"Mit dem Schülerticket zum Terroranschlag"
Der Anschlag auf den Essener Sikh-Tempel bringt Politiker in Rage, offenbart aber auch klare Schwächen im Präventionsprogramm
Während die Zahl der Salafisten in NRW in dramatischer Weise ansteigt ("Sie werden leiden, sie werden Blut weinen"), geraten die Präventionsprogramme des Landes in die Diskussion. Sie sind offenbar unzureichend, wie der Anschlag auf ein Sikh-Gemeindehaus Mitte April in Essen zeigt. Der Innenausschuss hat sich jetzt mit dem Sprengstoffanschlag befasst. Tatverdächtig sind zwei 16-jährige jugendliche Realschüler aus Essen und Gelsenkirchen, die offensichtlich mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" sympathisiert haben.
Nach jüngsten Angaben der Landesregierung handelt es sich um polizeibekannte Salafisten, beide befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Auf YouTube besorgten sie sich die Anleitung für eine Bombe, die sie dann an der Wand des Essener Sikh-Gemeindezentrums zündeten. Den Sprengstoff u.a. aus Magnesium und Schwefel fabrizierten die beiden in Eigenregie. Am Abend des 16. April platzierten sie die Bombe vor dem Gebäude und zündeten sie. Zuvor hatten sie noch vergeblich versucht, die Eingangstür einzuschlagen. Von einem benachbarten Grundstück aus filmte eine Überwachungskamera die beiden Jugendlichen auf der Flucht.
Wie Facebook beim Fährtenlesen hilft
Yussuf T. und sein Kumpel Mohammed B. waren laut Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier "dem Land bekannt". Derzeit ermitteln die Behörden, auf welchen Wegen und über welche Personen die beiden Schüler Kontakt zur salafistischen Szene gefunden haben. Dabei halfen die Auswertungen ihrer Facebook-Profile.
Ins Visier der Behörden geriet dabei auch ein 16-jähriger Bekannter der Jugendlichen aus Wesel. Auch er wurde ihm Zuge der Ermittlungen vorläufig festgenommen, gegen ihn besteht aber nach Angaben des Innenministeriums kein Tatverdacht. Dieser 16-Jährige soll aber Kontakt zur "Lohberger Brigade" gehabt haben. Zudem wurde gegen ihn ein Ausreiseverbot verhängt, da den Behörden Hinweise vorlagen, dass er sich nach Syrien absetzen wollte.
Bei ihren Ermittlungen wertete die Polizei Daten aus Funkzellen aus, recherchierte in sozialen Netzwerken und konnte auf die Videoaufnahmen der benachbarten Firma zurückgreifen. Die beiden jungen Männer haben die Tat mittlerweile eingeräumt, einen religiösen Hintergrund jedoch abgestritten. Nach Auswertung der bisherigen Ermittlungen werden beide Tatverdächtige jedoch den Sympathisanten der Terrormiliz "Islamischer Staat" zugeordnet. Wie das NRW-Innenministerium am Donnerstag dem Landtag mitteilte, ist einer der beiden seit November 2014 im Präventionsprogramm "Wegweiser" des Landes gewesen. Das Programm richtet sich an gewaltbereite Salafisten.
Letztes Beratungsgespräch ohne Erfolg
Derweil gerät die Präventionsarbeit des Landes in die Kritik. Bei Yussuf T. verlief das Präventionsprojekt "Wegweiser", das den Einstieg in die gewaltbereite salafistische Szene verhindern soll und schwerpunktmäßig auf junge Leute abzielt, offenbar ohne Erfolg: Sein letztes Beratungsgespräch hatte der Bomber nur vier Tage vor dem Anschlag. Wie Burkhard Freier im Innenausschuss des Landtags offenlegte, hat Yussuf T. in der Schule nicht nur IS-Gräueltaten verherrlicht, sondern einem jüdischen Mädchen auch angedroht, ihr "das Genick zu brechen". Außerdem nahm er an der Koran-Verteilung "Lies!" teil und stand im Verdacht, in den Krieg nach Syrien ausreisen zu wollen.
Die Politik zeigt sich zunehmend alarmiert. NRW-Innenpolitiker Marc Lürbke (FDP), der schon öfter mit gezielter Kritik am Sicherheitskonzept von NRW-Innenminister Jäger auffiel, warnte zuletzt, dass mitten unter uns "eine neue Generation selbsternannter Gotteskrieger heranwächst, die zum Schlimmsten bereit ist". Diese würde unter behördlicher Aufsicht im Kinderzimmer Bomben bauen und "mit dem Schülerticket zum Terroranschlag fahren."