Minen-Bienen und Rettungs-Ratten

Steuerbare biologische Systeme für das Pentagon

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Ferngesteuerte Ratten und abgerichtete Bienen: Diese Dressurakte in den USA brachten den Dompteuren unlängst hohe Medienaufmerksamkeit. Unbeachtet blieb dabei, dass beide Tierbändiger für denselben Zirkus arbeiten: das US-Verteidigungsministerium. Ratten und Bienen sind "Controlled Biological Systems". So nennt die Forschungsabteilung des Pentagon, die DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), das Programm. Sein Ziel: tierische und tierähnliche Soldaten. Deutsche Forschungsinstitutionen profitieren mit vom zoologischen Interesse des Pentagon.

Ein Transportlaster stoppt an einem Checkpoint der US-Armee irgendwo im Hinterland von - sagen wir - Afghanistan. Die Marines kontrollieren die Papiere des Fahrers. Unverdächtig. Da fällt einem der Soldaten auf, dass ein gutes Dutzend Bienen auf einem Kotflügel des Wagens gelandet ist. Die Tiere tänzeln nervös im Kreis. Und es fliegen immer mehr hinzu. Er gibt ein verabredetes Zeichen und zwei Ledernacken zerren den Fahrer rüde aus der Kabine. Eine Kontrolle findet kurz darauf tatsächlich gegen hundert Kilo TNT gut versteckt im Unterbau des Lasters. Das Minen-Bienenvolk im Stock hinter dem Wachthaus hat seine Aufgabe erfüllt. Die Tiere sind darauf trainiert, nach 2,4-Dinitrotoluol, also DNT, zu schnüffeln, einem Bestandteil von TNT und anderen Sprengstoffen.

Prototyp der mechanischen Wanze vom Labor für Roboter und Intelligente Maschinen

Das ist keine Science Fiction. Jerry Bromenshenk und seine Kollegen von der Universität in Missoula, Montana, haben ihre Bienen tatsächlich soweit. Sie gehören zu einem der 31 Projektteams, die zusammen das Programm Controlled Biological Systems ausmachen. Gut 25 Millionen Dollar hat die DARPA seit 1998 investiert, um zu Land, zu Wasser und in der Luft einzelne Tiere und ganze Insektenschwärme für ihre Zwecke zu rekrutieren. Bienen, Motten, Wespen, Käfer, Ratten, Skorpione, Hummer, Fische und Delphine: Sie alle kommen zum Einsatz als - oder geben das Vorbild für - so genannte Biosensoren.

Jedes der Tiere hat spezifische Eigenschaften, die das Pentagon sich zu Nutze machen, die es nachahmen will. Bienen verfügen über ein feineres Sensorium für Duftstoffe als Hunde. Also werden sie auf Sprengstoff abgerichtet. Seegurken können ihr Gewebe fließend in der Steifheit variieren: Das Vorbild für smartes Material. Der Bauplan des Hummers dient als Vorlage für einen Unterwasserroboter. Der künstliche Muskel besteht aus Flüssigkristall-Elastomeren, die sich in Laserlicht reversibel verkürzen.

Ratten huschen flinker und unauffälliger über Trümmer und Minenfelder als jeder Räumungsroboter. Nur steuern müsste man sie können. Also pflanzen Sanjiv Talwar und sein Team den Tieren Elektroden ins Hirn und binden ihnen Minikamera samt Senderempfänger auf den Rücken, und fertig ist der RatBot, der Bilder aus unzugänglichem Gelände liefert.

Nachbau eines Hummers vom Marine Science Center der Northeastern University

Der Öffentlichkeit präsentierte Talwar die Tiere als zivile Rettungsratten, einsetzbar in Trümmerfeldern. Der Koordinator der Bergungsarbeiten am Ground Zero meinte in der New York Times dazu, geschwächte Opfer würden wohl zu Tode erschrecken, wenn ihnen ein RatBot über den Bauch krabbelte. Die Folgeberichte über die ferngesteuerten Ratten, ausgelöst vom Artikel in Nature, vergaßen fast alle deren militärischen Ursprung, obwohl er im Wissenschaftsmagazin vermerkt ist, wenn auch beiläufig.

