Messerattacke in Würzburg: Spurensuche nach einer "unfassbar brutalen Tat"

Schock, Leid, Erklärungsnot, Hilflosigkeit und Versuche, den mörderischen Angriff auf Kaufhausbesucherinnen und Passanten politisch einzuordnen

Schock, Leid, Erklärungsnot, Hilflosigkeit und Versuche, die mörderische Tat politisch einzuordnen, kennzeichnen die Situation nach der mörderischen Messerattacke vom Freitagnachmittag in Würzburg.

Der "mutmaßliche", weil gerichtlich als solcher noch nicht bestätigte und verurteilte, Täter wurde am Samstag einem Ermittlungsrichter vorgeführt, gegen ihn wurde ein Haftbefehl wegen Mordes in drei Fällen, wegen versuchten Mordes in sechs weiteren Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in einem Fall erlassen.

Mittlerweile hat die Generalstaatsanwaltschaft in München die Ermittlungen übernommen. Diese laufen, so die SZ, auf Hochtouren.

Die Beamten waren am Samstag auch in der Obdachlosenunterkunft unterwegs, wo der 24-Jährige zuletzt lebte. Sie stellten ein Handy sicher und wollen nun die Daten auswerten. Das gestaltet sich aber schwierig, weil dafür ein Dolmetscher nötig ist. Auch Schriftmaterial wurde sichergestellt. Ob sich darauf wirklich Hassbotschaften befänden, sei nach wie vor nicht klar, hieß es auf der Pressekonferenz. Zudem wurden zahlreiche Zeugen befragt.

SZ

Laut Innenminister Seehofer (CSU), der sich "von dieser unfassbar brutalen Tat tief erschüttert" zeigte, sei eine abschließende Bewertung des Tatmotivs noch immer nicht möglich. Der Mann, ein 24-jähriger Somalier, der seit Mai 2015 in Deutschland lebt, unter "subsidiären Schutz im Rahmen eines Asylverfahrens, also legal" habe zuvor schon "einige Verhaltensauffälligkeiten" gezeigt, bei dem er mit einem Messer agiert hat. Er war deswegen auch kurz in psychiatrischer Behandlung.

Die Ermittler schließen nicht aus, dass der 24-Jährige unter einer psychischen Krankheit leidet und diese Hintergrund der Tat ist:

Unklar sei, inwiefern die Psyche des 24 Jahre alten Somaliers eine Rolle gespielt habe und inwiefern islamistische Einstellungen zur Tat beigetragen hätten, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Samstag in Würzburg. Die Beamten gingen weiter davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelt. Der Somalier wurde nach dem Verbrechen, das sich in einem Kaufhaus, einer Bank und auf der Straße abgespielt hatte, von der Polizei angeschossen und festgenommen.

dpa

"Hinweise auf radikale Gesinnung und auf psychische Probleme des Täters schließen sich auch nicht gegenseitig aus", wird der bayerische Innenminister Herrmann an anderer Stelle zitiert.

Es gibt Hinweise darauf, dass sich der Hauptverdächtige mit Material dschihadistischer Herkunft, vom IS, beschäftigt hat.

Als Fakten stehen derzeit fest, dass den äußerst brutalen Attacken des Mannes bis auf wenige Ausnahmen überwiegend Frauen zum Opfer fielen, dass es nicht zuletzt dem Eingreifen couragierter Zivilisten zu verdanken ist, dass es der Mann mit ruhig agierenden Polizisten zu tun hatte, die ihn mit einem Schuss in den Oberschenkel "außer Gefecht" setzten. In Frankreich agieren die Polizisten, aus schlimmen Erfahrungen heraus, anders, nicht selten tödlich mit einer ganzen Salve an Schüssen.

In Frankreich gibt es schon länger eine Debatte darüber, dass Terrorakte mit einem neuen Charakteristikum aufgetaucht sind: Sie werden nicht mehr von langer Hand durch bekannte Terrororganisationen geplant, sondern geschehen öfter spontan. Ausgeübt von Fanatikern, bei denen die Trennung zwischen Geistesverwirrung und Dschihad-Ideologie nicht klar und einfach zu ziehen ist, weil sie fließend ist.

Einer der bekanntesten französischen Dschihad-Experten, Wassim Nasr, machte diese Tage darauf aufmerksam, dass es Deutschland aktuell mit Problemen zu tun bekommt, mit denen man im Nachbarland schon länger konfrontiert ist: ein Anschlag mit der Handschrift al-Qaidas auf deutsche Soldaten in Mali (vgl. Verletzte in Mali - wofür?) und die Attacke eines Fanatikers, der im Auftrag eines "persönlichen Dschihads" Unschuldige ermordet und offenbar IS-Material zu Hause hat.

Aus Frankreich, genauer aus dem Prozess zum Attentat auf Charlie Hebdo im Januar 2015, konnte man auch erfahren, wie unglaublich stark und tief sich die traumatische Erfahrung einer solchen mörderischen Gewalt bei Überlebenden, Angehörigen und Passanten festgesetzt hat. Allesamt Unschuldige. Sie waren "zur falschen Zeit am falschen Ort", wie es dann aus Hilflosigkeit heißt. Auch diejenigen, die die Gewalttat aus der Nähe mitbekommen, tragen meist lange Leiden davon.

Rezepte gegen solche fanatischen Gewaltausbrüche gibt es so wenig wie Patentlösungen zum Schutz davor. Die Ratlosigkeit der Kommentatoren zeigt sich an solchen Sätzen:

Würzburg und zahlreiche andere "Vorfälle" sind dafür die Zeichen, auf die Deutschland keine Antwort findet. Die bestünde im Abschied von Illusionen. Da der Vorwurf des Ressentiments schnell bei der Hand ist, vermeiden deutsche Politiker das Thema und überlassen es fatalerweise der AfD. Auch jetzt werden wieder Gefühle geschürt, die Radikalismus mit Radikalismus beantworten wollen.

Es ist zu befürchten, dass es wieder einmal dabei bleibt, diesen Weg aus gutem Grund zu verurteilen, ohne einen anderen zu weisen. Der müsste dafür sorgen, dass nicht nur extremistische Inländer durch ein breites politisches und gesellschaftliches Bündnis in ihre Schranken gewiesen werden, sondern auch "verrückte" Ausländer.

Faz