Mittelmeer-Migranten: Wie weit reicht der Konsens?
14 EU-Länder sind prinzipiell für einen "Solidaritätsmechanismus". Die Bewährungsprobe dürfte bald folgen. Italien will eine andere Lösung
Wie weit wird das prinzipielle Einverständnis tragen? 14 EU-Länder haben in Paris einem deutsch-französischen Kompromissvorschlag zur Umverteilung von aus Seenot geretteten Migranten "im Prinzip" zugestimmt. Die Bewährungsprobe wird nicht lange auf sich warten lassen. Am Sonntag ist das neue Rettungsschiff Ocean Viking der Nichtregierungsorganisationen SOS Méditerannée und Ärzte ohne Grenzen in See gestochen, mit Kurs Richtung libyscher Küste. Es fährt unter norwegischer Flagge.
Ob es wieder ein "unwürdiges Geschacher" (Heiko Maas) geben wird? Acht Länder - Deutschland, Frankreich, Portugal, Luxemburg, Finnland, Litauen, Kroatien und Irland - haben beim Gastgeber Marcon eine "aktive Beteiligung" zugesichert, wird berichtet. Sechs weitere EU-Länder hätten grundsätzlich zugestimmt. Deren Namen wollte der französische Präsident aber nicht verraten.
Der italienische Innenminister Salvini blieb dem Treffen fern. Er hatte schon beim vorangegangenen Treffen der EU-Innenminister in Helsinki davon gesprochen, dass aus seiner Sicht "eine historische Chance verpasst" worden sei, weil an Positionen festgehalten werde, die Italien nicht akzeptieren könne. Für Salvini war auch das Treffen in Paris ein "Flop".
Er befürchtet zweierlei: Dass Italien den Ankunftshafen stellen soll und es mit Migranten zu tun hat, die keinen Anspruch auf Asyl haben, aber von anderen Ländern nicht übernommen werden. Auch wenn der "Solidaritätsmechanismus", dem die 14 EU-Länder in Paris "aktiv" oder zumindest prinzipiell zugestimmt haben, im Grundsatz darauf hinausläuft, dass die Migranten umverteilt werden, so traut Salvini dem Versprechen offenbar nicht.
Er strebt zusammen mit Malta eine Lösung an, die über Zentren in den "Nachbarregionen der Herkunftsländer von Migranten" organisiert wird. Dort soll die Identität geklärt werden und der Anspruch auf Asyl. Italien und Malta hatten sich in Helsinki gegen eine Übergangslösung ausgesprochen, die der deutsche Außenminister Heiko Maas angestoßen hatte (Seenotrettung im Mittelmeer: Maas für Vorreiterrolle Deutschlands).
Französische Grenzpolitik gegenüber Italien
Man wolle nicht "die Hotspots Europas" sein, erklärte Salvini die Haltung der beiden Länder. Man kann an Salvinis Politik, die er mit rassistischen Untertönen begleitet, vieles aussetzen. Seine Skepsis gegenüber den Versprechen der anderen lässt sich aber nicht nur mit der Verfahrensweise der EU-Länder vor nicht allzu langer Zeit - und mit dem Blick auf die italienisch-französische Grenze bei Ventimiglia und Menton begründen.
Dort schiebt Frankreich gnadenlos Migranten nach Italien zurück, die Probleme sollen im Nachbarland bleiben. Die rücksichtslose Zurückweisung, die gegen das Refoulement-Verbot verstößt, wird auch in diesem Sommer praktiziert, obwohl davon nur selten etwas über deutsche oder französische Medien ans Licht kommt.
Die NGOs Amnesty International France, l’Anafé, La Cimade, Médecins du Monde, Médecins sans Frontières, le Secours Catholique Caritas France protestieren derzeit gegen den Verstoß grundlegender Rechte, die sie auf der französischen Seite beobachten, auch bei der Unterbringung in Lager, die sie als Freiheitsberaubung bezeichnen. Nicht zuletzt kommt hinzu, dass den Migranten gar keine Chance gegeben wird, Asyl zu beantragen.
Bei all seiner Betroffenheit über die Situation der Migranten in Libyen und seinem Appell an die Menschlichkeit, die Macron bei seinen Reden, wie aktuell hier zusammen mit Filippo Grandi, dem Hohen Flüchtlingskommissar der UN, und António Vitorino, dem Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration (IOM), geltend macht, ist dies der blinde Fleck, den die große internationale Öffentlichkeit nicht immer mitdenken mag, Salvini dagegen schon.
