Migration aus Libyen: Italien erwägt Hafenverbot für NGO-Schiffe

Seite 2: Das "Fließband" der Schlepper

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Das Problem ist "einfach kompliziert". Die Migration, für die Libyen gegenwärtig ein zentraler Ausgangspunkt für die Fahrt nach Europa ist, ist nicht in den Griff zu bekommen, weil es in Libyen keine Institution gibt, mit der man gegen das "Fließband" zusammenarbeiten könnte. Italien hat über Vereinbarungen mit Stämmen versucht, die Südgrenze Libyens zu kontrollieren. Das hat offensichtlich nicht geklappt. Ebenso wenig die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache. Die Antwort ist einfach.

Die Netzwerke, die an der Migration verdienen, versprechen bisher noch immer größere Vorteile für die Beteiligten als andere Lösungen. Das ist nicht nur eine Geldfrage. Man kann getrost die Behauptung aufstellen, dass die Migration aus hauptsächlich afrikanischen Ländern - vornehmlich aus Guinea, Nigeria, Bangladesch, der Elfenbeinküste, aus Gambia und dem Senegal, nun weniger aus Syrien - , auch dann weitergehen wird, wenn den NGOs das Anlegen an italienischen Häfen verboten wird.

Das "Fließband" der Schleuser (vgl. dazu "The Human Conveyor Belt" von Mark Micallef wird weiterlaufen, weil Pull-und Pushfaktoren für die Auswanderung nach Europa mächtiger sind als solche Hürden.

Eine Herausforderung für dieses System aus ultraflexiblen Netzwerken mit organisatorisch gewieften verbrecherischen Elementen von Italien bis in die afrikanischen Länder hinein wäre es, wenn die Migranten in Libyen um Asyl- oder Aufenthaltsrechte in Europa ersuchen könnten und Europa eine kontrollierte Aufnahmebereitschaft für Kontingente unter klar definierten Bedingungen zeigt.

Doch sind solche Lösungen weit entfernt, weil Libyen ein anarchisches Chaos ist und dies ändert sich nach Lage der Dinge so schnell nicht. Bislang sind alle möglichen Gruppierungen in Libyen vom IS bis hin zur Küstenwache irgendwie in das System verstrickt oder wollen es sein, das die Reise nach Europa zum Geschäfts- Ausbeutungs- oder zum Überlebensmodell hat.

Die Überforderungsdebatte

In der Überforderungsdebatte in Italien versuchen Staatsanwälte, Politiker und Medien die Seenotretter- NGOs nun zum Sündenbock zu machen. Die Vorwürfe, die auch hierzulande von politisch an solchen verzerrten Zooms interessierten Seiten aufgenommen werden, reichen von offener Geschäftemacherei der NGOs bis zu Vorwürfen von Absprachen zwischen Schleusern und Seenot-Rettungschiffen, wie sie auch Frontex macht. Nachprüfbare Nachweise werden dafür nicht geliefert.

Dafür kann man im Netz auf YouTube, in sozialen Netzwerken und auf Webseiten genügend Material besehen, die etwa anhand von Zeitvergleichen zwischen Ablegen eines Flüchtlingsbootes und der Aufnahme von Flüchtlingen durch ein NGO- SAR-Schiff "Auffälligkeiten" feststellen. Die gibt es wahrscheinlich auch, aber: Wie sollen NGOs reagieren, wenn sie einen Anruf bekommen, dass hundert oder mehr Migranten auf dafür ungeeignete Booten ins Mittelmeer gestartet sind? Den Anruf ignorieren?

Um sie in libyschen Hoheitsgewässern abzufangen und sie nach Libyen zurückzubringen, braucht es die Mitarbeit der libyschen Stellen ….

"Heile Welt"- Suche nach einem Sündenbock

Ein italienischer Staatsanwalt will den Vorwürfen gegen die NGOs nachgehen und die Sache für Gericht bringen. Das ist politisch motiviert, aber ein Gericht ist für einen Rechtsstaat die richtige Adresse. Auch Politiker, die keine Populisten sind, stellen sich hinter diese Forderungen.

Auch in Deutschland wird gegen die Seenotretter von "Mission Lifline" aus Dresden ermittelt. Deren Vertreter reagierten empört, wie der Tagesspiegel berichtete Die Vorwürfe seien "absurd" und "an den Haaren herbeigezogen.

Statt uns zu verfolgen, sollten sich auch die Bediensteten der Justiz für die Menschen einsetzen, die in Seenot geraten. Wir befürchten, dass letztlich versucht werden soll, die Spendenbereitschaft für unsere Mission zu beeinträchtigen.

Axel Steier, Vorsitzender "Mission Lifeline"

Anzunehmen, dass die Präsenz von NGO-Schiffen im Mittelmeer keine Rolle bei der Organisation und Durchführung von Migranten-Überquerungen spielt, wäre allerdings naiv, wenn man sich vor Augen hält, wie die damit zusammenhängenden Geschäftspraktiken des "Fließbandes" funktionieren, die sehr wohl Opportunitäten auf den Wegstrecken beachten.

Daraus aber eine ursächliche, monokausale Verantwortung im Sinne von "die Seenotretter sind ein entscheidender Pullfaktor" zu folgern, ist ein Kurzschluss aus Überforderung und der "Heile Welt"-Suche" nach einem Sündenbock.