittstermins auf den 30. Juni stimmen wird.
Eine Überraschung wäre das nicht: Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar hatte bereits vorher verlautbart, er halte es für "extrem unwahrscheinlich", dass "ein Land ein Veto gegen einen Aufschub einlegt und uns als Konsequenz in Not bringt". Ähnlich hatte sich auch EU-Ratspräsident Donald Tusk geäußert.
Wird der Deal noch einmal aufgeschnürt?
Etwas gespannter als die zwischen May und Merkel könnten die Gespräche zwischen der britischen Premierministerin und dem französischen Staatspräsidenten verlaufen: Dem hatte der Brexiteers-Sprecher Jacob Rees-Mogg angedroht, Vorhaben wie eine gemeinsame europäische Armee zu blockieren, wenn Großbritannien auch nach dem 12. April weiter in der EU verbleiben sollte. Auf diese Weise könne man den Franzosen vielleicht dazu bewegen, doch noch Zugeständnisse im Ausstiegsdeal zu machen.
Infrage käme hier vor allem die Änderung, dass die in Artikel 178 der Austrittsvereinbarung vorgesehene Schiedsstelle das Vereinigte Königreich nicht erst dann von einem Backstop-Verbleib in einer Zollunion mit der EU entbindet, wenn sie den Eindruck hat, dass die EU-Vertreter nicht wirklich an einer langfristigen Lösung arbeiten, sondern bereits dann, wenn sie meint, dass dabei nichts mehr herauskommt (vgl. "It's all Spin and no Substance").
Was will Corbyn?
Kurz vor Mays Abreise nach Berlin hatte Oppositionsführer Jeremy Corbyn ihre Position etwas geschwächt, indem er öffentlich verkündete, die Premierministerin habe sich in den bisherigen Verhandlungen mit ihm kaum bewegt und er wisse nicht, ob er sich mit ihr auf einen Kompromiss einigen könne. Möglicherweise ist ein Ausstieg Großbritanniens zu WTO-Konditionen nicht das schlimmste Szenario, das sich Corbyn vorstellen kann.
Eine Zollunion, die der Labour-Chef fordert, könnte er auch danach eingehen - wenn er Premierminister wird. Wie geduldig er in solchen Fragen sein kann, bewies Corbyn während der Neunziger- und Nullerjahre, als er sich trotz eines unter anderem von Spitting Image aufgegriffenen Mobbings der Blairisten nicht aus der Labour-Partei drängen ließ und stattdessen abwartete, bis sich die Chance auf den Vorsitz bot.
Corbyn wäre es möglicherweise gar nicht so unrecht, wenn morgen eines der EU-Länder ein Veto gegen eine Verschiebung des Austrittstermins einlegen würde: In diesem Fall stünde May nämlich unter Druck, die Austrittserklärung aus der EU vorerst ganz zurückzuziehen. Das würde wahrscheinlich dazu führen, dass sich noch mehr Wähler als bisher von den Tories ab- und Nigel Farages Brexit Party oder der UKIP zuwenden. Im britischen First-Past-the-Post-Mehrheitswahlrecht könnte das die Chancen der Labour Party auf eine Mandatsmehrheit im Unterhaus beträchtlich erhöhen.
House of Lords genehmigt Terminänderungsrecht des Parlaments
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Brüssel weitere Terminverschiebungen genehmigt und dass May den Abgeordneten im Unterhaus weiter mit einer Austrittsrücknahme durch ihren Nachfolger drohen kann, wenn sie ihrem Deal nicht bald zustimmen. "Je länger es dauert", warnte sie am Samstag, "desto größer ist das Risiko, dass Großbritannien nie austritt".
Das House of Lords schränkte Mays Möglichkeiten, Druck auf Abgeordnete auszuüben, gestern allerdings etwas ein: Es genehmigte eine Vorlage des Unterhauses, die es dem Parlament erlaubt, das Datum und die Begründung in einem Austrittsterminverschiebungsantrag der Regierung zu ändern. Darüber, ob es tatsächlich etwas am von Theresa May beantragten 30. Juni ändern möchte, will das Unterhaus heute Abend debattieren.
Legt May dem Unterhaus ihren vor dem 23. Mai erneut vor, muss sie die dazugehörige Zusatzerklärung "substanziell" ändern, um nicht gegen ein Verbot von 1604 zu verstoßen. EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat bereits durchblicken lassen, dass Brüssel die Zustimmung dazu sehr schnell erteilen könnte. Vor allem dann, wenn es um die von Labour geforderte Zollunion geht. Stimmt das Unterhaus bis zum 23. Mai nicht zu (und kommt es nicht auf andere Weise zu einem Austritt), dann muss das Vereinigte Königreich an diesem Tag an den Europawahlen teilnehmen (vgl. May trifft Vorbereitungen zur Teilnahme des Vereinigten Königreichs an der Europawahl).
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