Mittelmeer: Keine großen europäischen Lösungen
Ob im Umgang mit Migranten oder bei der von Macron ausgerufenen "Pax Mediterranea" mit einer anti-türkischen Front: Es zeigen sich vor allem Interessensunterschiede
"Pax Mediterranea!", hat Macron ausgerufen. "Frieden im Mittelmeer" also, während sich die Europäer nicht einmal darauf einigen können, die Notlage auf Lesbos nach dem Feuer im Lager Moria beherzt zu lösen.
Es gibt eine humanitäre Geste, die Aufnahme von 100 bis 150 unbegleiteten Minderjährigen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager, wie der deutsche Innenminister Seehofer heute angekündigt hat und es gibt Hilfe vor Ort, bei der Versorgung und den Unterkünften. Zehn europäische Staaten hätten erklärt, dass sie bei der Aufnahmeaktion von unbegleiteten Minderjährigen mitmachen würden.
Eine große "europäische Lösung" ist das nicht. Man fürchtet, wie es Eric Bonse knapp auf den Punkt bringt einen Pull-Effekt. Sicher nicht nur in Wien, in den Niederlanden und in den Visegrad-Staaten. Selbst aus Frankreich höre man bisher "nur vage Solidaritäts-Bekundungen", so Bonse in Lost in Europe. Das Problem der Verteilung von Flüchtlingen im Mittelmeerraum auf EU-Mitgliedstaaten wird durch den Brand erneut auf bittere Weise sichtbar. Die EU hangelt sich von einer Ad-hoc-Lösung zur nächsten. Für ein größeres Konzept fehlt die Einigkeit.
Das ist auch bei dem anderen Konflikt-Komplex am Schauplatz östliches Mittelmeer zu beobachten: den Machtkämpfen über Ressourcen, Territorien und Einflusszonen, die manchmal schon als "Great Game" bezeichnet werden. Dem zugeschneidert ist Macrons Appell an eine "Pax Mediterranea", bei dem die Pax Americana, Pax Britannica und Pax Romana mitanklingen, große Ordnungen also, bei denen die Grenze zwischen Mythos und Realität verwischt sind.
Gipfel der 7 Südländer: "Die Türkei ist kein Partner mehr"?
Konkret steht hinter Macrons Äußerung ein Treffen auf Korsika mit den Regierungschefs von Griechenland, Zypern, Malta, Italien, Spanien und Portugal. Ein wichtiger Anlass dieses Med7-Gipfeltreffens war der Streit zwischen Griechenland, Zypern und der Türkei. Bei dem geht es nicht nur um Erdgas- und Erdölvorkommen im östlichen Mittelmeer, sondern um größere Projekte im Hintergrund, wie an dieser Stelle bereits dargestellt (Mittelmeer: Türkei droht mit "Grund zum Krieg").
Darin einbezogen sind nicht nur Mittelmeeranrainerstaaten, sondern auch die Golfstaaten, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Saudi-Arabien, und die großen Player USA und Russland. Der Konflikt in Libyen und in Syrien spielt mithinein, ebenso Interessen in Afrika. Die grobkörnige Aufzählung deutet schon an, dass die Interessen ziemlich weitgestreckt sind. Sie sind auch verknäult.
Das kann man auch am Gipfel der 7 Südländer ablesen. Erst gab es von Macron die hart geschliffene Ansage, dass die "Türkei nicht länger ein Partner in der Mittelmeerregion" sei. Er rief dazu auf, dass sich die Mitglieder des Treffens eindeutig hinter Griechenland und Zypern stellen. Auch von der EU verlangte er, dass sie eine gemeinsame Front gegen die Türkei bildet.
Bei der Abschlusserklärung dominierte ein anderer Ton, Macron legte nun Wert darauf, die Bereitschaft zu Gesprächen mit der Türkei zu betonen. Eine Erklärung dafür wäre, dass hinter dem Framing einer gemeinsamen Agenda sehr unterschiedliche Beziehungen zur Türkei stehen.
Projekte mit der Türkei
So hat etwa Italien zusammen mit der Türkei das Projekt eines kommerziellen Korridors zwischen Tunesien und der italienischen Hafenstadt Tarent. Der Hafen in Tarent wird von der türkischen Yilport Holding verwaltet, die 2019 eine Konzession mit der Laufzeit von 49 Jahren bekommen hat. Die Holding mit Sitz in Istanbul hat nach Aussagen ihres Vorsitzenden Robert Yuksel Yildirim eine starke Präsenz im Mittelmeer: "Wir sind in Malta und verwalten sieben Häfen zwischen Spanien und Portugal."
Die Verbindung zwischen Tarent und Tunesien wird als wichtige Transportroute zwischen Produzenten in Europa und Afrika beschrieben, tunesische Verkehrsverbindungen bieten gute Anschlüsse nach Nord- und Westafrika.
Dass Italien und die Türkei im Juni ein gemeinsames Marine-Manöver im Mittelmeer abgehalten haben, und Rom ebenso wie Ankara die Einheitsregierung in Libyen unterstützt, sind weitere Zeichen dafür, dass Italien nicht an einer harten Front gegen die Türkei gelegen ist - auch wenn die Politik des Energiekonzerns Eni (zusammen mit Total) bei den Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer gegen die türkischen Interessen gerichtet ist.
Zwischen Spanien und der Türkei wurde kürzlich im Juli der Ausbau der Handelsbeziehungen von 12 auf 20 Milliarden Euro vereinbart. Die Handelbeziehungen seien "sehr gesund", wurde die Außenministerin Arancha Gonzalez Laya von der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Agency zitiert. Die regierungsnahe türkische Zeitung Daily Sabah zitierte sie mit Äußerungen, die eine enge Sicherheitspartnerschaft betonen. "Die Türkei ist ein Nato-Partner, nicht nur ein Freund."
Was den französischen Anspruch auf eine gemeinsame Mittelmeer-Front gegen die Türkei betrifft, so zeigt sich, dass die USA entgegen der auch hier schon geäußerten Annahme eines Rückzugs weiter an wichtigen Stellen mitmischen.
Auftritt Pompeo
Als es vor kurzer Zeit in Libyen zu einem Machtkampf innerhalb der Einheitsregierung kam und Regierungschef Sarradsch den für die Türkei wichtigen Innenminister Fathi Bashagha absetzte, sorgte neben türkischem, auch US-amerikanischer Druck dafür, dass er diesen Schritt revidierte.
Ein gemeinsames Marinemanöver zwischen der Türkei und den USA vor wenigen Wochen im Mittelmeer, als der Streit zwischen Griechenland, Zypern, Frankreich und der Türkei schon hochgekocht war, war ebenfalls ein deutliches Signal, dass einer anti-türkischen Front, angeführt von Frankreich, Grenzen gesetzt sind.
Dass US-Außenminister Pompeo für den morgigen Samstag einen Besuch in Zypern angekündigt hat, um eine friedliche Lösung im aktuellen Konflikt im östlichen Mittelmeer zu finden, widerspricht ebenfalls den Spekulationen, wonach die Machtproben im Mittelmeer ohne die militärische Supermacht stattfinden.