"Mit einer Öko-Diktatur kämen wir nicht weiter"
Der Klimaforscher Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung über Klimaskeptiker, politische Handlungsunfähigkeit und die Rolle der Medien
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe ist Geschäftsmäßiger Vertreter des Vorstands und Leiter des PIK-Forschungsbereichs II "Klimawirkung und Vulnerabilität" und Professor für Allgemeine Klimatologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die globale und regionale Klimaanalyse seit Beginn der Messwerterfassung und die Untersuchung extremer meteorologischer und klimatologischer Ereignisse. Zusammen mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer hat er das Buch "Zwei Grad mehr in Deutschland: Wie der Klimawandel unseren Alltag verändern wird" geschrieben. Die Website Klimafolgen, seit Ende 2012 in der Pilotphase, bietet Informationen zum Klimawandel auf regionaler Ebene in Deutschland.
Herr Prof. Gerstengarbe, seit den 50er Jahren ist die globale Durchschnittstemperatur um fast ein Grad gestiegen, laut Ihrer Prognose wird sie in den kommenden drei Jahrzehnten um weitere zwei Grad zunehmen. Worauf müssen wir uns einstellen?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Wir werden mehr heiße Tage erleben, Hitzewellen werden keine Seltenheit mehr sein. Zudem müssen wir häufiger mit starken Niederschlägen rechnen. All das wird natürlich von Region zu Region unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Plakativ gesagt: Die Tourismusbranche an der Ost- und Nordsee kann sich freuen - die Anzahl der möglichen Badetage wird steigen. Erinnern Sie sich an den Sommer des Jahres 2003?
Der war außergewöhnlich heiß.
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Im Zuge einer Hitzewelle hat es damals in Mitteleuropa etwa 70.000 Tote gegeben. Das war eine Extremsituation, die uns aufzeigte, was passieren kann, wenn wir nicht vorsorgen. Auf solche Hitzewellen müssen wir vorbereitet sein, dann wären die Folgen auch nicht derart dramatisch.
Und die Winter werden milder?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Daran führt kein Weg vorbei. Die Schneesicherheit in den Alpen nimmt schon seit geraumer Zeit sichtbar ab. Im Schwarzwald war die Schneedecke um 1970 herum etwa 90 Tage im Jahr geschlossen, mittlerweile ist das nur noch an knapp 60 Tagen der Fall. Der Skitourismus wird es daher in Zukunft schwer haben. Aber das ist nur ein Beispiel von vielen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Deutschland werde es weniger hart treffen als die Entwicklungsländer, aber immer noch hart genug, dass es schmerzt. Was heißt das konkret?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Schmerzen würde es dann, wenn die Dürre- und Hitzeperioden nicht nur in einzelnen Jahren aufträten, sondern in vielen hintereinander. Das wäre nicht nur für die Wälder und die Landwirtschaft eine unheimlich starke Belastung. So sähe es beispielsweise in Regionen wie Brandenburg düster aus, dort würden die Kiefernwälder wohl absterben.
Die überwiegende Mehrheit der Klimaforscher ist der Meinung, dass der Mensch den Klimawandel verursacht hat
Apropos: Ihr Institut arbeitet seit vielen Jahren intensiv an Frühwarnsystemen, mithilfe derer Sie Empfehlungen an die Regierung geben...
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: … So ist es! Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel: Hätten wir im Sommer nicht genügend Wasser in den Flüssen, besteht die Gefahr, dass die Reaktoren unserer Kraftwerke nicht mehr ausreichend gekühlt werden. In den vergangenen Jahren hat es solche Fälle bereits gegeben. Müssten wir mehrere Kraftwerke für eine Woche lang runterfahren, hätten wir Riesenprobleme, die Energieversorgung aufrechtzuerhalten. Derzeit reicht die Gesamtleistung der regenerativen Energien bekanntlich nicht aus, um die Folgen dieses Szenarios auszugleichen.
