Mit TTIP zurück in die imperiale Vergangenheit
Seite 2: Die USA als künftige Energiesupermacht?
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Dieser Energieboom werde einen wirtschaftlichen Aufschwung entfachen, der das US-Bruttoinlandsprodukt ab 2020 - dann sollen die USA laut FA zu einem Nettoexporteur von Energie aufsteigen - um zwei bis vier Prozent jährlich zusätzlich ansteigen lassen und rund 1,7 Millionen neue Jobs kreieren werde. Zu den großen Verlierern dieses Booms zählt FA vor allem Schwellenländer wie Iran, Venezuela oder Russland. Die verringerte Abhängigkeit von Energieimporten werde es Washington ebenfalls ermöglichen, seine strategischen Ziele mit einem "größeren Grad an Freiheit" zu verfolgen - offensichtlich, weil man im Weißen Haus künftig weniger Rücksichten auf die klassischen Energieproduzenten nehmen muss.
Die "geschärften Instrumente" der US-Geopolitik umfassten nun eine größere Hebelwirkung Washingtons bei Sanktionen, da hierbei eine "diversifizierte Energieversorgung" unablässig sei, um Preisausschläge auf dem Weltmarkt zu verhindern. Die von Washington initiierten Verhandlungen über die pazifischen und atlantischen Freihandelszonen (Transatlantic Trade and Investment Partnership und Trans-Pacific Partnership) könnten aufgrund der potenziellen US-Energieexporte eher im Sinne der USA gestaltet werden, bemerkte FA.
Im Fall Japans war die Aussicht auf günstige amerikanische Energieträger sogar "ausschlaggebend" für die Entscheidung Tokios, den Verhandlungen beizutreten. Hierdurch könnte den Vereinigten Staaten gelingen, "ihre Allianzen wieder zu festigen", indem alliierten Staaten - wie Polen oder der Ukraine - Unterstützung bei der Erschließung ihrer Schiefergasvorkommen angeboten werde. Die neuen technischen Möglichkeiten der Förderung unkonventioneller fossiler Energieträger sollten eng mit der US-Außenpolitik verzahnt werden, so FA. Der Boom der Öl- und Gasförderung könne, in Kombination mit den militärischen, ökonomischen und kulturellen Potenzen, "die globale Führungsrolle der USA in den kommenden Jahren" festigen.
Dieser von FA erträume, abermalige Aufsteig des Zentrums des kapitalistischen Weltsystems kann sich aber nur auf Kosten der Peripherie vollziehen - also der sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer (An der Schwelle zum neuen Krisenschub). Viele Volkswirtschaften der Semiperipherie sehen sich von einer desaströsen ökonomischen Zangenbewegung erfasst, bei der fallende Energiepreise mit den Folgen des steigenden US-Dollars in Wechselwirkung treten.
Seitdem die US-Notenbank (Fed) die Zinswende ankündigte und damit begann, ihre Aufkaufprogramme für Anleihen und Wertpapiere zu reduzieren, sehen sich die Schwellenländer - die in der Phase der expansiven Geldpolitik der Fed oftmals schuldenfinanzierte Defizitkonjunkturen ausbildeten - mit massiven Kapitalabflüssen konfrontiert. Dies hat Konjunktureinbrüche in den verschuldeten Ländern zufolge, die den Schuldendienst von Staat, Wirtschaft und Verbrauchern erschweren.
Der in der Phase der expansiven US-Geldpolitik (als die Gelddruckerei der Fed anlagesuchendes Kapital rund um den Globus ausschwärmen ließ) akkumulierte Schuldenberg in der Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems ist in der Tat beeindruckend. Das Wall Street Journal zog eine knappe Bilanz:
Unternehmen aus Schwellenländern haben in diesem Jahr bisher Dollar-Anleihen im Wert von 193 Milliarden Dollar begeben. Über die vergangenen fünf Jahre hinweg waren es fast 800 Milliarden Dollar. Die Staaten selbst haben in diesem Jahr Anleihen für 73 Milliarden Dollar emittiert, seit 2005 waren es 500 Milliarden Dollar.
Desaströse Auswirkungen auf Schwellenländer
Da das Kapital nun wieder in die USA fließt, die vor einer Zinswende und einem Energieboom zu stehen scheinen, steigt der Wert des US-Dollars gegenüber den meisten Währungen an. Diese Schulden gewinnen somit permanent an Wert. Viele kriselnde Schwellenländer, denen die Einnahmen aus Rohstoff- und Energieexporten wegbrechen, müssen bei einem steigenden Dollar für ihren Schuldendienst immer größere Beträge ihrer heimischen Währung aufwenden, da sie auf den Weltfinanzmärkten zuvor in der Weltleitwährung verschuldeten.
Die Schuldenfalle schnappt zu: Wegbrechende Einnahmen, lahmende Konjunktur und steigende Schuldenlast treten in Wechselwirkung. Spiegel-Online bemerkte hierzu:
Schwellenländer mit großen außenwirtschaftlichen Defiziten, die bislang vom Import billigen Kapitals profitierten, könnten von der neuen Dollar-Stärke kalt erwischt werden, darunter die Türkei, Südafrika, Peru oder Kolumbien.