Ratten lassen sich fernsteuern, aber auch Insekten wie die Kakerlaken von Raphael Holzer am Institut für Mikrosysteme in Lausanne (siehe auch: Cyborg-Insekten). Auch das Verfolgen der Insekten beim Fliegen interessiert. Um die Bewegung von einzelnen Tieren oder ganzen Schwärmen über weite Strecken zu verfolgen, hat Tim Schaefer von der Filiale der Mayo-Stiftung in Rochester (eigentlich ein Zentrum für biomedizinische Forschung mit 18.000 Angestellten) einen salzkorngroßen Senderempfänger entwickelt: 1 Millimeter lang, 1/5 Millimeter dick und 10 Milligramm leicht. Er lässt sich problemlos einer Motte oder Biene auf den Rücken kleben. Damit ausgerüstet, erscheint das Insekt auf Schaefers Spezialradar. Je nach dem, worauf das Tier abgerichtet ist, verrät das Radar so die Lage entsprechender Chemikalien im Gelände. Chemische Kampfstoffe sind von besonderem Interesse. Wo der Radarschirm viele Punkte zeigt, haben die C-Bienen hinter den feindlichen Linien vielleicht ein Kampfstofflager erschnüffelt...

Ein pyrophiler Käfer, dessen "Technik" dazu dienen könnte, neue Infrarotempfänger zu entwickeln

Was die Ratten zu Lande, ist dem Pentagon der Delphin zu Wasser: Ein Vehikel, um Informationen zu sammeln an unzugänglichen, gefährlichen Orten. Die Navy setzt Flipper seit Ende der 50er Jahre. Als Minensucher und "Wachhund" gegen feindliche Taucher ist er bis heute im Dienst zusammen mit Seelöwen. Im Militärjargon sind das Marine Mammal Systems. Vielleicht gehen sie aber bald gemeinsam in Pension. Denn Patrick W. Moore vom Space and Naval Warfare Systems Center in San Diego ist dabei, den Delphin samt seinem Echolot nachzubauen.

Der Skorpion vom Fraunhofer Institut für Autonome Intelligente Systeme

Von Käfern und Skorpionen lernen, heißt siegen lernen für die deutschen Ableger des Programmes "Controlled Biological Systems". Frank Richter am Fraunhofer Institut für Autonome Intelligente Systeme konstruiert mit DARPA-Geldern mechanische Skorpione. Helmut Schmitz vom Institut für Zoologie der Uni Bonn studiert für das Pentagon noch bis 2004 Infrarotempfänger von pyrophilen Käfern, die - anders als die meisten Tiere - auf Waldbrände losfliegen, statt davor zu fliehen. Sie können Quellen von Wärmestrahlen, gleich ob Feuer oder Menschen, auf große Distanzen wahrnehmen. Schmitz will vom Aufbau der tierischen IR-Rezeptoren Ideen abkupfern für eine neue Generation von Nachtsichtgeräten.

Was in Zukunft unter Wanzen zu verstehen ist, das definiert Ronald S. Fearing neu. In seinem "Labor für Roboter und Intelligente Maschinen" entsteht ein 25 Millimeter großes mechanisches, flugfähiges Insekt. Die Flügel des Brummers schlagen solarstrombetrieben. Piezoelektrische Elemente liefern die Bewegungsenergie. Wenn es demnächst unter Ihrer Fliegenklatsche ungewohnt laut knirscht, dann war das vielleicht ein mechanischer Maikäfer aus Fearings Labor.

Das DARPA-Jahresbudget, derzeit 2 Milliarden Dollar, wächst jährlich um 15 Prozent. Da sind die 25 Millionen, die "Controlled Biological Systems" seit 1998 gekostet haben, ein Klacks. Dennoch hat das Geld ganz offensichtlich gereicht, um einige bizarre Tiernummern einzustudieren. Man darf gespannt sein auf die kommenden Vorstellungen im Zirkus DoD.