Der letzte Rekord der weltweiten Mitteltemperatur war 1998, seit damals hat es keinen neuen Spitzenwert gegeben. Ist es falsch, wenn ich sage, seitdem sei kein signifikanter Trend erkennbar - weder in die eine noch in die andere Richtung?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Das ist tatsächlich falsch. Zwar verzeichneten wir 1998 einen Spitzenwert, aber was bitte schön sagt das aus? Nicht viel. Wir müssen uns die Schwankungsbreite über einen langen Zeitraum ansehen. In den 60er Jahren sang Rudi Carrell "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" (lächelt). Zu jener Zeit waren mehrere Sommer hintereinander, platt gesagt, verhunzt. Erst in den 70ern ist die Temperatur wieder angestiegen - bis hinein in die 90er. Aber nochmal: Derlei ist kein Kriterium, denn was sind schon zwölf oder zwanzig Jahre?
Was halten Sie von den Einwänden der Kritiker, die die gängigen Prognosen vehement bestreiten? Nehmen Sie diese Kollegen ernst?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Sie würden bei jedem Thema Leute finden, die das Gegenteil der gängigen Ansicht vertreten. Das ist normal. Ich sage nicht, dass unser Institut frei von Fehlern ist, das wäre töricht. Eins ist jedoch klar: Die überwiegende Mehrheit, weit mehr als 90% aller Wissenschaftler, die sich mit dem Thema befasst, ist der Meinung, dass der Mensch den Klimawandel verursacht hat. Schauen Sie sich die Messungen der letzten 100 Jahre an, stellen sie relativ schnell fest, dass es a) wärmer geworden ist und b) ein Großteil dieser Erwärmung auf das Co², also die Treibhausgase, zurückzuführen ist. Daran kommt man nicht vorbei. Auch nicht als Klimaskeptiker.
Einige von ihnen sagen, der Einfluss der Sonne werde unterschätzt, dieser wirke sich nämlich viel stärker auf unser Klima aus als bislang angenommen.
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Hier möchte ich Richard Muller aus Berkeley, einen ehemaligen Klimaskeptiker, anführen. Er hat im Berkeley Earth Project mit einigen Kollegen nachweisen wollen, dass die globale Erwärmung natürlichen Ursprungs ist. Die Gruppe um Muller kam aber zu dem Ergebnis, dass die Erwärmung menschgemacht ist und eine Änderung der solaren Einstrahlung keine Rolle spielt. Nachzulesen ist das in der New York Times vom 29. Juli 2012. Trotzdem hat die Sonne natürlich einen Einfluss auf unser Klima, sie ist schließlich unser Energiemotor, allerdings kann mit ihren Strahlungsschwankungen der Klimawandel nicht erklärt werden. Das ist Unfug.
Verändert sich die Temperatur, verändert sich nicht automatisch das Klima
Aber hat es jemals ein stabiles Klima gegeben? Es war in der Vergangenheit doch schon mehrmals wesentlich wärmer als heute.
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Klar ist: Es gibt den Zyklus zwischen Warm- und Eiszeit. Während der Warmzeiten war es in der Tat schon mal deutlich wärmer als heute. Das sind allerdings Veränderungen, die sich über lange Zeiträume entwickeln. Innerhalb der letzten ein, zwei tausend Jahre ist das Klima relativ stabil gewesen; selbst die kleine Eiszeit zwischen 1450 und 1850 wich nicht stark davon ab. Erst danach ist die Temperatur dramatisch angestiegen. Wir halten fest: Veränderungen des Klimas sind der Normalfall. Stopp! Verändert sich die Temperatur, verändert sich nicht automatisch das Klima - denn das ist im Gegensatz zur Temperatur komplex. Sonst könnte man schließlich sagen: "0,8 Grad mehr, na und? Das ist doch minimal."