Damit drohe den Schwellenländern eine Krisenphase ähnlich derjenigen in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Hochzinspolitik unter Fed-Chef Paul Volcker die ausufernde US-Inflation eindämmte und zugleich durch die einsetzenden globalen Kapitalzuflüsse in die USA den Dollar in die Höhe katapultierte - sowie die Initialzündung für das explosionsartige Wachstum der Finanzmärkte legte, das charakteristisch ist für den neoliberalen Spätkapitalismus. Zeitgleich durchlebten viele Schwellenländer in den 80ern schwerste wirtschaftliche Verwerfungen, Schuldenkrisen und Staatspleiten.
Droht nun eine ähnliche Konstellation wie in den 1980ern, in der das Zentrum des kapitalistischen Weltsystems die Krisenfolgen (Damals war es die überwundene Phase der Stagflation auf die Peripherie und Semiperipherie abwälzt und sich so sich auf deren Kosten abermals stabilisiert? Kann die US-Strategie aufgehen, die auf die Förderung unkonventioneller fossiler Energieträger setzt und eine weitgehende Exklusion Schwellenländer vermittels Freihandelszonen anstrebt?
Die mit aller Macht forcierte und ökologisch desaströse Verlängerung des fossilen Zeitalters scheint größtenteils auf Wunschdenken zu beruhen. Die New York Times (NYT) veröffentlichte schon Mitte 2011 einen mit großen Aufwand recherchierten Artikel dessen Autoren ein halbes Jahr Zeit hatten, um den internen Informationsfluss der Branche mit deren öffentlichen Verlautbarungen zu vergleichen.
Hierbei lagen dem Ostküstenblatt Tausende von internen E-Mails und Berichten wie Analysen etlicher in der Branche tätiger Konzerne vor. Im Verlauf ihrer Analyse konstatierte die NYT eine in der Branche dominierende Tendenz, die ökonomischen Potenziale der Fördertechniken wie auch der verfügbaren Lagerstätten maßlos zu übertreiben. Es sei keineswegs sicher, wie viele der gefundenen Schiefergasvorkommen überhaupt rentabel abgebaut werden können.
Teilweise überstiegen die horrenden Erschließungskosten die Gewinne aus der Förderung, so die NYT, die auf Unternehmensdaten von 10 000 Bohrlöchern in den USA zurückgreifen konnte: "Die Daten zeigen, dass es einige sehr aktive Bohrlöcher gibt, die aber oft von weniger produktiven Bohrlöchern umgeben sind", deren Betriebskosten in einigen Fällen die Einnahmen aus dem Gasverkauf übersteigen.
Zudem geht die Ausbeute bei vielen der erfolgreichen Bohrlöcher sehr viel schneller zurück als anfangs prognostiziert.
Dieses rasche Absinken der Fördermenge erschwere es, langfristig mittels Schiefergasabbau Profite zu erwirtschaften, bemerkte die NYT. "Geld fließt in die Branche", obwohl "Schiefergas inhärent unprofitabel" sei, zitierte das Ostküstenblatt aus einer internen E-Mail eines Analysten. Dies erinnere an die "Dot-Com-Blase" zu Beginn des Jahrhunderts, als Milliardenbeträge in windige Internet-Unternehmen ohne solide Ertragsbasis investiert wurden, die beim Platzen dieser Spekulationsblase im Jahr 2000 reihenweise Pleite gingen.
Katerstimmung im Energierausch
Inzwischen sind Hunderte von Milliarden US-Dollar in diesen Energiesektor geflossen, der nun an seinem eigenen "Erfolg" zugrunde zu gehen droht. Die sinkenden Preise für Energieträger machen die äußerst kostenaufwendige Förderung unkonventioneller fossiler Energieträger in den USA schlicht unrentabel, bemerkte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die jüngst von einer "Katerstimmung im Energierausch" in den USA berichtete.
Bohrungen in Schiefergestein seien zehn bis zwanzigmal so teuer wie klassische Vertikalbohrungen, sodass die Förderung aus diesen neu erschlossenen Quellen sich erst ab einem Ölpreis von mehr als 80 Dollar pro Barrel lohne. Zudem muss das Schiefergestein immer wieder kostspielig "nachgefrackt" werden. Dieser Ölpreis von 80 US-Dollar wurde ab 2008 überschritten, was den Fracking-Boom in den USA initiierte. Doch löste dieser Förderboom einen Preisverfall aus, der die Profitabilität der ganzen Branche infrage stelle:
Dieses Überangebot führte vor wenigen Wochen zum Preisverfall. Inzwischen wird WTI-Öl für weit unter 70 Dollar pro Barrel gehandelt. Hält dieser Abwärtstrend länger an, lohnt sich die Erschließung neuer Schiefergaslagerstätten nicht mehr. Schon jetzt haben die ersten Wildcatter das Fracking in ihren kleineren Claims eingestellt.
Die energetische Grundlage der geopolitischen Strategie der USA steht somit auf tönernen Füßen. Sobald die Fracking-Förderung überhandnimmt - etwa durch die intendierte Erschließung der Vorkommen in Europa - und die Nachfrage nach Energieträgern krisenbedingt weiter abnimmt, würde der ganze neue Sektor schlicht unrentabel. Letztendlich krankt diese Konzeption eines amerikanischen "Energieimperiums" an der falschen impliziten Vorstellung, die gegenwärtige Systemkrise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft (Die Krise kurz erklärt) könnte durch die Überflutung der Weltmärkte mit fossilen Energieträgern überwunden werden.
Teil 2 Welt vor neuem Weltkrieg?: Wie die Großmächte mit ihrem neoimperialistischen Great Game auf einen neuen Großkonflikt zusteuern.