Mit Omikron aus der Pandemie?
Das Gewähren und Verweigern von einst selbstverständlichen Rechten mit Verweis auf Corona könnte für Regierende zur Gewohnheit werden. Derweil gibt es Hinweise auf mildere Verläufe bei der neuen Virusvariante
Erwartungsgemäß hat die jüngste digitale Bund-Länder-Konferenz erneut Verschärfungen in zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens gebracht. Vor allem die geplante Regelung, dass nur noch "Geboosterte", also Menschen mit Auffrischungsimpfung ohne aktuelles Testergebnis Restaurants und öffentliche Einrichtungen besuchen können, hat schon für Kritik aus den betroffenen Wirtschaftsverbänden, vor allem der Restaurantbetreiber gesorgt.
Das ist nicht verwunderlich. Die Lobbyverbände sehen natürlich weitere Einkommenseinbußen. Aber die Regelung soll auch den Druck für eine weitere Impfung noch mehr erhöhen und könnte das System der unterschiedlichen Vergabe von Rechten weiter verfestigen. Das Recht, eine Gaststätte zu betreten, hat nur, wer eben bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Diese Etablierung von Rechten, die vorher voraussetzungslos für alle galten, welche die finanziellen Mittel hatten, wird jetzt an bestimmte Bedingungen, sprich mehrere Impfungen geknüpft.
Von bedingungslosen Rechten zu Genehmigungen
Diese Neujustierung von Rechten, deren Umwandlung in Genehmigungen mit bestimmten Voraussetzungen, sorgt nicht nur bei teilweise irrationalen Strömungen, die sich auf Versammlungen der Corona-Maßnahmen-Kritiker tummeln, für Widerspruch. Auch liberale und libertäre Kritiker warnen vor einer gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklung, nach der es eben nicht mehr selbstverständlich ist, irgendwo den öffentlichen Raum zu betreten.
Dass kann man sehr gut bei der Frage der Einreise in bestimmte Länder sehen. Für einen Großteil der Menschen im globalen Süden war es schon immer ein Problem, dass sie nur schwer oder gar nicht in die USA oder in EU-Länder reisen konnten. Umgekehrt war es für einen Großteil der Menschen mit einem Pass aus den USA oder einem EU-Land relativ einfach, in die meisten Regionen der Welt zu reisen, wenn sie es sich finanziell leisten konnten.
An diesem Ausdruck eines weltweiten ungerechten Machtgefälles hatten die meisten Menschen im globalen Norden nichts auszusetzen. Dass sie in Zeiten von Corona ebenfalls bestimmten Reisebeschränkungen unterworfen sind, ist nun für Viele ein Gegenstand von Kritik. Nun wird der Übergang von Rechten zur Gewährung von Rechten unter Auflagen medizinisch begründet.
Die gesamte Debatte um Corona seit nunmehr über 20 Monaten dreht sich darum, ob die Gefährlichkeit des Virus diese Einschränkungen rechtfertigt. Kritiker erklärten, dass es immer wieder gefährliche Infektionskrankheiten gab und gibt, auf die nicht mit solchen Restriktionen reagiert wurde. Als Beispiel wurde die Grippe genannt.
Bald hatte es sich auch hierzulande politisch und medial eingebürgert, jeden Vergleich zwischen einer Grippe und dem neuen Virus als "Corona-Verharmlosung" zurückzuweisen. Dabei wurde aber oft außer Acht gelassen, dass eine Grippe für Ältere und Vorerkrankte auch keineswegs harmlos ist und weitere Organschäden bewirken kann.
Trotzdem hatte die Kritik am Grippe-Vergleich zumindest mit den ersten Corona-Varianten eine gewisse Plausibilität – vor allem, als vulnerable Gruppen noch keine Chance hatten, sich dagegen impfen zu lassen, gegen die Grippe aber schon. Und nicht nur die Ansteckungsraten waren beim Coronavirus um vieles höher, auch die gesundheitlichen Folgen waren in der ersten Welle schwerwiegender.
Doch gilt das auch für die Omikron-Variante, die nun das aktuelle Corona-Geschehen bestimmt? Und wie wirken sich die bisherigen Impfungen auf die Virus-Mutante aus? Diese Fragen gilt es zu beantworten. Dabei gibt es zumindest einige Teilantworten. Auch Mediziner äußern vorsichtigen Optimismus, dass mit Omikron möglicherweise ein Ende der Pandemie eingeläutet werden könnte.
Hohe Impfrate und hohe Inzidenzen in Bremen
Bremen kann noch immer als ein Modell für "vorbildliche" Impfbereitschaft in Deutschland gelten. Mit niedrigschwelligen Angeboten war es dem Stadtstaat gelungen, die höchste Zahl die Impfquote zu erreichen. Und nun hat Bremen trotzdem auch einen Rekordwert an Neuinfizierten. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen, die der Mediziner Hajo Zeeb vom Leibnitz-Institut für Intensivforschung und Epidemiologie hervorhob.