Ist es das etwa nicht?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Mein Kollege und ich haben uns die Klimagebiete der Erde genau angeschaut - Wüsten, Tropen, Tundren, gemäßigte Zonen. All jene sind natürlich nicht nur charakterisiert durch die Temperatur, sondern auch durch die Verteilung des Niederschlags sowie der Vegetation, um nur zwei Punkte zu nennen. Man erkennt relativ schnell, wie sich die Klimagebiete in den letzten 100 Jahren verschoben haben. Die Ursache hierfür ist eindeutig der Klimawandel. So tauen zum Beispiel die Tundren auf, und zwar um etwa 350 km² pro Tag, während die Wüstenflächen zunehmen. Das sind Alarmzeichen.
Ebenfalls umstritten ist die These, die globale Erwärmung verursache ein Artensterben. Berichtet ein Magazin über den Klimawandel, können wir fast sicher sein, dass auf dem Zeitschriftencover Eisbären abgebildet sind - ein Problem?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Das ist sehr publikumswirksam. Wenn sich Vegetationszonen verschieben, dann gibt es selbstverständlich Arten, die in andere Regionen ausweichen müssen, mit der Folge, dass sie wiederum andere Arten verdrängen. Das ist in der Tat ein ganz normaler Prozess, den wir nun allerdings verstärkt beobachten. Ob sich die Eisbären anpassen, ist noch offen. Dafür ist der Zeitraum, den wir bisher beobachtet haben, zu kurz. Ich fände es schade, wenn die Medien sich in der Debatte weiter auf eine Spezies beschränkten. Derlei wird dem Thema nicht gerecht.
Sie meinen, die Medien seien schuld an diesem Zerrbild?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Nein. Sicherlich haben mehrere Akteure Fehler gemacht - sowohl die Tierschützer als auch die Klimaskeptiker. Aber eben auch: die Medien (lächelt). Wir verrennen uns, wenn wir ausnahmslos ideologisch argumentieren. Fest steht: Die Vegetationszonen verschieben sich, weil das Klima sich verändert, und das beeinflusst wiederum die Tierwelt, Punkt.
Nicht eher ein Ausrufezeichen? Schließlich spricht so mancher Interessenverband inzwischen von einem "Klimakampf", den man führe.
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Ich halte so etwas für problematisch. Dass es allerdings derart viele Interessenverbände gibt, die sich das Thema auf die Fahnen geschrieben haben, finde ich enorm wichtig. Wir sollten sachlich miteinander diskutieren. Eine mögliche Frage an die Umweltschützer könnte lauten: Wollt ihr die Naturschutzgebiete exakt so erhalten, wie wir sie momentan pflegen? Dann hätten wir in der Tat ein Problem, denn die Rahmenbedingungen für diese Gebiete haben sich sichtbar verändert. Man könnte ja auch sagen: "Okay, ich lasse der Natur ihren Lauf - dann gibt es eben neue Arten und andere sterben aus." Wir haben es hier also beinahe mit philosophischen Fragen zu tun.
Und wie beantworten Sie diese Fragen?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Die Natur sorgt stets dafür, dass alles im Ausgleich ist. Das Problem sind indes die Menschen. Wie hilft man jenen, die in Gebieten leben, in denen sich der Klimawandel dramatisch bemerkbar macht? Dort, wo aus Ackerland Wüste wird? Es gibt etwa zwei Milliarden Menschen, die in solchen Gebieten leben. Wir brauchen daher dringend Antworten.
Ein Appell an die Politik?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Nicht unbedingt. Wir haben im letzten Teil des Buches sowohl ein positives als auch ein negatives Szenario gemalt. Im Einklang mit unseren Kollegen der Sozialwissenschaft sind wir der Ansicht, es müsse mehr um Eigeninitiative gehen.