"Niemand sollte nach Libyen zurückgeschickt werden"
Die beiden genannten Vertreter der großen Migranten- bzw. Flüchtlingshilfsorganisationen waren ebenfalls in Paris dabei. Auch sie freuten sich über einen Konsens, der beim Treffen erreicht wurde. Man sei darin übereingekommen, dass die willkürliche Inhaftierung von Flüchtlingen und Migranten in den libyschen Haftzentren beendet werden müsse und dass dazu nun ein Verfahren gestartet werden müsse, um die Festgehaltenen in einer organisierten Weise freizulassen.
In der Erklärung findet sich eine Formulierung, die als Konsequenz fordert: "Im Licht der Risiken des Missbrauchs, der üblen Behandlung oder der tödlichen Risiken sollte niemand in die Haftanstalten in Libyen zurückgeschickt werden, nachdem sie oder er im Meer aufgegriffen oder gerettet wurde." Das bestätigt die Mission der Seenot-Retter. Verbindlich ist die Aussage aber nicht.
Für die libysche Küstenwache dürfte das keine Order sein. Hat man sich denn aus den Reihen der EU-Länder mit ihren Vertretern in Verbindung gesetzt? Immerhin fließt einiges Geld für Ausbildung und Ausstattung und andere Unterstützung aus der EU dorthin.
Wie wird realisiert, was von António Vitorino und Filippo Grandi als Konsens gepriesen wurde? Dazu würde gehören, dass man einmal die Rückführung der Migranten in den libyschen Lagern in ihre Heimatländer organisiert - was in diesem Jahr schon im Fall Tausender offenbar gelungen ist, aber nicht ausreicht -, zum anderen, dass man sich dort ein Bild davon machen kann, wer in europäischen Ländern Schutzrechte beanspruchen kann. Nicht zu Letzt gehört dazu, dass den Flüchtlingsorganisationen überhaupt Zutritt zu den Lagern gewährt wird.
Das alles hängt in Libyen von vielen Faktoren ab, die schwer zu berechnen sind, weil sie mit der Macht, dem Einkommen und der Gunst von Milizen verbunden sind - wie auch die Arbeit der Küstenwache. Die Loyalitäten sind fluide - auch unter Haftars Verbündeten in Zentrallibyen sind Milizen mit dem Schleppergeschäft verbunden -, sie gehorchen einer anderen Prioritätenhierarchie als in den EU-Ländern.
Dass es die EU in den letzten Jahren politisch nicht geschafft hat, für genügend Aufnahmelager mit menschlichen Bedingungen zu sorgen, zeigt die Grenzen ihrer Möglichkeiten sehr deutlich auf. Die Möglichkeiten werden mit den fortgesetzten Milizenkriegen nicht besser.
In Nordafrika will kein Land zum Hotspot für Migranten werden
In den Ländern der Region werden die beschränkten Möglichkeiten und das Ziel der EU-Migrationspolitik ("am besten draußen bleiben") sehr wohl registriert. Bislang hat sich kein Staat bereit erklärt, als Hotspot für die Migration nach Europa zu Verfügung zu stehen. Das würde innenpolitisch zu allerhand Spannungen führen.
Zumal, wie etwa aus Tunesien berichtet wird, es in diesen Ländern ebenfalls das Gefühl oder die Vorahnung gibt, mit den Folgen der Migrationsbewegungen alleine gelassen zu werden. Das französische Medium Mediapart berichtet von Schwierigkeiten, die Tunesien seit vielen Jahren allein schon damit hat, mit angeschwemmten Leichen fertig zu werden.
Versuche von Migranten, nun von Tunesien statt von Libyen abzulegen, häufen sich seit einiger Zeit. Sollte sich der kriegerische Konflikt in Libyen verschärfen, so rechnen Flüchtlingsorganisationen mit c.a. 25.000, die aus Libyen nach Tunesien kommen, um dort die riskante Reise nach Europa anzutreten.
Für die Pläne Salvinis, etwa in Tunesien einen Hot-Spot (EU-Diktion: eine "Ausschiffungsplattform") zu errichten, stehen die Aussichten schlecht. Die Regierung in Tunis will das partout nicht. Das Land ist dazu nicht bereit. Mehrmals hat die Regierung betont, dass man keine Empfangsplattform für Migranten werden wolle, die nach Europa wollen.
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