Der Verweis auf die nachlassende Wirkung der ersten Impfdosen muss eigentlich die Frage aufwerfen, ob die Impfbereitschaft in dem Stadtstaat so wenig nachhaltig gewesen sein soll. Wurden die Booster-Impfungen nicht ebenfalls beworben? Auch Zeebs Hinweis auf Bremens Nähe zu den Hochrisikogebieten in Skandinavien und den Niederladen kann nicht wirklich überzeugen.
Dann müsste man ja bei den hohen Inzidenzraten in Sachsen und Brandenburg beispielsweise die Nähe zu Polen und Tschechien heranziehen. Beide Länder gelten aktuell ebenfalls als Hochrisikogebiete. Interessanter ist Zeebs Verweis auf die größere Glaubwürdigkeit der Corona-Tests in Bremen, bei denen es auch während der Feiertage kaum Ausfälle gegeben habe.
Demnach könnte Bremen auch deshalb ein Modellprojekt sein, weil dort die exakteren Inzidenzzahlen bekannt sind. Das würde aber einmal mehr die Frage aufwerfen, warum es bisher noch immer nicht gelungen ist, die Ermittlung der Corona-Zahlen unabhängig von Sonn- und Feiertagen aufrechtzuerhalten.
Wenn die Pandemie von Staat und Behörden so ernst genommen wird ist, wie es seit nunmehr fast 20 Monaten dargestellt wird, ist schwer verständlich, warum dann das Test- und Überwachungssystem nicht rund um die Uhr auf den neuesten Stand gesetzt wird. In den letzten 20 Monaten sind schließlich so viele Gesetze und Verordnungen in kürzester Zeit erlassen worden, warum dann nicht auf diesem Gebiet?
Welche Auswirkungen hat Omikron für Geimpfte?
Doch die zentrale Frage ist, wie sich die bisherige hohe Impfquote in Bremen angesichts der neuen Omikron-Variante, die auch für den Anstieg der Inzidenzen verantwortlich ist, auswirkt? Bestätigen sich die Erkenntnisse über milderen Krankheitsverläufe, wie sie aus Südafrika bekannt wurden? Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden zunächst mit Vorbehalt aufgenommen, weil die südafrikanische Gesellschaft im Durchschnitt sehr jung ist.
Doch die Berichte über weniger schwere Krankheitsverläufe scheinen sich auch in Gesellschaften wie der Großbritanniens zu bestätigen, deren Zusammensetzung nach Altersgruppen etwa der in Deutschland gleicht. Doch die wichtigste Frage, die schnell beantwortet werden sollte, ist die nach der Auswirkung der Impfungen auf Ansteckungsraten.
Mittlerweile scheint sicher, dass die Booster-Impfung vor schweren Krankheitsverläufen schützt. Das gilt natürlich wie alles in der Wissenschaft nie hundertprozentig. Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen, wäre das die beste Werbung für die Impfkampagne – jedenfalls wesentlich sinnvoller als immer neue Debatten über den Zwang zur Impfung.
Kürzung der Quarantäne – nicht nur im Wirtschaftsinteresse
Mögliche Erkenntnisse über einen weniger schweren Verlauf bei Infektionen mit der Omikron-Variante schlagen sich im offiziellen Corona-Diskurs insoweit nieder, dass die Quarantänezeiten verkürzt werden sollen. Befürworter der Kampagne Zero Covid, die vor fast einem Jahr für einen solidarischen Lockdown eingetreten sind, würden kritisieren, dass mit den verkürzten Quarantänezeiten vor allem auf Bedürfnisse der Wirtschaft eingegangen wird, was sicher nicht falsch ist.
Aber es darf auch nicht vergessen werden, dass ein Großteil der Bevölkerung solche Lockerungen unterstützt. Es wäre fatal, wenn ein Teil der Linken jetzt nur wieder beklagen würde, dass nur zugunsten der Wirtschaft Corona-Maßnahmen gelockert würden, um gleich für einen härteren Lockdown einzutreten.
Sinnvoller wäre es, sich kritische Gedanken darüber zu machen, ob das unter Pandemie-Bedingungen durchsetzte System der Verwandlung von bedingungslosen Rechten in an Voraussetzungen gebundene Erlaubnisse nicht auch bei anderen Krankheiten und bei den kommenden schon prognostizierten Klima- und Umweltereignissen zur Regel werden könnte, dass damit also eine neue Form des Regiertwerdens sich durchsetzt.
Michel Foucault sprach von Biopolitik. Die Corona-Pandemie wurde dazu nicht erfunden, wie manche Verschwörungserzählungen behaupten, sie wurde einfach genutzt – wie viele andere Ereignisse auch.
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