Mission impossible

Eine Lösung des Kosovo-Konflikts ist auch nach der Sitzung des UN-Sicherheitsrates nicht in Sicht

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Ergebnislos und mit „tiefen Spaltungen“ verlief am vergangenen Dienstagabend eine lange erwartete Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum umstrittenen künftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo. Statt einer Einigung, oder zumindest Annäherung, zeichnet sich eine Verschärfung der diplomatischen Fronten ab. Wie zu erwarten, bestehen die Kosovo-Albaner auf einen schnellen Weg zur Unabhängigkeit. Die serbische Regierung lehnt dies dagegen kategorisch ab. Brisant ist nun vor allem, dass Russland als Veto-Macht Serbien immer offener den Rücken stärkt. Wie es im Kosovo weiter geht, weiß derzeit niemand.

Martti Ahtisaari auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrates. Foto: UN Photo/Mark Garten

Wäre es nach UN-Vermittler Martti Ahtisaari gegangen, wäre die Sitzung des UN-Sicherheitsrates der erfolgreiche Abschluss eines monatelangen Verhandlungsmarathons geworden und in Pristina hätten die Sektkorken geknallt. Ahtisaari hatte den Diplomaten einen umfangreichen Plan zur Zukunft des Kosovos unterbreitet. Der ehemalige finnische Präsident fordert darin eine „überwachte Unabhängigkeit“ der Provinz. Wäre der Plan angenommen worden, hätte es nur noch eine Übergangszeit von 120 Tagen gedauert und die zwei Millionen Einwohner zählende bisherige serbische Provinz Kosovo wäre als neuer Staat mit Flagge, Verfassung und eigener Armee konstituiert worden. Die volle Souveränität Kosovos wäre lediglich durch einen vom UN-Sicherheitsrat und der Europäischen Union bestellten „Internationalen Zivilen Repräsentaten“ und einer internationalen Militärmission eingeschränkt worden.

Aber Freudenausbrüche blieben aus. Ahtisaari musste am Dienstag bereits die zweite schwere Niederlage in kurzer Folge einstecken. Zuerst war es ihm nicht gelungen, Serbiens Unterstützung für seine Zukunftsvorstellung zum Kosovo zu gewinnen. Die von Ahtisaari geleiteten Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina wurden bereits Anfang März ergebnislos eingestellt (Kosovo: Roadmap in die ethnische Separation). Ahtisaari beschloss darauf hin, seinen Plan auch ohne die Unterstützung Serbiens in den UN-Sicherheitsrat einzubringen. Aber auch hier scheiterte er nun vorerst. Ahtisaaris Papier wurde nur von den USA, Großbritannien und Frankreich - also drei der fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates - ohne Vorbehalte unterstützt. Zwei der Vetomächte dagegen, China und vor allem Russland, lehnen ihn ab.

Der Verlauf der Sitzung am Eastriver in New York zeigt dabei zweierlei. Erstens: Die diplomatische Lösung des Kosovo-Konfliktes erweist sich zunehmend als „mission impossible“. Und zweitens: Es geht um zentrale Fragen des Völkerrechts und der internationalen Machtarchitektur, die weit über den Kosovo hinaus Bedeutung haben.

Territoriale Integrität oder nationales Selbstbestimmungsrecht?

Ahtisaari bezeichnet die Unabhängigkeit als „einzige Möglichkeit für ein politisch stabilen und wirtschaftlich tragfähigen Kosovo“. Die Argumente der Unterstützer für eine Abspaltung Kosovos von Serbien haben dabei verschiedene Ebenen. Erstens betonen sie immer wieder, dass die albanische Bevölkerungsmehrheit in der Provinz geschlossen für eine Sezession eintrete. Dieser Wille müsse respektiert werden. Zweitens verweisen sie darauf, dass der frühere serbische Premierminister Slobodan Milosevic Kosovo für Serbien „verspielt“ habe, indem er in den 90er Jahre „brutale Gewalt“ gegen die albanische Zivilbevölkerung eingesetzt habe.

Als ultima ratio erklärt Ahtisaari seit geraumer Zeit allerdings auch, dass nur eine schnelle Unabhängigkeit Kosovo vor weiterer Gewalt schützen könne. Falls es nicht zu einer baldigen Abspaltung käme, drohe ein neuer albanischer Aufstand, der den ganzen Balkan ins Chaos stürzen könnte.

Vojislav Kostunica sprach zum UN-Sicherheitsrat. Foto: UN Photo/Eskinder Debebe

Diese Argumente für die Durchsetzung eines „nationalen Selbstbestimmungsrechts“ der Kosovo-Albaner werden von der serbischen Staatsführung als absurd bezeichnet. In einer emotionalen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat bezeichnete Premier Vojislav Kostunica Ahtisaaris Vorschlag als offenen Völkerrechtsbruch, der neben anderen Rechtsakten auch die UN-Charta verletze, welche die „territoriale Integrität“ der UN-Mitgliedsstaaten garantiere. Serbien widersetze sich allen Versuchen sein Territorium zu „zerstückeln“. Ahtisaari habe mit dem Vorschlag sein Vermittlermandat überschritten und sich statt einen „Kompromiss“ zu suchen auf die „albanische Seite“ geschlagen. Kostunica betonte, eine einseitig durchgesetzte Unabhängigkeit Kosovos könne „gefährliche Folgen für den Weltfrieden“ haben.