Weil die Politik meist kurzfristig denkt und handelt?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Exakt. Natürlich brauchen wir bei diesem wichtigen Thema auch politische Entscheidungen, keine Frage. Aber ein Politiker kann meist nur die Konzepte durchsetzen, hinter denen seine Wähler stehen.
Das Thema hängt den Leuten mittlerweile zum Hals raus
Überzeugungskraft allein reicht nicht aus?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Es ist doch so: Wird es konkret, fasst der Wähler unbequeme Entscheidungen meist als Zumutung auf und ist deshalb zunächst einmal dagegen. Das zweite Problem: Der Bundestag wird nur für vier Jahre gewählt, es ist daher nur logisch, dass Politiker kurzfristig handeln. Offensichtlich fällt es ihnen unheimlich schwer, über lange Zeiträume zu denken und entsprechende Programme auf den Weg zu bringen. Welcher Politiker traut sich, Konzepte umzusetzen, deren Früchte womöglich erst in zwanzig oder dreißig Jahren geerntet werden könnten?
Mit anderen Worten: Unser politisches System sollte reformiert werden?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Das ist eine schwierige Frage. Ich finde, unser politisches System ist immer noch das Beste, das ich kenne. Mit einer Öko-Diktatur kämen wir auch nicht weiter - im Gegenteil. Eine einsame Entscheidung von oben herab wäre falsch. Das Problem: Wir haben nicht mehr viel Zeit! Wir müssen uns in den nächsten zehn Jahren klar positionieren, um die Entwicklung wenigstens zu bremsen. Denn: Aufhalten können wir sie ohnehin nicht. Leider.
Schaut man sich die entsprechenden Einschaltquoten und Reaktionen vieler Zuschauer an, so hat man den Eindruck, das Thema "Klimawandel" würde sie zunehmend langweilen oder gar nerven - woran liegt das?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Das Thema ist in den Medien derart intensiv durchgekaut worden, dass es sich scheinbar irgendwann selbst erledigt. Die Erderwärmung ist freilich ein schleichender Prozess. Die Katastrophen, die in der Ferne geschehen, sehen wir lediglich wenige Minuten im Fernsehen. Wir hier in unserem High-Tech-Land spüren die Folgen des Klimawandels nur äußerst selten. Und wenn, dann meist nur positiv, Stichwort: Sommer. Das Thema hängt den Leuten mittlerweile zum Hals raus. Ich halte es deshalb auch für falsch, wenn einige Kollegen grundsätzlich auf "Katastrophen-Szenarien" setzen, denn damit verstärken sie jene Verdrossenheit.
Diese Kollegen sind offenbar der Meinung, nur drastische Beispiele könnten wachrütteln…
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: … Aber das Gegenteil ist der Fall! Liest und hört man ständig Horror-Szenarien, stellt aber im eigenen Umfeld fest, es passiert ja nichts, stumpft man ab. Nach dem Motto: "Was wollen diese Wissenschaftler und Politiker eigentlich? Uns geht`s doch prima!" Außerdem gibt es genug andere Themen, die uns im Alltag Sorgen bereiten - Finanzkrise, Jobverlust, sozialer Abstieg, um nur einige zu nennen.
Herr Prof. Gerstengarbe, weshalb haben Sie das Buch geschrieben?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Um aufzuklären und Denkanstöße zu geben. Wir stellen in unserem Buch kein Schreckensszenario dar, sondern erklären verständlich, was uns wahrscheinlich erwartet, wenn wir weitermachten wie bisher. Und: Wie wir uns an die neue Situation anpassen können. Wir konzentrieren uns auf die kommenden zwanzig, dreißig Jahre, also auf einen Zeitraum, den viele Leser noch erleben werden. Wer kann schon zuverlässig sagen, was in hundert Jahren passiert? Derlei wäre Kaffeesatzleserei. Klima hat immer zu tun mit "Wenn-dann-Entscheidungen". Endgültig bewerten kann man unser Buch wohl erst in zwanzig Jahren. Immerhin (lacht)!
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