"Mit der Entfesselung der Finanzmärkte vor 50 Jahren begann der lange Weg in die gegenwärtige Krise"

Seite 2: Der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Marktreligiösität

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Aktuell versuchen sowohl Donald Trump in den USA, als auch Sebastian Kurz in Österreich, wieder eine Wirtschaftspolitik des "Trickle down". Die Hypothese ist hierbei, dass diejenigen die wirtschaftlich erfolgreich sind, besser als der Staat investieren. Deswegen lässt man ihnen viel Geld durch Steuersenkungen oder gibt es ihnen über Subventionen. Dadurch würden dann Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Warum funktioniert dies nicht?

Stephan Schulmeister: Das ist ganz einfach, weil eben die, die schon sehr viel Geld haben, versuchen, unter den gegebenen Spielbedingungen das Geld auf den Finanzmärkten zu vermehren. Diese Finanzalchimie schafft aber keinerlei reale Werte. Sie kann aber durchaus für Einzelne sehr erfolgreich sein, bis es eben zum nächsten Aktiencrash kommt.

Gibt es eine Chance unter den gegebenen Bedingungen, zu dem alten Keynesianismus zurückzukehren? Wie könnte das bestehende System aus der Verankerung gerissen werden?

Stephan Schulmeister: Das sind alles gesellschaftliche Prozesse. Da gibt es leider keine Hebel oder Schrauben an denen man anfassen müsste. So wie die Neoliberalen fünfzig Jahre gebraucht haben, um ihre Vorstellung von Gesellschaft schrittweise durchzusetzen, so wird man eine alternative Navigationskarte aufbauen müssen. Das wird, so glaube ich, vielleicht nicht ganz so lange dauern, aber man muss jetzt erklären, warum die herrschende Wirtschaftstheorie über die daraus abgeleitete Politik in die Krise geführt hat.

Es muss ganz klar der Zusammenhang zwischen Theorie und ihrer Funktion als Navigationssystem aufgezeigt werden, dabei muss die herrschende Theorie zerstört werden und auf Basis der Zerstörung eine alternative Sicht aufgebaut wenden. So ist dies immer in jeder Wissenschaft gewesen, das ist eben ein Paradigmenwechsel. Der ist aber in der Ökonomie besonders schwierig, weil eben ökonomische Theorien, im Gegensatz zur Naturwissenschaft, ihr Objekt in der Realität verändern.

Konkret heißt das, reiche Leute haben natürlich ein Interesse, Milliardenbeträge in die Produktion von Theorien, mittels Think Tanks, zu investieren, weil diese Theorien Machtverhältnisse stabilisieren. Aber irgendwann geht das nicht mehr. Das war nach 1929 so. Die darauf folgende Weltwirtschaftskrise, der Faschismus und der Zweite Weltkrieg waren eine so schwerwiegende Krise, dass man radikaler nachdenken musste. Die Krise 2008 war im Vergleich dazu völlig harmlos und hat eben überhaupt nicht gereicht, dass die Eliten ernsthaft an der Richtigkeit ihres Weltbildes zweifeln.

Darum geht es aber letztlich. Es geht, um mit Immanuel Kant zu sprechen, um den Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Marktreligiösität. Der erste Schritt ist Aufklärung.

Es bedarf dazu aber des Impulses einer schweren Krise?

Stephan Schulmeister: Es schaut so aus. Es müsste nicht sein, aber es deutet viel drauf hin, dass es ohne Krise leider nicht geht.