I believe that we are all aware that if a negative precedent is once set, and if national minorities are given the right to violate the UN Charter by dismembering existing states, this would mean that the Rubicon has been crossed. In that case nobody can foresee what dangerous consequences for global peace such a precedent might trigger.

Vojislav Kostunica

Als Gegenvorschlag bietet die serbische Regierung Kosovo eine „substanzielle Autonomie“ an. Kostunica betonte, dass den Albanern dabei weit reichende Selbstverwaltungsrechte eingeräumt würde und zur Friedenssicherung eine UN-Mission im Kosovo stationiert bleiben solle:

This means that the Albanians in the Province would be able to decide upon their future, manage their own affairs and protect their interests, while at the same time Serbia would, in accordance with the UN Charter, preserve its sovereignty and territorial integrity. It is entirely possible to reconcile these two demands. In such a case, it would be perfectly acceptable to Serbia to have the United Nations supervise the implementation of substantive autonomy of Kosovo and Metohija within Serbia.

Vojislav Kostunica

Der Russland-Faktor

Blieb Serbien mit seiner Argumentation lange Zeit relativ isoliert, hat sich in den vergangenen Monaten die Stimmung geändert. Noch vor wenigen Monaten galt es als sicher, dass es bald zur Proklamation der Unabhängigkeit kommen würde. Ahtisaari peilte dafür das Ende des vergangenen Jahres an. Mittlerweile scheint die Situation wieder offener.

Die Verzögerung bei der vor allem von den USA betriebenen Durchsetzung der Unabhängigkeit Kosovos ist vor allem eine Folge des anhaltenden und sich verschärfenden Widerstands Russlands. Gingen westliche Beobachter lange davon aus, Russland wolle mit seiner Rückendeckung Serbiens lediglich den Preis für eine Zustimmung für den Ahtisaari.-Plan im UN-Sicherheitsrat erhöhen und Konzessionen auf anderen Ebenen erhalten, zeigt sich mittlerweile etwas anderes: Russland vertritt in der Kosovo-Frage eine prinzipielle und programmatische Haltung. Wie Präsident Putin in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar deutlich gemacht hat, will Russland in Zukunft die durch die USA dominierte „monopolare Weltordnung“ nicht mehr unwidersprochen hinnehmen. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Sicherheitskonferenz/2007-putin.html

In diesem Sinn scheint Russland seine Haltung nicht unbedingt an der Frage der Unabhängigkeit Kosovos festzumachen, sondern vor allem an der Art und Weise, wie die Statusfrage gelöst wird. Dabei soll das Prinzip der Multipolarität und des Kompromisses gelten. Moskaus fordert eine Fortführung von Verhandlungen bis sich beide Seiten auf eine Lösung geeinigt haben. Bereits vor Wochen machte Putin klar, dass eine „von außen aufgezwungene Lösung“ inakzeptabel sei. Sowohl Belgrad als auch Pristina müssten zustimmen, damit eine „langfristige Lösung“ des Problems erreicht werden könne. Mit dieser Position bringt sich Russland aktiv in die Balkanpolitik ein und unterstreicht damit den von Putin in München erhobenen Anspruch bei internationalen Konflikten in Zukunft ein gewichtiges Wort mitsprechen zu wollen. Altruistisch ist das Verhalten Moskaus in der Kosovo-Auseinandersetzung allerdings kaum. Mit der Unterstützung Serbiens kann Putin unter anderem die ungeliebte NATO-Osterweiterung zumindest auf dem Balkan verzögern.

Der russische UN-Botschafter Vitaly I. Churkin. Foto: UN Photo/Devra Berkowitz

Auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrates hat Russland einen konkreten Vorschlag zum weiteren Vorgehen unterbreitet. Der Vertreter Moskaus, Vitali Curkin, forderte, dass das Gremium eine Delegation nach Belgrad und Pristina entsenden solle, um vor Ort eine genaue Bestandsaufnahme der Situation zu unternehmen. Damit stellt Russland direkt die Glaubwürdigkeit der UN-Übergangsverwaltung in Kosovo (UNMIK) in Frage. Ihr Oberhaupt, der deutsche Diplomat Joachim Rücker, berichtet dem UN-Sicherheitsrat regelmäßig über die Situation. Hier liegt auch der Hintergrund für Curkins Vorschlag. Der russische UN-Botschafter hat vor wenigen Tagen erzürnt die Sitzung verlassen, als Rücker seinen Halbjahresbericht vorstellte. „Er hat Unabhängigkeit gepredigt, statt die Implementierung der Resolution 1244 zu diskutieren“, kritisierte Curkin. „Seine Bemerkungen waren extrem einseitig und nicht hilfreich.“

Der UNMIK-Chef betont immer wieder, im Kosovo seien die „Grundlagen für eine funktionierende Demokratie, für ein funktionierendes Rechtswesen und für eine funktionierende Marktwirtschaft“ geschaffen worden. Kosovo sei nun „reif“ für die Unabhängigkeit. Die Berichte der UNMIK werden dabei nicht nur von russischer und serbischer Seite heftig kritisiert.

