Milliarden-Risiken: Warnungen vor Problemen in Lieferketten bleiben bei Unternehmen ungehört

Zahnrad mit Bremsbacken

Lieferkettenprobleme kosten Milliarden. Experten warnen, Unternehmen zögern bei der Umgestaltung. Laut einer Studie fehlen langfristige Strategien der Manager.

Seiner Wut über die vermeintliche Schwäche der Wirtschaft hierzulande lies er freien Lauf. "Wir sind zum Ramschladen geworden", beklagt der Chef der Deutschen Börse, Theodor Weimer, laut Spiegel.

So schlecht wie jetzt war unser Ansehen in der Welt noch nie. Noch nie.

Theodor Weimer

Investoren würden in Gesprächen mit ihm nur noch den Kopf schütteln. "Wir sind ökonomisch gesprochen auf dem Weg zum Entwicklungsland." Für Medienberichte sorgte Weimers Enttäuschung über Bundeswirtschaftsminister Habeck: "Es ist eine schiere Katastrophe".

Fehlplanungen von Unternehmen im großen Stil finden in der Berichterstattung weniger Berücksichtigung. Dies zeigt sich am Beispiel von Lieferketten, die heute oft über die Grenzen verschiedener Länder hinweg organisiert werden.

Die Lieferengpässe infolge der Corona-Pandemie haben dazu beigetragen, dass sich öffentliche Diskussionen über Wertschöpfungsketten verändert haben. "Lieferengpässe bei Medikamenten erreichen neuen Höchstwert", meldet etwa der Bayerische Rundfunk im Januar 2024.

Die Hans-Böckler-Stiftung weist auf Erfahrungen der letzten Jahre hin:

Die Pandemie hat auf drastische Weise gezeigt, wie verwundbar die Weltwirtschaft durch ihre Einbindung in globale Produktionsnetzwerke ist. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass unterbrochene Transport- und Lieferketten am anderen Ende der Welt innerhalb kürzester Zeit zu einem Produktionsstillstand hierzulande führen würden.

Sabine Stephan, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung

Warnungen vor Problemen bei Lieferungen von Waren und Vorprodukten

Der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt deshalb. Mit dem DIHK-Papier "Diversifizierung von Lieferketten" werden die Risiken beschrieben.

Vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen und vermehrt auftretender Störungen in den internationalen Lieferketten werden robustere und flexiblere Abläufe dringlicher denn je.

DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier

Unternehmen seien von bestimmten Schlüsselproduktionen abhängig.

Hier müssen wir uns mit unterschiedlichen Beschaffungsquellen und Absatzmärkten breiter aufstellen als bisher. Die Risiken müssen besser gestreut werden.

Volker Treier

Auch der Software-Riese SAP empfiehlt seinen Kunden Gegenmaßnahmen und will resiliente Lieferketten technisch unterstützen:

Resilienz der Lieferkette ist die Fähigkeit, durch flexible Notfallplanung und Prognosen schnell auf Betriebsstörungen zu reagieren – von der Bezugsquellenfindung über die Logistik bis hin zur endgültigen Lieferung von Produkten und Dienstleistungen.

Lieferkettenprobleme werden von Unternehmen größtenteils ausgesessen

Geändert hat sich aber wenig, wie eine aktuelle Veröffentlichung zeigt: Die Studie basiert auf einer Befragung von mehr als 1.000 Managern in Industrieunternehmen und wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Dabei wurde aufgrund aktueller Erfahrungen abgefragt, wieviele Bereiche die Unternehmen wieder durch "Insourcing" an den Standort zurückverlagert haben.

Das Ergebnis: 28 Prozent der befragten Unternehmen haben eine oder mehrere Leistungen eingegliedert, während dagegen 33 Prozent Leistungen ausgegliedert haben. In 13 Prozent der Unternehmen war beides der Fall. Die Wiedereingliederung fand am häufigsten in mittelgroßen Unternehmen mit 50 bis 199 Beschäftigten statt.

"Wir wussten aus der Forschung viel über Outsourcing", erklärt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung, "aber wir wussten fast nichts über Insourcing." Das zentrale Motiv für Insourcing ist für die befragten Manager die "Erhöhung der Flexibilität", die rund 77 Prozent als wichtig oder sehr wichtig einstufen. Dahinter folgt mit 70 Prozent die "Verbesserung der Arbeitsabläufe".

Damit unterschieden sich die Hauptmotive kaum von denen, die in der Regel beim Outsourcing genannt werden, erklären die untersuchenden Wissenschaftler Sandra Jaworeck, Markus Hertwig und Carsten Wirth. Die Begründungen der Unternehmen seien häufig von einer "gewissen Beliebigkeit" geprägt, betont das Forscherteam.

Eines zeigt die Untersuchung deutlich: Die Rückverlagerung von Produktionsschritten, die zuvor ins Ausland verlagert wurden, sei "eher ein Mythos als ein belastbares Phänomen", so Christina Schildmann. Das sei überraschend angesichts der Diskussionen über resilientere Lieferketten.

Bundesregierung versucht technische Unterstützung einzuführen

Das Fehlen langfristiger Strategien vieler Manager, die sich in erster Linie an Quartalsberichten orientieren, zeigt sich auch beim Datenmanagement moderner Techniksysteme. Bereits in den ersten Überlegungen zu Industrie 4.0-Konzepten spielte der gemeinsame Datenraum eine große Rolle: Daten zu Prozessen, die sich in vielen Betrieben wiederholen, sollten gemeinsam dokumentiert und allen beteiligten Firmen zur Verfügung gestellt werden.

Wichtige Zahlen können sich ergeben aus Logistikprozessen und aus den Lieferketten. Die Sorge von Managern, hier Betriebsgeheimnisse bekannt zu geben, ist groß – so verhinderte der Betriebsegoismus zum Start erster 4.0-Ideen übergreifende Projekte.

"Manufacturing-X" ist eine aktuelle Initiative für einen übergreifenden Datenraum. "Mit Manufacturing-X haben Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eine gemeinsame Initiative gestartet. Unternehmen sollen Daten über die gesamte Fertigungs- und Lieferkette souverän und gemeinsam nutzen können", meldet die Bundesregierung, die diese Initiative finanziell fördert.

Es ist ein erneuter Versuch der Regierung, Daten-Sharing unternehmensübergreifend zu gestalten – denn die bisherigen Angebote wurden von Unternehmen kaum genutzt.