Steigende Kosten und Engpässe: Schwachstellen der globalisierten Pharma-Lieferketten
Steigende Gesundheitskosten und ausgelagerte Medikamenten-Lieferketten führen zu neuen Risiken. Was passiert, wenn Medikamente nicht mehr lieferbar sind?
Die Kosten im Gesundheitswesen steigen ständig, nicht zuletzt durch steigende Personalkosten. Dem Kostendruck konnte unter anderem durch die Versorgung mit Generika Einhalt geboten werden. Die gesetzlichen Krankenkassen konnten Rabattverträge aushandeln, deren Konditionen nicht veröffentlicht wurden – was aber dazu führte, dass die Beschaffungskosten sogar gesenkt werden konnten.
Preisreduzierungen sichern die Versorgung mit Medikamenten nicht auf Dauer
Nachdem über viele Jahre das Hauptaugenmerk auf der Kostenreduktion gelegen hatte, weil man so den Anstieg der Kosten und damit der Versicherungsbeiträge abfedern wollte, sind inzwischen die Lieferketten ins Blickfeld gerückt. Denn niedrige Kosten helfen nicht, wenn Medikamente nicht lieferbar sind.
Seit die Lieferketten für Medikamente und Medikamentengrundstoffe verstärkt ins Ausland verlagert wurden, wird die Verfolgung der Lieferketten im Ausland immer wichtiger. Telepolis hat aktuell beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), einer selbstständigen Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zum Umgang mit den Lieferketten nachgefragt.
▶ Müssen Hersteller ihre Quellen anmelden?
BfArM: Ja, die Angabe der vorgesehenen Hersteller ist Bestandteil der Zulassungsdokumentation, die Hersteller müssen GMP-konform sein.
▶ Können Quellen abgelehnt werden, beispielsweise wegen Klumpenrisiko?
BfArM: Ja, z. B. wenn über den Hersteller die Qualität nicht sichergestellt werden kann oder die Spezifikationsgrenzen nicht eingehalten werden können.
▶ Müssen die Hersteller Änderungen der Produktionsverfahren melden?
BfArM: Ja, alle Änderungen müssen in die Zulassungsdokumentation einfließen. Da die Herstellungsverfahren oftmals Geschäftsgeheimnisse z. B. des Wirkstoffherstellers darstellen, gibt es hierfür in der EU abgestimmte Verfahren, z. B. über ein Zertifikatssystem bei der EDQM oder national über sogenannte ASMF (active substance master file)
▶ Was geschieht, wenn ein Hersteller Engpässe nicht selbst meldet?
BfArM: Sofern das Arzneimittel der Selbstverpflichtung zur Meldung unterliegt, wird in solchen Fällen der Unternehmer aufgefordert, die Meldung nachzuholen.
▶ Ist ein Lieferkettenmonitoring geplant?
BfArM: Es ist vom BfArM geplant, Schwachstellen in Lieferketten zu identifizieren und diese in das im Aufbau befindliche Frühwarnsystem für Lieferengpässe zu integrieren. Ein Lieferkettenmonitoring für jedes Arzneimittel ist derzeit nicht vorgesehen.
▶ Wird das Thema Umweltverschmutzung in der Lieferkette beobachtet?
BfArM: Im Rahmen seines gesetzlichen Aufgabenzuschnitts überprüft das BfArM bei der Zulassung die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität des Arzneimittels.
Anmerkungen von Telepolis
Unter GMP-konform versteht man, dass die Produkte der "Good Manufacturing Practice" entsprechen. Sinn und Zweck dabei ist es, dass diese Produkte in einer zuvor definierten Qualität hergestellt werden, welche die Endverbrauchenden schützen. EDQM ist das European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare, das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln.
Umweltverschmutzung in der Lieferkette
Während die Behörden der Volksrepublik China inzwischen zahlreiche pharmazeutischen Fertigungsbetriebe, welche die geltenden Umweltvorschriften nicht einhielten, geschlossen haben, gibt es in Indien bis heute noch Hersteller, die ihr Abwasser direkt und ungeklärt in den Vorfluter abgeben.
Da inzwischen auch die EU den Blick auf die Lieferketten verstärkt, obwohl hier die deutsche FDP sich als aktiver Bremser zeigt, wurde das Umweltrisiko im Rahmen der kostenoptimierten pharmazeutischen Lieferketten jetzt auch ein Thema für das Umweltbundesamt.
Die dokumentierten Umweltbeeinträchtigungen entlang der pharmazeutischen Lieferketten betreffen sowohl zahlreiche EU-Mitglieder als auch Russland, noch deutlich vor China. Und da Pharmaprodukte von den Sanktionen gegen Russland ausgenommen sind, dürfte sich der Russlandhandel mit Pharmaprodukten in den vergangenen Monaten eher noch gesteigert haben.
Die Analyse der negativen ökologischen Auswirkungen weist eine hohe Bedeutung von Treibhausgasemissionen bei den pharmazeutischen Vorsektoren aus. Insbesondere fallen dort die Gewinnung von fossilen Energieträgern und deren Aufbereitung für die weitere energetische oder stoffliche Nutzung, die Emissionen bei der Verbrennung fossiler Energieträger sowie prozessbezogene Treibhausgasemissionen der pharmazeutisch-chemischen Industrie selbst auf.
Gravierend ist vielfach der Verbrauch von sogenanntem blauem Wasser. Darunter versteht man den Verbrauch von Süßwasser aus Gewässern und dem Grundwasser, welches nicht wieder zurückgeführt wird, da es entweder in einem Produkt eingeschlossen wird oder im Zuge der Herstellung desselben verdampft.
Der größte Wasserverbrauch entfiel zwar auf die pharmazeutische Vorkette in Deutschland mit einem Anteil von 29 Prozent am Gesamtverbrauch von Wasser entlang der Wertschöpfungskette. Für China verzeichnet man ein Anteil von 15 Prozent am gesamten Wasserverbrauch in der Vorkette.
Zum Problem kann dies werden, weil in einigen Regionen des Landes hohe bis sehr hohe Wasserknappheitsrisiken bestehen. Dies gilt auch für Spanien und Indien, zwei Ländern mit zum Teil sehr hohen Wasserknappheitsrisiken in weiten Landesteilen.
Deutschland hat in der Vergangenheit offensichtlich nicht nur die Produktionskosten hierzulande reduziert, sondern auch die mit der pharmazeutischen Produktion verbundenen Umweltrisiken. Solange die Vorproduktelieferkette ohne stärkeres Stottern lief, war da kaum jemand aufgefallen.
Wenn die vom Westen gegen China verhängten Sanktionen zu chinesischen Gegenmaßnahmen führen sollten, kann Deutschland zum Glück immer noch auf die Pharmazie in der Bundeswehr hoffen.