Auch interne Analysen der westlichen Sicherheitsstrukturen kommen zu einem völlig anderen Ergebnis. Zu einer vernichtenden Analyse der Sicherheitslage kommt beispielsweise das Institut für Europäische Politik in Berlin. Wie der Spiegel berichtet, hat es in einer vertraulichen Studie im Auftrag der Bundeswehr festgestellt, dass der geplante “Aufbau einer multiethnischen Gesellschaft” im Kosovo “gescheitert” sei. Ein Rückschlag mit “schweren Unruhen, wenn nicht gar revolutionsähnlichen Erhebungen” drohe. Die Studie spricht von Missmanagement, Korruption, Organisationschaos und von “organisierten kriminellen Banden”, die “wesentliche Teile des Kfor-Stabes infiltriert” hätten.

Skepsis in der Europäischen Union

Es ist allerdings nicht nur Russland, das dem Ahtisaari Plan, oder vielmehr einer Implementierung der Unabhängigkeit Kosovos gegen den Willen Belgrads, ablehnend gegenüber steht. Mittlerweile haben auch eine Reihe von Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika starke Bedenken angemeldet. Obwohl Ahtisaari und seine Unterstützer immer wieder betonen, die Unabhängigkeit Kosovos sei eine „Ausnahme“ und kein „Präzedenzfall“, befürchten offensichtlich immer mehr Staaten, dass genau dies der Fall sein könnte.

Unerwarteten Beistand bekommt Serbien beispielsweise von Südafrika. Sein UN-Botschafter, Dumisani Kumalo, erklärte, eine Unabhängigkeit Kosovos könne zahlreiche ethnische Konflikte in ganz Afrika eskalieren. „Wir glauben, dass eine Entscheidung über Kosovo sehr bedeutende Auswirkungen auf andere Parteien haben kann, die sich abspalten und Unabhängigkeit erreichen wollen“, erklärte Kumalo. „In Afrika ist dieses Problem sehr, sehr real.“ Bedeutsam ist diese Äußerung vor allem, weil Südafrika ein nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist. Die anderen afrikanischen Mitglieder, Ghana und Kongo, haben ähnliche Bedenken.

Politisch bedeutender als die Skepsis der afrikanischen Staaten dürfte allerdings die Position einer Reihe von Ländern der Europäischen Union sein, die dem Ahtisaari-Plan ebenfalls kritisch gegenüber stehen. Auf einem informellen Treffen der EU-Außenminister in Bremen Ende März wurde zwar nach außen Geschlossenheit demonstriert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, es gebe eine "gemeinsame europäische Position" zur Kosovo-Frage und diese bestehe in der Unterstützung Ahtisaaris.

Tatsächlich aber wird hinter den Kulissen heftig gerungen. Nach verschiedenen Medienberichten haben vor allem die Slowakei, Rumänien und Griechenland starke Bedenken gegen eine Unabhängigkeit angemeldet. Auch Spanien und Italien sind reserviert. Die Position der slowakischen Regierung, welche Autonomieforderungen der ungarischen Minderheit fürchtet, gleicht dabei Russlands Standpunkt. Der slowakische Außenminister, Jan Kubis, forderte, bei den Verhandlungen müssen die „legitimen Interessen beider Parteien, Belgrads und Pristinas“ berücksichtigt werden. Der spanische Außenminister Alberto Navarro erklärte nicht zuletzt mit Blick auf die Situation im eigenen Land: „Wenn wir über die Aufspaltung von Ländern reden, könnte die Landkarte Europas sich jedes Jahr verändern.“

Virulent könnten die Meinungsunterschiede in der EU vor allem dann werden, wenn die Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat endgültig scheitern und die USA eine bereits angekündigte Politik der einseitigen Anerkennung Kosovos wahr machte. Ein solcher unilateraler Schritt würde nicht nur Russland nachhaltig erzürnen, sondern auch die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik auf eine ernste Probe stellen. In diesem Fall könnte es dazu kommen, dass europäische Truppen im Kosovo gegen die serbische Bevölkerung vorgehen müssten, die eine Unabhängigkeit unter keinen Umständen akzeptieren will. Doch so weit ist es noch nicht. Vorerst verstärkt die Bundeswehr ihre Kosovo-Truppe, um „Unruhen“ vorzubeugen.